Zwischen zwei Tönen: Aus dem Leben des Arvo Pärt
- Voland & Quist
- Erschienen: Januar 2021
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Eine beeindruckende Lebensdarstellung in unbekannten Gebieten
Nicht erst Leonard Bernstein hat entdeckt, dass Musik das ist, was zwischen zwei Noten geschieht. Diese Philosophie der Musik hat nahezu etwas spirituelles, und genau das ist es, was den estnischen Komponisten Arvo Pärt antreibt, wobei er stets auf der Suche nach seiner musikalischen Stimme ist. Pärt wurde 1935 in Paide ist Estland geboren, die Graphic Novel des estnischen Zeichners Joonas Sildre verfolgt seinen Weg von seiner Kindheit an bis zu seiner Ausreise in den Westen im Jahr 1980.
Vorweg sei gesagt, dass diese Graphic Novel nicht nur für Musiker oder Musikfreunde geeignet ist, sondern auch für Geschichtsfreunde, die die Zeit von 1935 bis 1980 einmal aus baltischer Sicht und vor allem aus Sicht eines Künstlers erleben wollen. Pärt hat wie viele seiner Kollegen erleben müssen, wie der „große Bruder“ Sowjetunion den kleineren Staaten vorgeschrieben hat, wie Musik und Kunst auszusehen hätte, eine Einstellung, in der sich kein gesunder Geist frei entfalten kann. Pärt hat lange gebraucht, bis er seine eigene musikalische Sprache gefunden hat, für die er noch heute bekannt ist, und dieser Weg ist schon sehr beeindruckend.
Ein Leben mit und für die Musik
Arvos Weg wird in kleinen Details aus musikalischer Sicht erzählt. Die Mutter zieht zu ihrem zweiten Mann, Arvos Stiefvater. Arvo wird das Leben dort versüßt, indem er wann immer möglich auf dem Klavier spielen und üben darf. Wenn niemand im Haus ist, hört er Musik im Radio. Im Zweiten Weltkrieg bleibt das Haus der Familie unbeschadet, wurde aber von russischen Soldaten ausgeraubt, immerhin haben sie das Klavier dagelassen. Nach Ende des Krieges bekommt Arvo an der neu gegründeten Musikschule für Kinder erstmals richtigen Klavierunterricht.
In der Musikschule geht er völlig in der Musik auf und beginnt auch, gegen den Willen seiner strengen Lehrerin, zu improvisieren und zu komponieren. Er ist so begeistert von Musik, dass er morgens der erste und abends der letzte ist, der übt, jede Minute seiner Freizeit nutzt er zum Studium von Noten. Schließlich wird er sogar angefragt, Sänger und Instrumentalisten bei ihren Prüfungen und Stunden zu begleiten. 1954 wird er an der Musikschule in Tallinn angenommen, ein erster Karriereschritt.
Musik gegen das System
Joonas Sildre hat einen sinnvollen Weg gefunden, die musikalischen Gedanken Arvos darzustellen, indem er die fünf Notenlinien parallel fliegen und sie in einem Punkt enden lässt. Doch das ist nur vorübergehend, denn an dem Zeitpunkt, als Arvo die bekannte harmonische Musik nicht mehr ausreicht und nicht seinem persönlichen Empfinden entspricht, ändern sich auch die grafischen Möglichkeiten. Zwar bleiben die Linien und die Punkte, aber sie variieren, werden weniger und mehr, geraten durcheinander, je nach musikalischem Empfinden Arvos. Schließlich gibt es auch Bilder, in denen keine Linien mehr vorkommen und Arvo sich in einer Note befindet, interessanterweise ist diese Art der grafischen Darstellung für jeden Leser verständlich, auch Nicht-Musiker können den Weg mit verfolgen.
Die Graphic Novel ist aber auch aus geschichtlicher Sicht interessant, denn die Geschichte Estlands dürfte den wenigsten Lesern bekannt sein. Dass gerade Künstler unter den Regeln der Sowjetunion leiden mussten, kennt man aus Biografien wie der von Dmitri Schostakowitsch, doch dass der Einfluss auch bis in die kleinen baltischen Staaten reichte, dürfte für viele neu sein. Halt gibt ihm immer wieder die Religion, die Beschäftigung mit geistlicher Musik und die Entwicklung einer eigenen Tonsprache, die schließlich der Tintinnabuli-Stil sein wird, nachdem er sich in mehreren anderen Stilen versucht hat, aber nie glücklich wurde. Doch auch sein Kampf gegen das „System“, der schließlich in seiner Ausreise münden wird, ist eindrücklich dargestellt.
Farbenfroh trotz schwarz-weiß
Der Zeichenstil von Joonas Sildre bleibt schlicht in schwarz-weiß und in Grautönen, diese zurückhaltende Art unterstützt die Darstellung der Musik, wie er sie wählt, und trotzdem sind Farben erkennbar. Die Figuren sind sicher gezeichnet, am Ende des Buches gibt es Personenregister mit gezeichneten Porträts, so dass man alles noch einmal nachvollziehen kann. Ein Nachwort und eine gezeichnete Karte Estlands ergänzen das Verständnis der Graphic Novel.
Fazit:
Es ist ein beeindruckendes Leben, dass man Dank der Graphic Novel von Joonas Sildre über 222 Seiten aus dem Verlag Voland & Quist mitverfolgen darf. Sie ist nicht nur für Musikfreunde geeignet, sondern auch für Geschichtskenner, die hier einen unerwarteten Einblick in die Zeit des Kalten Krieges bekommen. Sildre findet spannende Möglichkeiten, Musik grafisch darzustellen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Und die Neugier auf die Musik von Arvo Pärt wird geweckt, heutzutage ist es ja nicht mehr schwer, Aufnahmen zu finden und sich in seine Musik versenken zu lassen. Beeindruckend, inhaltlich wie zeichnerisch.
Joonas Sildre, Joonas Sildre, Voland & Quist
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