Lost in Translation II : Die Rückkehr
…oder so ähnlich
Ja, fast könnte man die Graphic Novel „Zwei Espresso“ mit Sofia Coppolas oscarprämiertem Film-Drama aus dem Jahr 2003 vergleichen. Anders als auf der großen Leinwand bekommen wir aber nicht einen knautschigen Bill Murray vorgesetzt, sondern folgen in der ähnlich angelegten Geschichte dem französischen Comiczeichner Benjamin bei seiner Reise ins Land des Lächelns. Ähnlich deshalb, weil wir es in beiden Fällen mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen und Mentalitäten zu tun bekommen. Sorgten im ersten Fall noch die Sprachbarriere und die reizüberflutende, pulsierende Neon-Welt von Tokio für die größten Hürden, ist Benjamin in der gedruckten Variante klar im Vorteil. Zum einen, weil er der japanischen Sprache mächtig ist und zum anderen führt ihn seine Reise nicht in die schillernde Glitzer-Metropole, sondern mitten ins Nirgendwo.
Der Grund für Benjamins Reise ins Ungewisse liegt lange zurück. Vor 17 Jahren machte er auf einer Brücke in Paris die Bekanntschaft einer Japanerin, mit der er eine unvergessliche Nacht verbrachte. Das Einzige, was dem jungen Mann nach dieser Nacht bleibt, ist ein kryptischer Hinweis auf ihren Aufenthaltsort im fernen Land der aufgehenden Sonne. Nachdem Benjamin in einer privaten, wie beruflichen Sackgasse steckt, erinnert er sich an sein Gespräch mit der jungen Unbekannten über „Yakudoshi“, die sogenannten „Unglücksjahre“. Diese, aus dem Aberglauben geborene japanische Tradition besagt, dass man sich von etwas das man liebt trennen soll, um das Unglück abzuwenden. Bei den Männern gelten die Alter 25, 42 und 61 als Unglücksjahre. Mit 25 lernte Benjamin die Frau kennen, die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht… 17 Jahre später macht er sich auf die Suche nach ihr. Im Alter von 42. Zufall?
Käffchen? Mit Milch und Zucker?
Benjamins Ankunft bekommt gleich einen ordentlichen Dämpfer, denn der Bahnhof, den seine vergangene, nächtliche Bekanntschaft ihm einst nannte, existiert nicht mehr. So irrt der Neuankömmling durch die ländliche Nacht und findet Zuflucht in einem (fast) verlassenen Café am Rande des Nichts.
Michihiko, der Besitzer des Lokals, bietet dem Fremden nach anfänglichen Differenzen ein Quartier an. Ähnliche Differenzen hat der Café-Betreiber auch mit seiner Ehefrau, die nach einer erneuten Auseinandersetzung mit ihrem störrischen und uneinsichtigen Gatten ins angrenzende Haupthaus zu ihrer Mutter zieht. Michihiko genießt überdies den zweifelhaften Ruhm, die mieseste Brühe in ganz Japan zu köcheln und dementsprechende, gähnende Leere herrscht in seinem Laden. Da erweist sich die Anwesenheit seines neuen Gastes als absoluter Glücksgriff, denn Benjamins Vater betreibt selber ein Café in der französischen Hauptstadt.
Zwei Männer, die verschiedener nicht sein könnten, können trotz aller Umstände eine Menge voneinander lernen und es entwickelt sich eine kulturübergreifende Freundschaft. Tagsüber hilft Benjamin Michihiko bei seinen Versuchen, einen vernünftigen, genießbaren Kaffee aufzubrühen und abends macht er sich auf die Suche nach dem eigentlichen Ziel seiner Reise… der Frau aus seinem ersten „Yakudoshi“.
Slice-of-… was?
Kan Takahamas „Zwei Espresso“ kann man gut und gerne dem Slice-of-Life-Genre zuordnen, bei dem (mal mehr, mal weniger) unterhaltsame Alltagsgeschichten dargestellt werden. Keine Superhelden, keine Explosionen, Monster oder mysteriöse Schauergeschichten stehen hier im Vordergrund. Kleine Geschichten, mitten aus dem Leben, werden erzählt und bieten ein erfrischend realistisches Szenario, was zwischen Tragik, Dramatik, Liebe, Humor und Spannung so ziemlich alles beinhalten kann.
Autorin und Zeichnerin Kan Takahama, die bereits mit den ebenfalls bei Carlsen erschienenen „Stille Wasser“ und „Die letzte Reise der Schmetterlinge“ auf sich aufmerksam machte, bedient so ziemlich jeden der genannten Aspekte und kann den Leser mit „Zwei Espresso“ durchaus unterhalten. Es wird eine nette, amüsante Geschichte erzählt, die aber leider über „nett“ nicht hinausgeht. Jeder, der den in den letzten 20 Jahren mal eine romantische Komödie gesehen hat oder mit dem Werk von Rosamunde Pilcher nur ansatzweise vertraut ist, wird den Braten schon in der ersten Hälfte des Buches riechen und wissen, worauf es hinausläuft. Große Überraschungen bleiben leider aus. Dennoch würde ich „Zwei Espresso“ nicht unter Wert verkaufen, denn wie so oft ist auch hier der Weg das Ziel. Mit amüsanten Gesprächen, Situationskomik und sympathischen Charakteren kann der Comic-Roman durchaus punkten und so habe ich mich, trotz aller Vorhersehbarkeit, nicht gelangweilt. Das Aufeinandertreffen der Kulturen und die anfänglichen und wiederkehrenden Differenzen der Protagonisten besitzen durchaus ihren Charme, auch wenn einige Momente zu konstruiert wirken. So belauscht Benjamin in einem Comic-Shop beispielsweise zufällig zwei japanische Kunden, die just in diesem Moment über seine Arbeiten diskutieren. Nicht wirklich störend, aber solch arge Zufälle reißen halt beim Lesen ein wenig raus.
Manga goes West
Die Zeichnungen von „Zwei Espresso“ sind eindeutig vom westlichen Stil geprägt, obwohl sich die Wurzeln von Kan Takahama nicht verleugnen lassen. Die schwarz/weiß Bilder der Künstlerin sind detailliert, wenn auch manchmal etwas steif und dunkel dargestellt. Die Erzählweise ist dynamisch und flüssig. Einzig die andauernde textliche Darstellung von Umgebungsgeräuschen nervt auf Dauer. So gut wie jeder Schritt, jeder Handgriff und jeder Windzug wird mit einer Einblendung bedacht und nach dem gefühlt hundertsten „KLACK“, „TAPP“ oder „FSSSSH“ glaubt man, die Autorin meinte es etwas zu gut mit ihren Lesern.
Die beim Carlsen Verlag erschienene Softcover-Ausgabe im handlichen Taschenbuch-Format wird, wie ein normaler Comic oder ein normales Buch, von links nach rechts gelesen, was ebenfalls den westlichen Normen entspricht. Erfreulicherweise hat man sich bei Carlsen für das stimmige japanische Original-Cover entschieden, welches mit seiner Klappenbroschur sehr gut zur Geschichte passt.
Fazit:
„Zwei Espresso“ macht was es soll: es unterhält den Leser. Man bekommt eine amüsante, leichtfüßig erzählte Geschichte über Kulturen, Liebe und Kaffee… viiiiel Kaffee. Wen es nicht stört, dass die Story ein wenig überraschungsarm und vorhersehbar ist, kann sich von Benjamin uneingeschränkt in die Kunst des Kaffeekochens einführen lassen und ihm gleichzeitig bei der Suche nach der verblassten Erinnerung an eine einmalige Nacht zur Seite stehen.
Kan Takahama, Kan Takahama, Carlsen
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