Mutanten an der Macht
Bedrohte X-istenz
Die Mutanten rund um Professor Charles Xavier haben eine neue Zuflucht gefunden. Und nicht nur das! Viel wichtiger noch, sie werden nicht mehr verfolgt und als Feinde der Gesellschaft angesehen. Die Insel Krakoa ist die neue Heimat aller Mutanten. Menschen ist der Zutritt untersagt. So erfüllt sich Xaviers Lebenstraum von einer Welt, in der alle Parteien ein friedliches Miteinander teilen. Krakoa wurde sogar als souveräner Staat anerkannt, dessen Botschafter niemand geringeres als Magneto ist. Ursprünglich verfeindet, scheint die neue Harmonie nur Gewinner hervorgebracht zu haben: Die Waffen ruhen, Krakoas seltene und lebensverlängernde Pflanzen sind dank eines Handelsabkommens ein weltweiter Export-Schlager und kriminelle Mutanten wurden von der Regierung rehabilitiert, um ihnen einen Neustart zu ermöglichen. Friede, Freude, Eierkuchen… oder?
Eine kleine Gruppe von Terroristen kapert ein Passagierflugzeug und leitet es in den krakoischen Luftraum. Direkt über der Insel springen sie ab. Bewaffnet. Allerdings nicht unbemerkt… doch Professor Xavier, der stets an das Gute glaubt, schließt einen Angriff zuerst aus, da er die Rückkehr von Domino erwartet, die sich auf einer verdeckten Mission befindet und bereits überfällig mit einer Rückmeldung ist. Dass es sich nicht um Domino handelt, merken Xavier, Wolverine, Black Tom und die anderen Mutanten erst, als es bereits zu spät ist. Das Killer-Kommando hält sich nicht mit großen Reden auf, sondern feuert beim ersten Bodenkontakt sofort aus allen Rohren. Xaviers Traum vom Frieden verpufft in Rauch und Blut. Trotz heftiger Gegenwehr müssen die Mutanten auf Krakoa herbe Verluste hinnehmen. 33 von ihnen lassen ihr Leben… und einer von ihnen ist Charles Xavier.
Domino, die zuvor einen rassistischen Geheimbund infiltrierte, ist aufgeflogen. Dass die organische Insel den Zutritt der Killer überhaupt ohne Gegenwehr gestattet hat, war kein Zufall, denn Krakoa dachte tatsächlich, dass sich Domino ihr im Blindflug näherte. Untersuchungen ergeben, dass die ausgeschalteten Eindringlinge ein Stück ihrer Haut transplantiert hatten, um die Insel – und somit auch Xavier – zu täuschen. Eine Spur führt nach Südkorea. Wolverine und Kid Omega machen sich auf, um ihre Gefährtin zu suchen… und stoßen auf eine grausame Verschwörung.
Trotz X-perten keine X-travaganz
Erst kürzlich wurden die Karten im MARVEL-Universum wieder neu gemischt. Ja, das geschieht in beinahe schon erschreckender Regelmäßigkeit, bringt aber oftmals interessante Entwicklungen und auch zahlreiche neue und alte Charaktere wieder ins Rampenlicht. Kaum ist ein Event vorbei, folgt das nächste Crossover… oder es wird direkt wieder bei Null begonnen. Die wohl größte Rundum-Erneuerung der jüngsten Zeit haben die X-Men erfahren.
Den Grundstein dafür legte der Autor Jonathan Hickman mit der vierteiligen Reihe „House of X/Powers of X“, die seit Januar 2020 bei Panini veröffentlicht wurde. Die Mini-Serie, die die amerikanischen Ausgaben der beiden Sechsteiler „House of X“ und „Powers of X“ in deutscher Übersetzung bündelte, war dann auch Wegbereiter für die neue monatliche „X-Men“-Heft-Reihe, die seit Mai 2020 erscheint. Ein guter Einstiegspunkt für Neulinge, die allerdings unbedingt mit „House of X/Powers of X“ beginnen sollten. Noch ist die erschienene Menge überschau- und nachholbar. Ableger wie „Marauders“ (die hier einen kurzen Auftritt haben), deren erster Paperback-Band „X-Men auf hoher See“ bereits verfügbar ist, und auch der vorliegende „X-Force“-Band zeigen, dass der Output bis zum nächsten Event (welches womöglich wieder Änderungen mit Nachwirkungen mit sich bringt) recht ansehnlich ausfallen dürfte. Ein zweiter „X-Force“-Sammelband ist für November 2020 bereits angekündigt.
Bleibt nun die Frage, ob man diesen wirklich braucht… In meinem Falle fällt die Antwort recht kurz und eindeutig aus: Nein. Bisher besitze ich zwar jeden Ableger der X-Men-Neuausrichtung, jedoch sagt mir „X-Force – 1. Im Geheimdienst Krakoas“ davon am wenigsten zu. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich mit der Team-Konstellation nicht viel anfangen kann, oder einfach an der etwas überfrachteten Erzählweise von Autor Benjamin Percy. Jonathan Hickman hat einen guten und interessanten Weg geebnet, aber hier hangelt man sich von Action-Szene zu Action-Szene, die mich während des Lesens schon auf halbem Weg verloren hatte. Der künstlerische Aspekt spielte diesem ernüchternden Eindruck mit Sicherheit ebenfalls in die Karten...
X-beliebig und X-trem
Über weite Teile wirkt der Comic einfach überladen. Die ersten fünf Kapitel, die von Joshua Cassara illustriert wurden, erschlagen einen förmlich mit grellen und übersättigten Farb-Explosionen, während der Grundton über weite Strecken extrem dunkel ausgefallen ist. Für viele und vor allem kleinere Panels ist einfach zu viel los, sodass es den Bildern irgendwie an nötigem Platz zur Entfaltung fehlt. Mir fiel es schwer, mich auf EIN Panel zu konzentrieren, wenn der Rest der Seite sich am liebsten auch ins Sichtfeld drängen möchte. So ergab das Ganze für mich einen unübersichtlichen Farb-Matsch, den nur noch Stephen Segovia mit dem sechsten Kapitel einigermaßen retten konnte. Farblich wird zwar von Guru-efX ins gleiche Horn gestoßen, jedoch war dort der Lesefluss angenehmer und aufgeräumter.
Warum man bei „X-Force“ derart auf die Gewalt-Tube gedrückt hat, kann wohl auch nur der Autor erklären. Ob man sich damit von anderen „X“-Titeln abheben will? Möglich… aber ebenso fraglich. Wer mit Häutungen, Köpfungen und Ausweidungen kein Problem hat, mag diesen Absatz gerne ignorieren. Nötig gehabt hätte es der Comic zwar nicht, aber die härtere Gangart scheint bei Xaviers X-Force zum guten Ton zu gehören… wie die Vergangenheit bereits gezeigt hat (beispielsweise im US-Dreiteiler „X-Force: Sex + Violence“ von 2010).
Die Galerie der US-Variants ist eine feine Beilage am Ende des Bandes. Zwischen den einzelnen Kapiteln finden sich indessen die Cover-Motive der regulären sechs Ausgaben.
Fazit:
MARVEL-Alles-Leser und treue X-Fans werden garantiert auch zu diesem Titel greifen, was durchaus verständlich ist. Für mich persönlich plätscherte er halt einfach dahin, ohne mir Lust auf mehr zu machen. Hickmans Hauptreihe der „X-Men“ bleibe ich treu und warte mal, was das Universum in naher Zukunft sonst noch so ausspuckt. Ein Absprung ist ja jederzeit möglich und endet auch nicht mit einem Beinbruch.
Benjamin Percy, Joshua Cassara, Stephen Segovia, Panini
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