Auf Columbos kauzigen Spuren
Tatort: Münster
Gotham hat Batman, New York hat Spider-Man, Duisburg hat Schimanski und Münster hat… WILSBERG! Neben den Ermittler-Kollegen Thiel und Boerne, die im Münsteraner „Tatort“ zweimal jährlich (und in unzähligen TV-Wiederholungen) auf Mörderjagd gehen, gehört der kauzige Privat-Schnüffler zu den medialen Aushängeschildern der beschaulichen Stadt. Mit stoischer Ruhe und um keinen trockenen Spruch verlegen, wuselt sich der Inhaber eines kleinen, lokalen Antiquariats durch seine abwechslungs- und wendungsreichen Fälle und geht dahin, wo’s wehtut… nein, nicht nach Bielefeld… sondern in Münsters Unterwelt.
„Wilsberg“ im Roman
Erdacht wurde die Figur des Georg Wilsberg vom Schriftsteller Jürgen Kehrer. Der 1956 in Essen geborene Kehrer begann sein Pädagogik-Studium 1974 in Münster und… blieb anschließend direkt dort. Nach der langjährigen Arbeit als Journalist widmete er sich dem Schreiben und so erblickte sein Wilsberg 1990 mit dem Roman „Und die Toten lässt man ruhen“ das Licht der Welt… also… das Licht Münsters.
Chronisch pleite und als Anwalt gescheitert, da er seine Zulassung verlor, reicht dir Kohle als Briefmarken- und Münz-Händler vorne und hinten nicht aus und so kommt es, dass der renitente Wilsberg die leere Kasse mit einem Zubrot als Privatdetektiv zu füllen versucht. Dieses Unterfangen gelingt dem sympathischen Original ausgesprochen gut, denn im Laufe der Jahre kann er auf einen beachtlichen Stapel von gelösten Fällen zurückblicken. Erst 2015 erschien mit „Wilsberg – Ein bisschen Mord muss sein“ der 19. Roman der langlebigen und erfolgreichen Reihe. Des Weiteren sind von Jürgen Kehrer auch andere Kriminal-Romane erschienen und er verfasste zudem auch Sachbücher… ebenfalls mit dem Schauplatz seiner Wahlheimat.
„Wilsberg“ im TV
Kein Wunder also, dass bei dem Erfolg auch das Fernsehen auf den um keine Antwort verlegenen Schnüffler aufmerksam wurde. Am 20. Februar 1995 wurde Wilsbergs erster Fall „Und die Toten lässt man ruhen“ erstmals im ZDF ausgestrahlt. Bei seiner TV-Premiere noch von Schauspieler Joachim Król verkörpert, sollte es bis zum nächsten „Wilsberg“ noch ganze drei Jahre dauern. Mit der Besetzung von Leonard Lansink in der namensgebenden Rolle, änderte sich dann auch Georg Wilsbergs berufliches Umfeld. Aus dem Briefmarken- und Münz-Händler wurde ein Antiquar mit einem gemütlichen Lädchen, mitten im Herzen von Münster. Das „Antiquariat Wilsberg“ ist übrigens echt und wird nur für die Dauer der Dreharbeiten „umbenannt“. Unweit vom Prinzipalmarkt und der Lamberti-Kirche zieht es dort regelmäßig Touristen und Freunde der beliebten Reihe hin. Seit mittlerweile 58 Folgen in Spielfilmlänge – wovon sieben Fälle auf den Vorlagen von Jürgen Kehrer basieren - dürfen sich Krimi-Liebhaber an seiner Darstellung erfreuen und noch ist kein Ende in Sicht. „Wilsberg“ gehört zu den Dauerbrennern im ZDF und konnte sogar Spitzen-Quoten von über 8 Millionen TV-Zuschauern erreichen. So mancher Fall bringt es bisher auf über 60(!) Wiederholungen und „Wilsberg und der Tote im Beichtstuhl“ hat sogar die 70er-Marke bereits locker hinter sich gelassen.
Unterstützung bekam Georg Wilsberg während der ersten Jahre von seinem Freund Manfred Höch, genannt „Manni“. Der überkorrekte Bauamt-Angestellte schlitterte des Öfteren kopfüber in die Fälle seines Freundes und wurde vom immer gern gesehenen Heinrich Schafmeister gespielt. Leider schied er durch eine Versetzung aus der Serie aus. Wohin er versetzt wurde? Natürlich nach… na? Na? Richtig… nach Bielefeld. DER Running-Gag der Reihe. In jeder Folge findet die Stadt, die es laut einer Verschwörungstheorie „nicht gibt“, Erwähnung, was in der grandiosen Episode „Die Bielefeld-Verschwörung“ gipfelte, in der auch „Manni“ nach seinem Ausscheiden noch mal vorbeischaute.
Dieser wurde quasi nahtlos vom großartigen Oliver Korittke (absolut kultig in „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“) ersetzt, der ursprünglich als Steuerprüfer Ekkehard „Ekki“ Talkötter in Wilsbergs Leben trat und seitdem nicht mehr wegzudenken ist. Sein detektivischer Eifer war bereits mehr als einmal nützlich… stürzt Wilsberg aber mindestens ebenso oft in heilloses Chaos.
Rechtlichen Beistand – den er auch oft genug braucht – bekommt Wilsberg von seiner Nichte Alex Holtkamp, dargestellt von Ina Paule Klink, die auch regelmäßig im Antiquariat vorbeischaut und tatkräftig bei den verschiedenen Ermittlungen hilft. Ein unverzichtbarer Teil des Ensembles.
Nicht gerade selten überschneiden sich Wilsbergs detektivische Schnüffeleien mit den Fällen der Mordkommission. Glücklicherweise ist Georg seit Jahren mit Hauptkommissarin Anna Springer (Rita Russek) befreundet. Trotzdem, dass sie und ihr übereifriger Assistent Overbeck (herrlich schräg: Roland Jankowsky) dem Trio häufiger in die Quere kommen, knistert es gewaltig zwischen ihr und Georg. Ganz im Gegenteil zu Overbeck… der würde Wilsberg in seiner Abneigung gegen den Detektiv am liebsten hinter schwedischen Gardinen sehen. Dazu scheut er auch nicht vor den abenteuerlichsten Anschuldigungen zurück, beißt sich aber ein ums andere Mal die Zähne an Wilsberg aus, der ihm immer einen Schritt voraus ist.
„Wilsberg“ im Comic
Nach seinem Sprung auf die Mattscheibe hüpft Wilsberg nun erneut zwischen zwei Buchdeckel… diesmal aber zwischen die eines Comic-Buches. Diesen akrobatischen Akt vollführt der Münsteraner Privatdetektiv nun allerdings schon zum zweiten Mal. Bereits 2012 gab er seine erste Comic-Vorstellung mit der gleichnamigen Adaption von Jürgen Kehrers Roman „In alter Freundschaft“. Wie auch im jüngst erschienenen Band, hauchte der Künstler Jörg Hartmann schon dem Erstling wasserfarbiges Leben ein. Mit gekonntem Tusche-Strich transportiert der Illustrator die liebgewonnene Figur in ein neues Medium und interpretiert sie auf seine eigene Weise. Hartmann orientiert sich eher an der Buch-Vorlage, als einfach nur den bekannten Charakter der TV-Reihe in eine Comic-Form zu pressen. Die grünlastigen Aquarelle unterstreichen die charmante, angenehm entspannte Atmosphäre. Diese kommt auch bei den zahlreichen Sehenswürdigkeiten und Gebäude-Illustrationen zum Tragen, die Hartmann vor Ort recherchiert und fotografiert hat. Etwaige Ähnlichkeiten zu realen Orten (und Personen) sind also beabsichtigt. Auf einer beliebten Videoplattform kann man dem Künstler bei einer Führung durch sein Atelier auch über die Schulter schauen und interessante Einblicke in die Entstehung eines so aufwendigen Comics bekommen. In seinem Ladenlokal in Münster ist Jörg Hartmann auch regelmäßig anzutreffen… wenn er nicht gerade an neuen Geschichten zeichnet.
In seinem aktuellen Werk „Wilsberg – Um Kopf und Kragen“ adaptiert der sympathische Wahl-Münsteraner Kurzgeschichten von Jürgen Kehrer, die überwiegend in der Sammlung „Wilsbergs Welt“ erschienen sind. In sechs Kapiteln werden vier unterschiedliche Fälle aufgegriffen, die durch eine Rahmenhandlung – „Du bist tot, Wilsberg – Teil 1“ am Anfang und „Du bist tot, Wilsberg – Teil 2“ am Ende – zusammengehalten werden.
Georg und sein Nachbar Toni verbringen den Abend in der Kneipe. Fußball gucken. Madrid gegen Borussia. Der BVB hat alles im Griff und Georg holt Nachschub an der Theke. Ein Blick auf sein Handy lässt das Spiel jedoch ziemlich schnell zur Nebensache werden. Eine Nachricht. „Du bist tot, Wilsberg. Genieß deine letzten Stunden…“. Absender unbekannt. Na toll… hätte so’n schöner Abend werden können. Erstmal raus an die frische Luft. Durchatmen und eine rauchen. Wieder vibriert das Handy. Wieder „unbekannt“. „Du willst wissen, wer ich bin? Du wirst es heute noch herausfinden.“ Was soll das? Wer ist der Kerl? Hmmm… wem ist Wilsberg in den letzten Jahren auf die Füße getreten? Tja, die Liste ist lang… aber dass ihm jemand direkt nach dem Leben trachtet, lässt Georg nachdenklich werden. In Erinnerungen versunken ruft er sich seine spektakulärsten Fälle erneut in Gedanken hervor.
Fazit:
Wer die Romane mag, die ZDF-Reihe verfolgt oder einfach nur Lust auf handgezeichnete, aufwendig aquarellierte Krimi-Kost mit einem sympathischen Schnüffler hat, macht mit „Wilsberg – Um Kopf und Kragen“ garantiert nichts falsch. Abwechslungsreiche, teils skurrile Fälle geben sich die Klinke in die Hand und lassen einen – im wahrsten Sinne des Wortes – malerischen Blick auf das beschauliche Münster werfen. Das handliche und hochwertige Hardcover aus dem Carlsen Verlag rundet das spannende Leseerlebnis ab.
Jürgen Kehrer, Jörg Hartmann, Carlsen
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