Text:   Zeichner: Tor Freeman

Willkommen in Oddleigh

Willkommen in Oddleigh
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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonOkt 2020

Story

Fünf Kurzgeschichten, die zwar abwechslungsreich (und meist doppeldeutig) ausfallen, aber vom Umfang nicht lange bei der Stange halten. Kinder ab 6 – 7 Jahren greifen aber mit Sicherheit öfter ins Regal. Vielleicht auch, um den tieferen Sinn zu entdecken.

Zeichnung

Die jungen Leser wird’s nicht stören, aber der Stil ist schon sehr kindlich und speziell. Die Farben hingegen sind sehr stimmig.

Das tierische Polizeirevier

Saurier, Spuk und Sekten-Raupen

Was ist das für ein seltsames Städtchen, in dem rätselhafte Dinge passieren, und der überforderten Belegschaft des Polizeireviers auch nicht die kleinste Pause gegönnt wird? Nun, wenn der lange Arm des Gesetzes in Oddleigh (engl. odd = seltsam) nur aus zwei Mitarbeitern besteht, kann es schon mal hektisch zugehen.

Ihr erster Fall führt Chief Inspector Jessie und den gemütlichen Sergeant Sid in eine alte Villa, die etwas abseits der Innenstadt von Oddleigh liegt. Im Mondschein recht imposant und mindestens ebenso gruselig, rechnet man doch stets damit, dass der Hund der Baskervilles jeden Moment um die Ecke schaut. Hier wartet DER FLUCH VON LORRINGHAM auf Jessie und Sid, da die beiden sich der verzweifelten Lady Angora annahmen, die den alten Kasten erst kürzlich von ihrer verstorbenen Großtante vererbt bekam. Und tatsächlich soll ein Fluch auf dem Gebäude liegen, dem schon viele vermeintlich Mutige zum Opfer fielen. Angeblich spukt die frisch Verblichene dort mit ihren drei Geisterboten. Schlag Mitternacht müssen Jessie und Sid nur die Nacht in der „samtenen Kammer“ überstehen, um den Fluch zu brechen. Allerdings gehören drei knifflige Prüfungen dazu, um das Haus Geister-frei zu machen…

Wenn kleine grüne Wesen in Gewänder gehüllt und mit Kapuzen auf der Rübe durch die Straßen spazieren, dabei komisches Zeugs säuseln und demonstrativ Plakate schwenken, sind das keine Corona-Demonstranten auf dem Weg zum nächsten Hotspot, sondern es ist DER KULT der Kokonisten. Kurz gesagt: Raupen. Dieses Verhalten finden Jessie und Sid äußerst suspekt und folgen dem Trupp zu ihrer Pilgerstätte. Dort erfahren die beiden Gesetzeshüter, dass die Kokonisten sich auf den Geburtstag ihrer Nummer Eins vorbereiten. Besser gesagt, auf deren Wiedergeburt. Die Nummer Eins soll nämlich ihrem Kokon entschlüpfen und ihre bunten Schmetterlingsflügel ausbreiten, um die Kult-Anhänger zu leiten. Dumm nur, dass der Kokon sich nicht mehr in seinem gläsernen Gefäß befindet, und dort stattdessen eine Dörrpflaume vor sich hingammelt. Ein Schock für die Kokonisten… und ein neuer Fall für Oddleighs Polizei-Team.

PTESS VON DEN ODDLEIGH HILLS ist nicht anderes als ein waschechter Saurier. Das Fossil des Flugsauriers (Pterodactylus, wie wir Experten sagen) wurde bei einem kleinen Erdrutsch an der Küste freigelegt und der örtliche Professor ist deshalb komplett aus dem Häuschen. Auch Jessie und Sid sind schwer begeistert, wenn es ihnen auch schwerfällt, die überkochende Euphorie des Professors zu teilen. Dieser beschließt, die Nacht an der Fundstelle zu verbringen, um direkt mit der Arbeit zu beginnen. Natürlich auch, um das seltene Stück zu bewachen. Gut gemeint, doch in derselben Nacht wird Jessie von Sergeant Sid aus dem Bettchen geklingelt. Der Professor befindet sich nach einem Angriff im Krankenhaus von Oddleigh… und der Saurier ist verschwunden!

Selbst der abgebrühteste Chief Inspector kann nicht aus seiner Haut, wenn es um gewisse Ängste geht. Was Superman sein Kryptonit und Popeye überteuerter Bio-Spinat, ist bei Jessie DER ZAHNARZT. Die Ärmste hat nämlich eine dicke Backe, nimmt aber lieber Schmerzen in Kauf, als Oddleighs Dentisten aufzusuchen. Da hilft es auch nicht, wenn Sid abenteuerliche Geschichten von seinem letzten Zahnarztbesuch zum Besten gibt. Immerhin schafft er es, die ängstliche Jessie zu überreden. Die Narkose wird für sie zum skurrilen Trip und der Doktor verhält sich auch irgendwie merkwürdig…

In der letzten Geschichte schleift Sid Jessie zu einem Konzert von Flynn Carrington. Sein erstes Solo-Konzert, seit er sich von der erfolgreichen Familien-Band „The Carringtons“ loseiste. Als Fan ist Sid mächtig aufgeregt. Vor allem, da sie nach der Show noch in den Backstage-Bereich dürfen. Dort empfängt sie Flynns Manager Maurie, der ihnen beunruhigendes mitteilt. Flynn Carrington bekommt anonyme Drohbriefe geschickt und auch bei anderen weltweiten Konzerten kam es schon zu mysteriösen Zwischenfällen. Um in der Künstler-Szene zu ermitteln und den Schuldigen ausfindig zu machen, weichen DIE LEIBWÄCHTER ab sofort nicht mehr von Flynns Seite.

Krimi-Spaß für den Hobby-Detektiv von Morgen

Erdacht und gezeichnet wurde „Willkommen in Oddleigh“ von der preisgekrönten Londoner Kinderbuch-Autorin und -Illustratorin Tor Freeman. Ihre Kinderbücher erschienen in deutscher Übersetzung bereits bei verschiedenen Verlagen, doch tatsächlich ist dies ihr Comic-Debüt. Leider sind ihre Oddleigh-Geschichten recht kurz geraten, was nicht viel Spannung aufkommen lässt. Naja, aus Erwachsenensicht jedenfalls nicht. Für die jungen Leser dürfte es ein kurzweiliges Vergnügen werden, denn immerhin sind die Storys sehr abwechslungsreich. Tatsächlich deutet sich sogar eine kleine Romanze an. Die Kokonisten hingegen spiegeln sinnbildlich Fanatismus wider, während der kleine Flugsaurier Ptess sich in eine gänzlich neue Welt integrieren muss. Auch die Auseinandersetzung mit Ängsten wurde gut eingebunden. Allesamt interessante Ansätze. Ob diese allerdings so bei der Zielgruppe ankommen, ist fraglich. Vielleicht, wenn diese in Teamwork mit den Eltern herausgearbeitet und deutlicher thematisiert werden. Aber wir haben ja hier kein Lehrbuch vor uns, sondern immer noch einen Kinder-Comic.

Mich persönlich hat der drollige Raupen-Kult (und dessen Hintergedanke) sehr angesprochen und auch der Ausflug in die spukige Villa Lorringham hat mir gut gefallen. Leichtes Baskerville-Flair und ein dezenter Mystery-Touch durch die drei auferlegten Prüfungen (ebenfalls mit Hintergedanken). Natürlich alles auf Sparflamme und auf die junge Leserschaft zugeschnitten.

Panel-Polonäse

Obwohl das Format des überaus schönen Hardcovers (mit Leinenrücken und Spotlack-Akzenten auf der Front) groß und somit kindgerecht ist, wirken die Seiten manchmal etwas überladen. Tatsächlich tummeln sich hier bis zu 20 Panels auf einem Haufen. Dicht an dicht, worunter selbst bei erwachsenen Lesern die Übersicht leidet. So wirken viele Bilder leider etwas arg gequetscht, ohne sich entfalten zu können. Ansonsten sind die Zeichnungen schlicht und denkbar einfach gehalten. Dass Sid ein Kater ist, wird sofort klar… allerdings rätsele ich immer noch, welches Tier Jessie sein soll. Auf den ersten Blick hätte ich Hund gesagt, was anhand des Ratten-ähnlichen Schwanzes aber flachfällt. Eine Ratte scheidet aber auch aus, da die Schweinenase mich etwas irritiert. Aktuell bin ich bei Opossum… mal schauen, was es morgen wird. Allerdings merkte ich auch erst, dass Jessie weiblich ist, als ich im letzten Drittel angekommen war.

Die Kolorierung ist bunt und abwechslungsreich. Dabei tragen die Farben nicht zu dick auf, was aufgrund der gequetschten Panels wohl noch mehr zu Lasten der Übersicht gegangen wäre. Einen netten Bonusteil gibt es auch noch. Dazu gehört ein kleines Kreuzworträtsel, Beweismittel aus dem Oddleigh-Polizeirevier, Gedichte, sowie Anmerkungen und Notizen zu allen fünf Fällen.

Fazit:

„Willkommen in Oddleigh“ kann guten Gewissens in die Hände der Jüngsten gelegt werden. Kinder werden sich an den knuffigen, aber schlicht gestalteten Charakteren erfreuen. Allerdings hauptsächlich Kinder. Der Band spricht nicht zwingend ein All-Ages-Publikum an, für das noch versteckter Humor vorhanden wäre, auch wenn manche Ereignisse und Gegebenheiten sich in unsere Welt projizieren lassen. Über solche eingestreuten, tiefsinnigeren Andeutungen sind aufgeklärte Erwachsene allerdings sowieso längst im Bilde. Für die Zielgruppe bleiben es einfache Kurzgeschichten ohne große Überraschungen, dafür in sehr edler Aufmachung und mit charmantem Ermittler-Duo: Ein Kater und… und… was weiß ich denn.

Willkommen in Oddleigh

Tor Freeman, Tor Freeman, Reprodukt

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