Virginia Woolf

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Kirsten Kohlbrei
9101

Comic-Couch Rezension vonSep 2022

Story

Faktenreiche und gefühlsintensive Biografie, die tiefgehend den Menschen hinter dem berühmten Namen lebendig werden lässt.

Zeichnung

Stilsichere Illustrationen vermitteln Detailwissen und machen Emotionen spürbar.

Literatur als Zerreißprobe des Daseins.

Für Virgina Woolf war ihr Schreiben existenziell. Es gab ihr den Raum, der Freiheit ihres Geistes Ausdruck zu verleihen. Mit ihren Texten avancierte sie Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer anerkannten Schriftstellerin und einer Person des öffentlichen Lebens. Sie schrieb an gegen eine maskuline Dominanz in der Gesellschaft und im Literaturbetrieb, jedoch wurde sie auch immer wieder zurückgeworfen durch ihre von Krisen geschüttelte Psyche.

Kindheit und Jugend im Viktorianischen Zeitalter

Adeline Virginia Stephen wird am 25. Januar 1882 als Kind der Eheleute Julia und Leslie Stephen in London geboren und wächst dort in Kensington in wohlhabenden Verhältnissen auf. Virginias Erziehung ist von den Vorstellungen des viktorianischen Englands geprägt. Mit ihren Geschwistern wird sie zu Hause unterrichtet, ein späteres Studium bleibt ihr als Mädchen verwehrt. Ihr Vater, ein Literat, fördert jedoch von klein auf die Lust am Lesen und den Zugang zur Literatur. Schon in ihrer Kindheit zeigen sich bei Virginia erstmals psychische Probleme. Nach dem frühen Tod der Mutter, 1892, empfindet sie nichts, hört Stimmen, kann nicht schlafen und essen. In dieser Zeit beginnen auch die sexuellen Übergriffe durch den wesentlich älteren Halbbruder George. Mit der Halbschwester Stella stirbt 1897 eine enge Bezugsperson. Virginia findet Zuflucht in der Welt der Bücher. Sie träumt von einem eigenständigen Leben als Schriftstellerin. Bis ihr Vater 1904 nach langer Krankheit stirbt, lebt sie jedoch weiter im Elternhaus. Dennoch macht sie sich nach dessen Tod extreme Vorwürfe, ihn vernachlässigt zu haben und erleidet ihren zweiten seelischen Zusammenbruch, von dem sie sich erst nach Monaten erholt.

Schreibdebüt und Verlagsarbeit

In der Zwischenzeit sind die vier Stephen-Geschwister in ein Haus in Bloomsbury, London gezogen. Jeden Donnerstag kommt bei ihnen eine Gruppe Intellektueller zwanglos zum philosophischen Diskurs zusammen, die Bloomsbury Group. Virginia beginnt, Rezensionen und Essays für Zeitungen zu schreiben. 1906 stirbt ihr Bruder Thaby, ihre Schwester Vanessa heiratet. Im März 1910 beginnt Virginia mit der Arbeit an „Eine Fahrt hinaus“, ihr Romandebüt, das erst 1915 erscheinen wird. Dazwischen liegen fünf unruhige Jahre, die von psychischer Krankheit, Kuraufenthalten, einem Selbstmordversuch 1913 und dem Kriegsbeginn 1914 überschattet werden. Mit dem Autor Leonard Woolf, einem Studienfreud ihrer Brüder, den sie 1911 wiedertrifft und 1912 nach anfänglichem Zögern heiratet, weiß sie jedoch von da an, bis zu ihrem Lebensende, einen in tiefer Zuneigung verbundenen Partner an ihrer Seite. Mit der Gründung des gemeinsamen Verlags Hogarth Press im Jahr 1916 verbindet sie bald auch die berufliche Arbeit, ebenso wie das politische Engagement für ihre sozialistische Überzeugung, dass bei Virginia vor allem dem Kampf für die Gleichstellung der Frau gilt. Nach einigen Umzügen leben die Woolfs schließlich wieder in London. Ein willkommener Rückzugsort ist Monk‘s House, ihr Landsitz in Sussex.

Literarische Bestätigung und seelische Not

Neben der tiefen Bindung an ihre Schwester Vanessa und ihren Mann Leonard, besitzt Virginia stets einen großen wechselnden Bekannten- und Freundeskreis. Mit der Autorin Vita Sackville-West, die sie 1922 kennenlernt, verbindet sie über viele Jahre eine Liebesbeziehung. Vita wird auch das Vorbild für die Figur des Orlando im gleichnamigen Hauptwerk, das 1928 herauskommt. Virginia ist mittlerweile durch ihre Romane und Essays und ihrer fortschrittlichen Haltung bei Themen wie Emanzipation und Sexualität zu einer gefragten Berühmtheit geworden. Das Schreiben, die Verlagsarbeit, gesellschaftliches Engagement, dazu ein mit Öffentlichkeitsterminen verplanter Tag, bringen sie wiederholt an den Rand der Erschöpfung. Trotz ihres literarischen Erfolgs zweifelt Virginia über die Jahre an ihrer Arbeit, ist oft auf eine Art ziellos und deprimiert. Aspekte wie ihre Kinderlosigkeit schüren Bedenken am Erfüllt sein ihres Lebens. Ab 1933 beobachtet sie verstärkt voller Sorge die politische Lage. 1938 verkauft sie ihre Anteile an Hogarth Press. Nach Kriegsbeginn 1939 wird der Alltag mit Essensrationen und Bombenangriffe zur quälenden Belastung. Angesichts der Kriegsgreuel erscheint Virginia das Schreiben immer mehr als sinnloses Unterfangen. 1941 verschlechtert sich ihr psychischer Zustand erneut. In ihre Depression mischen sich Symptome ihrer wahnhaften Phasen. Einen Rückfall in dieses wie fremdbestimmte Dahinvegetieren kann und will sie nicht akzeptieren. Sie verfasst an Leonard Abschiedsbriefe voller Dankbarkeit und inniger Liebe.

Am 28. März 1941 wählt Virginia Woolf im Fluss Ouse in der Nähe von Monk‘s House den Freitod durch Ertrinken.

Mrs. Woolf

Susanne Kuhlendahls Biografie ist eine detaillierte, einfühlsame und gleichwohl angenehm zurückgenommene Darstellung des Lebens von Virginia Woolf.

Chronologisch und akribisch genau beschreibt sie familiäre Hintergründe, persönliche Entwicklungen sowie die Arbeit als Autorin und Verlegerin und darüber die Entstehung eines Lebenswerks. Kuhlendahl liefert jedoch nicht nur Kenntnisse als reine Fakten, sondern fängt auch Auffassungen, Überzeugungen und Stimmungen feinfühlig ein. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, Woolf bis in die Abgründe ihrer kranken Seele zu folgen. Auf diese Weise gibt sie den Leser*innen und Betrachter*innen wertvolles Wissen an die Hand, um kausale Zusammenhänge in der Biografie der Schriftstellerin erkennen und verstehen zu können.  Erklärungsversuche oder Analysen stellt sie ihrerseits nicht an, sondern behält diese respektvoll Virginia Woolf selbst vor, indem sie zitierte Textpassagen kunstvoll aussagekräftig arrangiert.

Dieser stilistische Schachzug macht nachvollziehbar, wie sehr Leben und Werk sich bei Woolf untrennbar wechselseitig bestimmen. Wenn die Autorin persönlich Erlebtes in ihren Texten aufnimmt, geschieht dies nicht selten als schmerzvolle Verarbeitung lang zurückliegender Ereignisse. Ebenso finden jedoch auch Zeugnisse persönlich empfundener Liebe und gelebte Glücksmomente den Weg in ihre Bücher. Die Literatur ist für Virginia Woolf gleichsam Quelle und Qual ihres Lebens. Der kathartischen Wirkung des Schreibens und dem internationalen Ruhm geht unausweichlich die belastende Konfrontation mit der persönlichen Gefühlswelt und die zerstörerischen Selbstzweifel am eigenen Werk voraus.

Originaltexte bereichern grafische Biografie

Zusammen mit den Werkzitaten, die durch ein anderes Schriftbild hervorgehoben werden, verfügt der Comic-Band über einen beträchtlichen Textanteil, der in absolut stimmiger Symbiose locker platziert mit Kuhlendahls Zeichnungen verwoben ist. Ihre von leichter Hand auf Papier gebrachte Illustrationen im Aquarellstil vermögen es wunderbar passend durch helle Farben und weiche Konturen die fragile, zerbrechliche Persönlichkeit der Autorin widerzuspiegeln. Genauso gekonnt wird - entgegengesetzt etwa durch düstere Farbwahl, ausdrucksstarke Mimik und 3D-Effekte - die zuschnürende Beklemmung der psychotischen Phasen übertragen. Die Panelanordnung folgt keinem festen Muster und variiert stark im Größenverhältnis. Authentische Bilder werden mit nicht realen Sequenzen kombiniert. Alle Zeichnungen verströmen ein ganz besonderes Maß an achtsamen Verständnis. In Vorder- und Rückeinband findet sich - versehen mit Porträts, dazugehörigen Namen und Zuordnung - ein hilfreiches Personenverzeichnis. Im Anhang liegen ein unterstützender Lebenslauf und ein ausführliches Literaturverzeichnis.

Das Cover des großformatigen Hardcover-Bands zeigt eine schreibende Virginia Woolf, aus deren Feder Personen und ihre Geschichten fließen.  Und wirklich:

„Virginia Woolf hat nicht aufgehört uns zu erzählen.“

Fazit:

Virginia Woolf ist mehr als eine Lebensbeschreibung. Mit ihrem Werkzeug, in Bild und Wort, spürt die Comic-Biografie dem bewegten getriebenen Leben dieser außergewöhnlichen Autorenpersönlichkeit gewissenhaft und empathisch nach. Dabei wird sie zu einer Hommage an eine bemerkenswert starke Frau, die trotz der gesellschaftlichen Einschränkungen ihrer Zeit und schwerster ureigener seelischer Bedrängnis, ein literarisches Werk schuf und Gedankenanstöße in der Geschlechterfrage gab, die bis in unsere Gegenwart nicht an Faszination und Bedeutung verloren haben.

Virginia Woolf

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