Mit der Kraft der Fantasie
Patchwork-Geschwister auf Alien-Jagd
Vorbei sind die Zeiten als Crissi von ihrem Baumhaus die Leute beobachtete. Als sie mit detektivischem Spürsinn scheinbar verdächtigen Machenschaften nachging und ihre Ermittlungsfortschritte akribisch in ihr Tagebuch kritzelte. Wir sehen nun quasi die neue Crissi. Spezialagent Crissi! Eine geheime Botschaft hat sie aus dem Schläfer-Modus reaktiviert. Und nun ist sie voller Tatendrang und einsatzbereit für ihre erste gefährliche Mission: Eine auf der Erde notgelandete Alien-Rakete aufspüren und sicherstellen, dass von ihrer außerirdischen Besatzung keine Gefahr ausgeht. Obwohl Crissi natürlich ein mit allen Wassern gewaschener Profi auf ihrem Gebiet ist, verlangt ein heikles Unterfangen dieses Ausmaßes nach tatkräftiger Unterstützung. An der Seite der Erden-Botschafterin Crissi steht Spezialagent Valentin, Ingenieur für Raumfahrt und Mechatronik.
Tatsächlich werden die beiden Agenten schnell fündig, was den überaus qualifizierten Berechnungen von Valentin zu verdanken ist. Die Alien-Rakete finden sie zwar unbemannt vor, doch schnell verdichten sich die Hinweise, dass der Besuch aus dem All sich noch in der Nähe aufhalten muss. Und… tatsächlich machen Crissi und Valentin eine Begegnung der dritten Art. Und zwar eine sehr friedliche. Es droht also kein neuer „Krieg der Welten“ und auch der „Independence Day“ muss auf ein anderes Datum verschoben werden. Der kleine Toloh-Tim entpuppt sich nämlich als ein sehr freundlicher Geselle und es stellt sich heraus, dass seine Eltern bereits auf der Suche nach ihm sind, nachdem Toloh-Tim aus Angst vor einem rituellen Familien-Trip durch die Galaxie allein ins Schiff stieg…
Wenn jemand eine Reise tut…
Natürlich sind Crissi und Valentin nicht wirklich Agenten. Und ein Alien haben die beiden auch nicht gefunden. Vielmehr spiegeln Crissis Tagebucheinträge über das gemeinsam erdachte Abenteuer ein abgewandeltes und mit kindlicher Fantasie angereichertes Bild der Realität wider.
Crissis Mutter und Valentins Vater sind ein Paar. Beide brachten ihre Kinder bereits mit in die Beziehung. Glücklicherweise sind Crissi und Valentin direkt ein Herz und eine Seele. In Crissi sieht der Junge eine große Schwester und lässt sich sofort von ihrer ansteckenden Fantasie verzaubern. Da die Patchwork-Familie in naher Zukunft eine große Reise plant, ist Valentin allerdings beunruhigt. Sein Vater Stephan erwähnte beiläufig und ohne große Hintergedanken, dass Reisen die Leute verändern würde. Nun sorgt sich der Junge, dass er seinen Freunden entwachsen könnte, sobald er wieder heimkehrt. Von väterlicher Seite zögernd und unbeholfen, dem Jungen auf behutsame Weise näherzukommen, um die Situation zu entschärfen, springt Crissi ein, der Valentin blind vertraut. Ganz wie der kleine Alien Tholo-Tim, soll auch Valentin auf spielerische Art lernen, dass seine Angst vor der großen Reise unbegründet ist.
Kindgerechtes Abenteuer mit Tiefgang
Gekonnt werden hier Brücken zwischen Realität und Fantasie gebaut, was Crissis und Valentins Abenteuer für alle Altersklassen lesenswert macht. Dabei ist das pfiffige Mädchen kein Neuling in der Comic-Landschaft. Erdacht vom französischen Comicautor Joris Chamblain, erschienen zuvor bereits fünf Bücher von „Les carnets de Cerise“, wie „Crissis Tagebücher“ im Original heißen. Auf Deutsch erschienen diese zwischen 2015 und 2018 bei Popcom. Dieses Imprint des Tokyopop-Verlags liegt allerdings seit längerer Zeit auf Eis, da man sich ausschließlich dem Manga-Genre zu widmen scheint. Das abgeschlossene und auch ohne Vorkenntnisse lesbare Abenteuer „Valentin & Crissis Tagebücher“ ist deshalb beim Splitter-Imprint toonfish erschienen, wo man sich auch redlich bemühte, um die Neuankömmlinge gut aufzunehmen. Der kurzweilige Comic ist als Hardcover im Alben-Format erschienen und bringt Spaß für Jung und Alt, wobei der Fokus doch auf den jüngeren Lesern liegt. Von Crissis erfrischend-kindlicher Fantasie werden sich aber auch ältere Semester sicher gern anstecken lassen.
Partielle Lichtblicke
Die reale Handlung haut einen zeichnerisch echt um. Wunderschön und farbenfroh ging die französische Illustratorin Aurélie Neyret hier zu Werke, die auch Crissis bisherige Abenteuer mit leuchtenden Farben in Szene setzte. Harmonisch und voller Charme erstrahlt jedes einzelne Panel. Der Zeichenstil ist dabei modern, ebenso wie die offensichtlich digitale Kolorierung. Dezent scheinen hier Manga-Einflüsse durch, die jedoch westlicher nicht sein könnten.
Crissis und Valentins Ausflüge in die Fantasie werden von ihnen in ihrem Tagebuch festgehalten, welches Neyret auch dem Alter der Protagonisten entsprechend gestaltet hat. Die schriftlichen Einträge sind in Schreibschrift verfasst, was sofort Flashbacks an alte Schulhefte hervorruft. Gespickt mit Notizen, Listen, Anmerkungen und kindlich-naiver Malerei sind die Seiten sehr authentisch geraten, nehmen jedoch einen sehr großen Teil im Comic ein. Hier hätte ich mir mehr Seiten der realen, in Hochglanz angefertigten Zeichnungen gewünscht.
Fazit:
Ein interessanter Stil-Mix, der im Großen und Ganzen recht gut funktioniert und auf gleich mehreren Ebenen die Handlungen zusammenführt. Intelligent und charmant. Da die „Tagebücher“ klar im Fokus stehen, wie der Titel schon vermuten lässt, ist auch der Stilbruch der kindlichen „Kritzeleien“ zu verschmerzen, die gegenüber den realen Geschehnissen natürlich optisch den Kürzeren ziehen.
Joris Chamblain, Aurélie Neyret, toonfish
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