Schwierig, schwierig…
Puh…,
…ja, wo fangen wir da an? Eigentlich beginne ich gerne mit einer kleinen Inhaltsangabe, damit Ihr, liebe Leserinnen und Leser, gleich einen Eindruck davon bekommt, ob vorliegendes Werk thematisch für Euch überhaupt interessant ist. Doch gleich da fängt es an zu hapern. Nicht die einzige - und bei Weitem nicht problematischste - Baustelle, doch dazu später mehr.
Inhalt, genau… naja, ich versuch’s mal:
Ein uns nicht näher vorgestellter Autor versucht hände- und nach Worten ringend, einen Roman zu Papier zu bringen. Schaurig soll es sein. Und möglichst geerdet und mit authentischen Figuren. Leider steht er sich dabei selbst im Weg und verfällt immer wieder in alte Muster, das Geschehen durch parodistische Züge eigenhändig zu sabotieren. Man kann nun mal schwer aus seiner eigenen Haut und so klagt er sein Leid jedem, der bereit ist, ihm Gehör zu schenken. Mal seinem Diener, dann einem sprechenden Raben.
Innerhalb seiner Geschichte geht es nicht weniger abstrus zu. Die junge Amelia Earnshawe, frisch verwaist und auf dem Weg zu ihrer neuen Arbeitsstelle als Gouvernante, wird von einem Kutscher mit fragwürdiger Verhaltensweise wortlos in der Nacht ausgesetzt. Ohne Gepäck, dafür mit reichlich Angst in den Knochen, irrt sie durchs Moor und den finsteren Wald… bis sie auf ein einsam gelegenes Herrenhaus stößt. Erschöpft klopft sie an die Pforte, die sogleich geöffnet wird. Ihrem mysteriösen Gastgeber scheint Amelia keine Unbekannte zu sein, was sie einerseits überrascht, andererseits aber nicht davon abhält, das namenlose Haus zu betreten…
Klischee-Parade
Ist das Literatur, oder kann das weg? Ähnlich wie der mit sich hadernde Autor, der stets daran zu scheitern scheint, ernstzunehmende Zeilen zu verfassen und seinem Ärger darüber ordentlich Luft macht, ging es mir als Leser von „Unheilige Bräute“. Stilistisch atmet die Geschichte den Geist der britischen Traditionsschmiede HAMMER FILMS, die uns über Jahrzehnte cineastische Schauerstücke wie „Dracula“ (1958), „Der Hund von Baskerville“ (1959), „Der Fluch von Siniestro“ (1961) oder „Das alte finstere Haus“ (1962) bescherte. Richtig Tiefe bekommt diese Aneinanderreihung von Horror-Klischees aber kaum, denn dafür, dass die knappe Handlung zusätzlich noch abwechselnd in die scheinbar reale und dann noch die fiktionale Ebene gesplittet ist, ist der Umfang einfach deutlich zu gering. Scheinbar eine fixe Idee, die sich in ihren Grundzügen noch einigermaßen spannend und erzählenswert anhörte, in ihrer Ausführung aber mehr Fragen aufwirft, als Antworten geliefert werden können.
Die zeichnerische Umsetzung von Shane Oakley beginnt vielversprechend. Die Kombination aus modern-zackigen Illustrationen und extrem übertriebenem Schattenspiel hat durchaus ihren Reiz. Dieser schöne Eindruck verpufft aber spätestens dann, wenn die Übersicht anfängt, darunter zu leiden. Zum ersten Mal bereits nach wenigen Seiten. Um nicht komplett den Faden zu verlieren, unterscheiden sich die Passagen aus Sicht des Erzählers und das Erzählte selbst immerhin farblich. Oakleys Stil könnte man als übereifrig Mignola’esque mit einem Hauch Bernie Wrightson beschreiben.
Causa Gaiman
Kommen wir nun zum komplett unangenehmen Teil: Neil Gaiman. Bereits vor den aktuellen Meldungen gab es immer wieder Vorwürfe gegen den britischen Bestseller-Autor. Ihm wird „sexuelles Fehlverhalten“ in mehreren Fällen vorgeworfen. Er soll Frauen psychisch und physisch gegen ihren Willen bedrängt haben, und das über Jahre. Gaiman selbst bestreitet die Vorwürfe in einem Statement, sieht sich aber erneutem Gegenwind konfrontiert: Ein ehemaliges Kindermädchen hat nun eine millionenschwere Klage eingereicht, die sich auch gegen Gaimans Frau Amanda Palmer, mit der er gerade in Scheidung liegt und einen andauernden Sorgerechtsstreit führt, richtet. Sie soll gewusst haben, dass ihr Mann bereits mehrfach übergriffig gegen junge Frauen wurde.
Inwieweit man „Kunst“ und „Künstler“ voneinander trennen kann, liegt an jedem selbst. Generell versuche ich persönlich dies, so lange nicht Verhaltensmuster eines Beschuldigten in dessen Werk zu erkennen sind. Ungern hätte ich „Sieben“ vom Thron meiner Lieblingsfilme gestoßen, nachdem dessen Darsteller Kevin Spacey nach Anschuldigungen im Jahr 2017 letztendlich (2022 in New York und 2023 in London) in allen Anklagepunkten freigesprochen wurde, sich karrieretechnisch aber bis heute nicht von den Folgen erholen konnte. Hier fiel es einfach zu trennen, denn meist sind Schauspieler in ihren Rollen weit von ihrer privaten Natur entfernt. Das ist ihr Job. Schriftsteller, deren geistiges Eigentum direkt und ungefiltert auf die Seiten fließt, sehe ich da etwas kritischer. Im Falle von Gaiman bekomme ich sogar arge Bauchschmerzen, da er neben Comic-Meilensteinen wie „The Sandman“ oder MAREVELs „1602“ auch Kinderbücher wie „Coraline“ und „Das Graveyard-Buch“ verfasste. Die Zeit wird zeigen, was noch an die Oberfläche kommt und wie und ob er sich für seine mutmaßlichen Taten verantworten muss. Gaimans Karriere hat aber bereits jetzt ordentlich Schaden genommen. Der US-Publisher DARK HORSE cancelte die laufende Comic-Reihe „Anansi Boys“, NETFLIX zog dem „Sandman“ den Stecker (die bereits fertige zweite Staffel soll noch 2025 verfügbar sein, eine dritte Season wird es aber nicht geben), PRIME VIDEO hat die Produktion der dritten Staffel „Good Omens“ gestoppt und eine Umsetzung von „Das Graveyard-Buch“ ist bei DISNEY gleich ganz vom Tisch.
Fazit:
„Unheilige Bräute der grausigen Sklaven im düstren Haus der Nacht des finstren Verlangens“, um einmal den vollen Titel der Kurzgeschichte genannt zu haben, lässt mich eher enttäuscht zurück. Eine sehr, sehr knappe Fingerübung, deren Fehlen ins Gaimans schöpferischem Gesamtwerk wohl kaum auffallen würde. Komplettisten der „Neil Gaiman Library“ werden wohl zugreifen, alle anderen Phantastik-Liebhaber sollten diesen Titel auslassen.
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Neil Gaiman, Shane Oakley, Splitter
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