Text:   Zeichner: Robert Deutsch

Turing

  • Avant
  • Erschienen: März 2017
  • 0
Turing
Turing
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonFeb 2018

Story

Dramatischer Leidensweg eines geheimen Helden, dessen sexuelle Orientierung ihm zum Verhängnis wurde. Liebe- und würdevoll erzählt.

Zeichnung

Ausdrucksstarke Bilder in kräftigem Acryl. Skurril und unproportioniert, aber unbe-schreiblich ansprechend und berauschend.

Der Held, der keiner sein durfte

Ein streng geheimes Leben

So lautet auch der deutsche Untertitel des Films „The Imitation Game“ aus dem Jahr 2014, der mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde. Morten Tyldums Filmbiografie wurde in sieben weiteren Kategorien nominiert, darunter auch eine Nominierung für den britischen „Sherlock“-Darsteller Benedict Cumberbatch, der eine beeindruckende Leistung bei der Verkörperung des Alan Turing abrief und den Goldjungen verdient gehabt hätte… wäre da nicht sein Landsmann Eddie Redmayne gewesen, der für eine ebenso überzeugende Darstellung eines Genies die Auszeichnung für sich beanspruchen konnte: als Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“.

Der Mathematiker, Informatiker und Kryptoanalytiker Alan Mathison Turing zählt heute zu den Pionieren der Informatik, dessen nach ihm benannter Turing-Test das Vorhandensein von künstlicher Intelligenz belegen, bzw. überprüfen soll. Seine brillanten Theorien waren der Grundstein für den Start des Computer-Zeitalters und auch seine Arbeiten in der theoretischen Biologie waren wegweisend. Man mag meinen, dass einem Genie wie Turing durch seine Genialität alle Türen offen gestanden hätten, doch die Wahrheit sieht viel tragischer aus. Noch tragischer sogar unter dem Umstand, dass seine größten Taten im Verborgenen stattfanden und ihm der Triumph über seine lebensrettenden Taten zu Lebzeiten verwehrt blieb.

Baracke 8

Der englische Landsitz Bletchley Park, in der Grafschaft Buckinghamshire, diente während des Zweiten Weltkrieges als militärische Dienststelle, die sich mit der Entzifferung des Nachrichtenverkehrs der Wehrmacht befasste. Die dortigen Aktivitäten blieben bis 1973 streng geheim. Die sogenannten „Codebreaker“ in Bletchley Park wurden in verschiedene Teams eingeteilt und arbeiteten aufgeteilt in unterschiedlichen „Baracken“ an ihren Fortschritten. In „Baracke 8“ befassten sich die Codeknacker, unter der Leitung Turings, mit dem Dechiffrieren von Funksprüchen der Kriegsmarine.

Die deutsche Rotor-Schlüsselmaschine „Enigma“ stellte Alan Turing und die anderen Experten vor die größte Herausforderung. Die Maschine, die äußerlich einer Schreibmaschine gleicht und auch genauso bedient wird, besticht durch ihr komplexes Verschlüsselungssystem und machte ein Entschlüsseln aufgrund einer schier endlosen Anzahl von Möglichkeiten, durch Walzenlagen, Ringstellungen und Steckerverbindungen, nahezu unmöglich. Die Fortschritte gingen nur langsam voran und die Zeit saß den Codeknackern im Nacken. Das Dechiffrieren gestaltete sich als äußert aufwendig und die Deutschen änderten regelmäßig die Einstellungen ihrer Maschinen, was beim Decodieren berücksichtigt werden musste und die entschlüsselten Nachrichten mit reichlicher Verzögerung eintreffen ließ.

In der heißen Phase des Krieges gelang den Experten aus „Baracke 8“ unter großem Aufwand eine rechtzeitige und regelmäßige Decodierung der deutschen Nachrichten und des Gegners Pläne ließen sich lesen wie ein offenes Buch. Unter der Vorsicht, den Feind nicht ahnen zu lassen, dass man dessen taktische Züge kennt, konnte so maßgeblich zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges beigetragen werden. Die geheimen Helden konnten durch ihre Genialität tausende Menschenleben retten, doch ihr Ruhm unterlag der strengsten Geheimhaltung.

„Dip the apple in the brew…“

Der freiberufliche Illustrator und Grafikdesigner Robert Deutsch liefert mit „Turing“ sein Debüt ab… und was für eines. Er folgt nicht dem Lebenslauf des Mathematikers und orientiert sich auch nicht an der erfolgreichen Verfilmung. Deutsch beleuchtet das tragische Privatleben von Alan Turing, der seine Homosexualität offen auslebte, was im England der 50er Jahre noch strafbar war und dem Genie mit dem jungenhaften Charme zum Verhängnis wurde.

Die Zeit in Bletchley Park wird zur Randnotiz, fällt aber natürlich nicht unter den Tisch und wird, ebenso wie die Verschlüsselungsmaschine „Enigma“, ausreichend beleuchtet. Der Fokus liegt aber auf dem Menschen Turing, dem nach einem Einbruch in sein Haus, an dem sein damaliger Liebhaber beteiligt war, der Prozess gemacht wurde. Durch eine simple Zeugenaussage zum Tathergang veränderte sich sein Leben drastisch. Er bekannte sich zu seiner gleichgeschlechtlichen Liebe und wurde dafür angeklagt. Gefängnis oder Hormontherapie… eine nette Beschreibung für chemische Kastration. Turing wählte Zweites… Die Behandlung ließ ihn in eine tiefe Depression fallen und drastische Veränderungen an seinem emotionslosen Körper veranlassten ihn dazu, seinem unglücklichen Leben ein viel zu frühes Ende zu bereiten. Alan Mathison Turing starb am 7. Juni 1954 mit nur 41 Jahren.

Erst im Dezember 2013 wurde er posthum durch Queen Elisabeth II. rehabilitiert, indem sie eine königliche Begnadigung aussprach. Eine viel zu späte Würdigung an seine unglaubliche Leistung und seine revolutionären Verdienste.

„…let the sleeping death seep through“

Robert Deutsch lässt den Leser an den drei letzten Jahren im Leben von Alan Turing teilhaben und beschreibt diese, größtenteils biografisch, in farbenprächtigen Acrylmalereien. Der beeindruckende, schwere Hardcover-Band beginnt mit dem Fund des leblosen Körpers und endet auf imposante Weise mit dem Freitod des Mathematikers. Motive von Walt Disneys erstem abendfüllenden Spielfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, dessen Verse „Dip the apple in the brew, let the sleeping death seep through“ Turing Zeit seines Lebens öfter vor sich hinsprach, da der Disney-Klassiker ihn nachhaltig beeindruckt hat, ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch und verpassen Turings Scheiden aus dem Leben einen metaphorischen Rahmen. Gekonnt spinnt Deutsch die Anspielungen in sein beeindruckendes Geflecht, dessen unkonventionelle Inszenierung bereits ab der ersten Seite fesselt. Die auf den ersten Blick naiv anmutenden Malereien, deren unförmige und abstrakte Darstellungen von menschlichen Körpern befremdlich wirken können, zeigen sich aber als perfektes Stilmittel und spiegeln stimmig das Innenleben des Hauptcharakters wieder. Alan Turings, trotz aller Genialität, kindlicher Blick auf Welt wird vom Künstler ausdrucksstark auf Papier gebannt.

Der Avant-Verlag würdigt diesem Debüt eine angemessene Veröffentlichung und legt einen wuchtigen Prachtband vor, der sich qualitativ mehr als sehen lassen kann. Das dicke, hochwertige Papier liefert die optimale Fläche für Deutschs durchdachte Darstellungen und ein Nachwort von Jonas Engelmann, sowie eine Biografie des Künstlers runden das Lesevergnügen ab.

Fazit:

„Turing“ ist eine Graphic Novel, die dem Leben und Tod eines Pioniers eine ansprechende und angemessene Würdigung verleiht. Die Tragik, die den verkannten Kriegshelden Alan Turing begleitet, geht ans Herz und lässt einen aufgrund eines abstrusen Gesetzes teils fassungslos zurück. Da Robert Deutsch den Fokus auf den Menschen Alan Turing legt und nicht chronologisch dessen Lebensgeschichte erzählt, ist sein Buch auch allen Kennern von „The Imitation Game“ zu empfehlen, da der Schwerpunkt hier viel persönlicher gesetzt ist. Deutschs „Turing“ hat mir einen sehr intimen Einblick in das Innenleben eines bemerkenswerten Charakters verschafft.

Turing

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