Text:   Zeichner: Shigeru Mizuki

Tante NonNon

Tante NonNon
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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonApr 2020

Story

Eine bewegende Kindheit im Japan der 30er-Jahre. Zwischen Alltag und Fantasie scheint so ziemlich alles möglich. Hier geht ein Pluspunkt an die erklärenden Anmerkungen im Anhang des Buches.

Zeichnung

Detaillierter Realismus paart sich mit überzeichnetem Cartoon-Stil. Eine ungewöhnliche Kombination, die überraschenderweise sehr gut funktioniert. Ein großer Pluspunkt geht an die liebenswert designten Charaktere.

Von Mythen und Yôkai

„Sobald die Nacht hereinbrach, tauchte ich ab in meine Fantasiewelt.“

Schon in frühster Kindheit war der junge Shigeru fasziniert von phantastischen Welten und ebensolchen Wesen. Befeuert wurde diese Leidenschaft noch mehr von seiner Ersatzgroßmutter, die alle nur liebevoll Tante NonNon nannten.

Japan 1931, die kleine Stadt Sakaiminato in der Präfektur Tottori. In bescheidenen Verhältnissen lebte die gläubige Tante NonNon hier mit ihrem Ehemann, der selbst bei Wind und Wetter dafür sorgte, dass das Paar sich wenigstens halbwegs über Wasser halten konnte. Doch ihr Gatte wurde krank, sehr krank… bis er seiner Krankheit schließlich erlag. Und ebenso Shiges erste Liebe. Ein kleines Mädchen namens Matsu. Verstorben an den Masern… im Grundschulalter. Heutzutage fast undenkbar, aber so wurde Shige zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert. Und er lernte von Tante NonNon, wo die Verblichenen nach dem Tod hingingen, nachdem selbst die aufrichtigsten Gebete dem laufenden Rad des Schicksals keinen Stock ins Getriebe werfen konnten. Ihr Glaube half ihr sehr durch diese schwere Zeit, konnte sie jedoch nicht mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Der Ernährer war nun fort und die arme Tante NonNon litt Hunger. Allerdings nicht lange, da Shigerus Familie sich der reizend-kauzigen Dame annahm. Sie wohnte fortan bei Familie Muraki und ging Shiges Mutter im Gegenzug für Kost und Logis zur Hand. Natürlich zur großen Freude von Shige, dem Mittleren von drei Brüdern, da ihre phantastischen Geschichten seine eh schon rege Fantasie nur noch weiter beflügelten.

Noch hatte Shige nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wie Tante NonNons lebhafte Erzählungen über die Yôkai – Fabelwesen des japanischen Volksglaubens – sein weiteres Leben beeinflussen würden. In der Schule eher zum Durchschnitt gehörend – was noch milde ausgedrückt ist – verbrachte Gege, wie Shigeru von seinen Freunden kurz genannt wurde, lieber Zeit mit seinen fantasievollen Tagträumen… oder mit der liebenswerten Dame mit der schier unerschöpflichen Quelle an Geistergeschichten. Zwischenzeitlich spielte der gute Gege aber auch mit seinen gleichaltrigen Freunden… beziehungsweise Feinden. Die Kinder zogen nämlich auf eher spielerische Weise regelmäßig in den Krieg gegeneinander. Spannungen waren da vorprogrammiert. Zwischen Vernunft, Trotz und Gerechtigkeitssinn entwickelte sich der junge Shigeru… und machte bereits früh mit Liebe, Tod und Verlust Bekanntschaft.

Ein gezeichnetes Leben

In kurzen – aber zusammenhängenden – Episoden entführt uns der Mangaka Shigeru Mizuki (1922 – 2015) in seine autobiographisch erzählte Vergangenheit. In die Zeit, die ihn künstlerisch prägte. Tante NonNons märchenhafte Geschichten über Yôkai inspirierten Mizuki zu seinen wichtigsten Werken. Sein „GeGeGe no Kitarō“ entstand zwischen 1959 und 1969 und wurde ab 1968 sogar als Anime-Serie adaptiert. Natürlich drehte sich hier alles um die mythischen Yôkai… und einen kleinen Geister-Jungen, der als Vermittler zwischen den Welten fungierte. Mit dem ebenfalls preisgekrönten „Tante NonNon“ (OT: „Non Non Ba“) kehrte Mizuki 1990 zurück zu den folkloristischen Fabelwesen, die seit der Kindheit ein wichtiger Teil seines Lebens waren.

„Tante NonNon“, welches der Reprodukt Verlag Ende 2019 erstmals für ein deutsches Publikum zugänglich machte, widmet sich nur einem Teil von Shigeru Mizukis bewegenden Lebens. Obwohl die junge Version seines gezeichneten Alter Egos von Unbeschwertheit geprägt sein sollte, werden bereits hier die Weichen für seine Zukunft gestellt. Seine Manga „Auf in den Heldentod!“ (erschienen im März 2019) und „Shigeru Mizuki: Kindheit und Jugend“ (erhältlich seit April 2020) befassen sich ebenfalls in weiteren Epochen - und in autobiographischer Form - mit dem Leben des künstlerischen Altmeisters. Ebenfalls seit März 2019 ist Mizukis Biografie „Hitler“ erhältlich, in der er versucht, hinter die Fassade dieses Monsters zu blicken. 1971 wurde diese Geschichte erstmals im Magazin Manga Sunday abgedruckt.

Ein typischer Manga?

Ja und Nein… und noch viel mehr. Das schreit nach einer Erklärung: Zuerst sei gesagt, dass die Leserichtung schon mal der eines klassischen Manga entspricht. Von hinten nach vorne und innerhalb der Seiten von rechts oben nach links unten. Japanophile Comic-Leser werden mit dieser Art des Lesens durchaus vertraut sein, doch sollten sich auch Manga-Neulinge nicht davon abschrecken lassen. Bereits nach wenigen Seiten ist man voll im „Flow“ und bemerkt kaum noch einen Unterschied zur westlichen Leserichtung. Und außerdem würde Euch dann eine wundervolle Geschichte entgehen, die optisch ebenfalls einiges zu bieten hat.

Sind die Hintergründe noch äußerst detailliert und realistisch dargestellt, erinnern die Protagonisten eher an Cartoon-Figuren. Quasi komplett gegensätzlich zu ihrem Umfeld. Trotz dieses Spagats, der einem regelrechten Stunt gleicht, fühlen die Figuren sich nie wie Fremdkörper an. Auch wurde hier weitestgehend auf die klassischen Manga-Merkmale verzichtet. Hier starren den Leser nicht pausenlos übergroße Kulleraugen an. Die gibt es zwar an wenigen Stellen auch, sind aber so geschickt und dezent platziert, dass dies auch Nicht-Manga-Fans mühelos ignorieren können. Dafür besitzen alle Charaktere einen hohen Wiedererkennungswert, was sich zum Beispiel an den Kopfformen festmachen lässt. Knuffig und stark überzeichnet, begegnen den Leser hier alle erdenklichen geometrischen Formen. Ungewohnt, aber erfrischend locker und passend. Shigeru Mizuki hatte einfach seinen ganz eigenen Stil, dem er auch treublieb.

Fazit:

„Tante NonNon“ ist ein durchaus bewegendes Werk, das zwischen leichtfüßiger Coming-of-Age-Geschichte, phantastischem Märchen, humorvollen Alltags-Situationen und einem Blick auf eine prägend-lehrreiche Kindheit pendelt. 416 Seiten, die ich ohne Pause und am Stück komplett genossen habe.

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