Der Schreibtisch-Weltenbummler
Rund um die Welt
Er schrieb von fernen Ländern. Entführte unzählige Leserinnen und Leser in fremde Kulturen und erzählte von Abenteuern, die seine Protagonisten quer über den Erdball jagten. Vom Wilden Westen, über die Kontinente Asien und Afrika, bis zu den frostigen Polen der Welt. Ähnlich wie sein deutscher Schriftsteller-Kollege Karl May (1842 – 1912), der uns Winnetou und Old Shatterhand, „Der Schatz im Silbersee“ oder „Durchs wilde Kurdistan“ hinterließ, hat Emilio Salgari (1862 – 1911) ein ebenso beachtliches Vermächtnis während seiner literarischen Schaffensphase zusammengetragen. Salgari verließ dabei kaum seine italienische Heimat. Zwar träumte er als junger Bursche davon, die Welt zu bereisen, weit kam er dabei jedoch nicht. Im Sommer 1981, als der junge Emilio bei seiner Tante in Venedig lebte und dort die Seefahrtschule Sarpi (Königliches Institut für Technik und Seefahrt) besuchte, versuchte er auf einem Schiff anzuheuern, wurde des Nachts aber von der Crew unbemerkt an Land ausgesetzt. Seine kurze Karriere als Schiffsjunge auf der Italia Una brachte ihn immerhin in ein paar Winkel seiner italienischen Heimat. Im Gegensatz zu Salgari besuchte Karl May tatsächlich die Handlungsorte seiner Geschichten, wie beispielsweise den Orient oder Amerika, was ihm jedoch seelisch ordentlich zusetzte, sodass er sich bald selbst in seinen Geschichten verlor. Emilio Salgari erdachte seine Abenteuer-Welten vom Schreibtisch aus…
Die reiferen Leser werden bestimmt mit „Sandokan“ vertraut sein. „Der Tiger von Malaysia“ lief Ende der 70er-Jahre auch erfolgreich als sechsteilige Serie im deutschen Fernsehen. Es folgten weitere TV-Ableger, Kinofilme und sogar eine Zeichentrickserie, basierend auf Salgaris wohl populärster Schöpfung. Der Pirat, der als letzter Überlebender die Ermordung seiner Familie durch die Engländer rächt. Das ist der Stoff, aus dem klassische Abenteuer-Literatur gemacht war. „Der Schwarze Korsar“ ist eine weitere berühmte Figur des Schriftstellers, die aus dessen fünfbändigen Zyklus „Die Piraten der Antillen“ stammte und mehrfach für die Leinwand adaptiert wurde. Zuletzt 1976, wobei dort mit dem Inder Kabir Bedi auch der Schauspieler die Titelrolle bekleidete, der schon Sandokan im TV verkörperte. 1996 und 1998 kehrte Bedi noch zweimal für „Die Rückkehr des Sandokan“ und „Der Sohn des Sandokan“ in diese beliebte Rolle zurück.
Ein tragisches Ende
Emilio Salgari schrieb wahrlich im Akkord. Von Glanz und Glamour, was man sich bei einem sehr erfolgreichen Schriftsteller womöglich vorstellen mag, fehlte weitgehend jede Spur. Dazu hätte ihm auch die Zeit gefehlt, da er 1906 beim italienischen Verlag R. Bemporad & figlio einen Vertrag unterzeichnete, laut diesem er zwischen 1908 und 1915 ganze 32(!) Abenteuer-Romane zu schreiben hatte. So schrieb er, und schrieb, und schrieb...
Darunter litt das familiäre Umfeld. Zusehens verschlechterte sich die geistige Verfassung von Salgaris Ehefrau Ida Peruzzi, die er bereits 1892 ehelichte und mit der er zusammen vier Kinder großzog. Bereits 1909 schlug ein Selbstmordversuch Salgaris fehl. Als seine Gattin 1911 aber endgültig die Nerven verlor und in eine Anstalt eingewiesen wurde, unternahm er einen weiteren Versuch. Diesmal gelang er.
Emilio Salgari hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er mit seinen raffgierigen Verlegern abrechnete… und die vier Kinder Omar, Fathima, Nadir und Romero.
Zielgruppen- statt massentauglich
Mit der Graphic Novel „Sweet Salgari“ macht es der Autor und Zeichner Paolo Bacilieri den Lesern nicht gerade einfach. Sollte man Interesse am Leben und Schaffen von Salgari haben, kann man eigentlich an dieser Stelle aufhören zu lesen und sich nach anderen Informationsquellen umschauen (wobei die ganz Schlauen sich jetzt fragen werden, warum ich das nicht bereits im ersten Satz geschrieben habe… und womit? Mit Recht.), da der Verfasser einiges an Vorwissen vorauszusetzen scheint. Etwas weit gedacht, wenn man bedenkt, dass Emilio Salgari auch in seinem Heimatland heute nicht mehr Jedem ein Begriff ist. So beginnt die Graphic Novel mit dem letzten Tag in seinem Leben und wird immer wieder mit Rückblenden aus verschiedensten Lebensabschnitten des Schriftstellers aufgelockert, bevor sich die Geschichte dem unausweichlichen Ende nähert. Diese Rückblicke wirken dabei wie wahllose und teils austauschbare und nichtssagende Mittelteile, die ohne Anfang und Ende aus einer zusammenhängenden Biographie herausgerissen wurden. Das oben bereits angesprochene Anheuern auf einem Schiff in Venedig wird nicht erklärt… weder warum es den jungen Salgari auf den Kahn zog, noch wo er wieder ausgesetzt wurde.
Im Anhang gibt es eine Übersicht von Salgaris Werken, die textlich vom Künstler zitiert wurden. Sicherlich interessant für Leser, die bestens mit seinen Büchern vertraut sind. Die Anzahl derer sollte allerdings überschaubar sein.
War DAS notwendig?
Generell sind die schwarz-weißen Tusche-Zeichnungen solide, wenn auch nicht sonderlich auffällig. Landschaften und Gebäude sind recht aufwendig gezeichnet und mit vielen Details versehen. Dies beschränkt sich jedoch leider oftmals nur auf die Etablierung neuer Örtlichkeiten. In zahlreichen Panels lässt Paolo Bacilieri die Hintergründe dann einfach komplett weg, wobei der Leser sich dann mit gähnender Leere zufriedengeben muss. Wirklich schade.
Ein weiterer Punkt ist die unausgewogene Erzählweise. Kommt die Geschichte oft seitenweise mit wenigen Worten aus und es wird viel Zeit und Platz darauf verwendet, inhaltlich auf der Stelle zu treten, wird manch anderes Handlungselement in einer einzigen Sprechblase abgefrühstückt, die mal locker den Großteil einer Seite einnimmt. Gerade in solchen, gewiss nicht unwichtigen Momenten, hätte ich mir Ausführlichkeit in Wort UND Bild gewünscht.
Als komplett unnötig erachte ich die Darstellung des toten, nackten Salgari auf dem Seziertisch, dem der Großteil seiner Eingeweide heraushängt. Wem ist denn bitte damit geholfen? Einblicke in Ida Peruzzis Aufenthalt in der Irrenanstalt, die vor sich hinstöhnt, während sie starr an die Decke blickt, zeugen auch nicht unbedingt von Pietät.
Lediglich die Einbindung echter Fotografien ist ein kreativer Kniff, der aber nur an wenigen Stellen im Buch Verwendung findet.
Fazit:
In Sachen Aufmachung und Qualität ist das Hardcover aus dem Avant-Verlag über jeden Zweifel erhaben. Inhaltlich bin ich jedoch ernüchtert, was aber auf die abgelieferte Leistung von Paolo Bacilieri zurückzuführen ist. Eine halbgare Comic-Biographie, die nur Salgari-Kennern zusagen könnte.
Paolo Bacilieri, Paolo Bacilieri, Avant
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