Der (zwiebelige) Hauch des Todes
Spion & Spion & Spion & Spion & Spion & Spion…
1960, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges: Der Graf von Rummeldorf ist in höchster Sorge. Sein Kollege Petrow ist aus Russland geflohen und untergetaucht. Der Experte auf dem Gebiet des Raketenantriebs könnte mit seinem brisanten Wissen für viele Interessenten nützlich sein… nicht auszudenken, wenn das Genie den falschen Leuten in die Hände fällt. Petrow ließ von Rummeldorf und drei weiteren Kollegen verschlüsselte Botschaften zukommen. Nur zusammengesetzt ergeben die Satz-Bruchstücke Sinn und verraten womöglich, wo er sich momentan aufhält. Zu diesem Zweck treffen die Wissenschaftler sich in Rotterdam, um den Code zu entschlüsseln. Vorausschauend wie der Graf ist, hat er seine Vertrauten Spirou und Fantasio ins Boot geholt.
Mit ein wenig Hirnschmalz ist codierte Botschaft schnell geknackt. Der Überläufer Petrow befindet sich in einem Hotel in Istanbul und wartet dort auf Rettung. Einer der Wissenschaftler erwähnt glücklicherweise, dass er sich auf den Weg machen muss, da er zu Ehren der Gartenbauausstellung „Floriade“ eine historische Reise wiederholen wird. So wie der flämische Diplomat Ogier Ghislain de Busbecq 1560 die erste Tulpenzwiebel (ein Geschenk vom osmanischen Sultan Süleyman I) nach Rotterdam brachte und damit die Niederlande als Tulpenland bekannt machte, will er den Weg 1:1 mit der Postkutsche nachfahren. Welch glücklicher Zufall, dass die Tulpenzwiebel sich einst aus Istanbul auf die lange Reise machte. Fantasio fällt es gleich wie Schuppen aus den Haaren, dass man Petrow an Bord der Kutsche perfekt nach Rotterdam schmuggeln könnte. Quasi öffentlich und vor aller Augen. Eine derart riskante und dämliche Idee, dass sie sogar funktionieren könnte! Doch… lassen sich sämtliche Geheimdienste dieser Welt wirklich derart an der Nase herumführen?
Spirou on Tour
„Tulpen aus Istanbul“ ist der mittlerweile vierzigste Band der „Spirou und Fantasio Spezial“-Reihe. In dieser Serie, in der der abenteuerlustige Page Spirou und der hektische Reporter Fantasio außerhalb ihrer regulären Alben-Reihe agieren, erleben die beiden Freunde meist abgeschlossene Abenteuer, die von internationalen Künstlern umgesetzt werden. Eine große Ehre, denn „Spirou und Fantasio“ sind seit Jahrzehnten belgisches Kulturgut und zählen zur Crème de la Crème der frankobelgischen Comic-Szene. Erst 2018 durfte der deutsche Künstler Flix („Das Humboldt-Tier“, „Münchhausen“, „Glückskind“) für „Spirou in Berlin“ zum Stift greifen. Ein voll und ganz gelungenes Werk, welches sich 2020 noch mal als einunddreißigster Band der „Spirou und Fantasio Spezial“-Reihe die Ehre gab. Nun durften unsere niederländischen Nachbarn zeigen, wie die beiden Helden sich bei ihnen schlagen.
Übernommen hat das Ganze Hanco Kolk. Bei Weitem kein unbeschriebenes Blatt, denn aus seiner Feder stammt „Gilles der Gauner“, den man gemeinhin gerne mal als „niederländischen Asterix“ bezeichnet. Mit solchen Vergleichen tue ich mich persönlich etwas schwer, zumal der gute „Gilles“ erst kürzlich bei PANINI seine Deutschland-Premiere feierte. Ganz im Gegensatz zum vermeintlichen Vorbild, welches man bereits seit den 1960ern kennt. Nichtsdestotrotz ist „Gilles de Geus“, so der Originaltitel, in seiner Heimat extrem bekannt. Auch wenn der Wegelagerer, der seine späte Berufung als Widerstandskämpfer fand, sich schon länger im Ruhestand befindet, hat sein Schöpfer Stift und Papier noch nicht an den Nagel gehängt.
„Tulpen aus Istanbul“ sprüht vor Witz und durchgeknalltem Slapstick-Humor. Kolk ist sich für keine Albernheit zu schade, was den Comic sehr charmant macht. Trotz haufenweiser Kalauer und Schenkelklopfer nutzt er aber auch die Möglichkeit, seine Heimat anhand historischer Ereignisse einen verneigenden Dienst zu erweisen. Gepaart mit Running Gags und dem spielerischen Umgang mit lokalen Klischees ist das eine ziemlich runde Sache.
Aufgeräumt
Überraschend modern ist der Look des Comics. Die überdrehte Cartoon-Optik weiß mit klaren Linien zu überzeugen, sodass man immer wieder an klassische Zeichentrickfilme erinnert wird. Der angesprochene Slapstick-Humor funktioniert sogar maßgeblich durch die herrlich komischen Bilder von Hanco Kolk. Somit ist „Tulpen aus Istanbul“ weit weg vom gewohnten Stil der frankobelgischen Hit-Garanten, aber das ist ja auch der Sinn der Sache. In diesem Gewand würde ich jederzeit weitere Abenteuer von Spirou und Fantasio verfolgen.
Für die deutsche Ausgabe fertigte Kolk extra ein nagelneues Cover an, da er mit dem Originalmotiv der belgischen Veröffentlichung (2017 bei DUPUIS erschienen) nicht wirklich glücklich war.
Fazit:
Wer Spirou und Fantasio eh schon in sein Comic-Herz geschlossen hat und neuen künstlerischen Wegen aufgeschlossen gegenübersteht, wird nicht enttäuscht werden. Sympathischer Haudrauf-Humor trifft hier auf historische Verbeugungen… mit reichlich Chaos und Agenten-Spannung.
Hanco Kolk, Hanco Kolk, Carlsen
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