Krisengebeutelt
Aus Schaden wird man klug …?
Im Jahre 2151 hat sich so einiges verändert. Unsere Gegenwart kennt man entweder nur noch aus Schulbüchern oder dem Geschichtsunterricht, welcher in der Zukunft überraschend unstaubig und weniger trocken daherkommt, als wir ihn heutzutage kennen. Doch dies sind nicht die einzigen Veränderungen. Fangen wir an bei der Population. Diese ist nämlich drastisch zurückgegangen. Und wer war schuld? Blöde Frage… WIR natürlich. Dadurch, dass wir die Natur mit Füßen traten, zeigte uns Mutter Erde den Finger. Innerhalb kürzester Zeit – und zwar in wöchentlichen Abständen – wurden die Vereinigten Staaten von heftigen Stürmen heimgesucht, die man in solch zerstörerischen Ausmaßen noch nicht kannte. Es folgte eine globale Grippe-Pandemie und durch die folgenden Kriege, die durch den Kampf um die Impfstoffe ausgelöst wurden, dezimierte sich die Menschheit drastisch. In nur wenigen Jahrzehnten brach alles auseinander, Geburten gingen zurück und die Weltbevölkerung schrumpfte auf ein Zehntel, was bei rund 7,8 Milliarden (Stand Dezember 2020) doch recht… überschaubar ist.
Nach dem globalen Kollaps wurde der Natur wieder mehr Freiraum eingeräumt, während die Überlebenden sich auf sieben urbane Zonen verteilten. Nach der Neuordnung hatte der Mensch keinen Zutritt mehr in die natürliche Schutzzone, die als „Zone 1“ gänzlich sich selbst überlassen wurde. „Zone 1“ umfasst seitdem 88% der gesamten Landfläche.
Mitten in der krisengebeutelten Zeit - im Jahr 2034, um genau zu sein - verfolgte man mit SOON ein wahnwitziges Projekt. Unter mächtigem, internationalem Aufwand brach man zum Mond auf, um dort die erste Kolonie zu errichten. Ein neuer Hafen, nachdem man den alten komplett und eigenhändig versenkt hatte. Durch die astronomischen Kosten, die SOON verschlang, und die unglaubliche Menge an Ressourcen, die für das Projekt aufgewendet werden mussten, stieß SOON nicht nur auf Gegenliebe. Tatsächlich schlug der Mission viel negatives Echo hingegen. Nicht zuletzt wegen einer direkt angelegten Bohrplattform und dem systematischen Rohstoffabbau auf dem Mond, wodurch die Verantwortlichen den Vorwurf gefallen lassen mussten, dass sie anscheinend nichts hinzugelernt hätten und erneut in alte Muster verfallen würden. Nun, im Jahr 2151, steht mit SOON 2 ein weiteres Großprojekt in den Startlöchern…
Simone Jones ist die Kommandantin dieser Mission, die sie und ihr Team auf den 4,2 Lichtjahre entfernten Exoplaneten Proxima Centauri b führen soll. Nachteil des ganzen Unternehmens: Sie wird nicht wieder zur Erde zurückkehren. So wird SOON 2 für sie ein One-Way-Ticket ins Unbekannte. Ein Aufbruch… und ein Abschied. Von der Erde und von ihrem Sohn Juri. Der mittlerweile fast erwachsene Juri zeigt jedoch nicht viel Verständnis für die Pionierarbeit seiner Mutter. Und natürlich weht auch diesem Projekt wieder ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. Vor ihrer Abreise nimmt Simone ihren Sohn mit auf eine „Weltreise“. Einmal quer durch alle sieben urbanen Zonen. Ein letzter gemeinsamer Urlaub vor dem großen Start. Doch schon bald geht Juri im Alleingang auf Entdeckungsreise… und die führt ihn auch in die „Zone 1“.
Brauchen wir das? Jetzt?
Einen weiteren Comic, der den Finger in die Wunde legt? Mir mit mahnendem Zeigefinger Fakten um die Ohren haut, die an den restlichen 364 Tagen im Jahr in den Medien rauf und runter gebetet werden? Dass die Menschheit sich beim Umgang mit unserem Planeten kein Fleißkärtchen an die Tür nageln kann, ist klar. Schon verstanden. Dass die Natur ihren Unmut zusehends kundtut ist mir ebenfalls bekannt und wird durchaus mit Sorge gesehen. Löblich, dass zu nachhaltigeren Lebensweisen aufgerufen wird und es Stimmen jeglichen Alters gibt, die daran erinnern und Taten verlangen. Ebenfalls ist klar, dass der Klimawandel auch in der Pandemie-Zeit, wo eine Hiobsbotschaft der anderen folgt, keine Pause macht. Sollte es nach Impf-Debakel, Schicksalsschlägen, finanziellen Katastrophen, Beschaffungs-Versagen und organisatorischen Versäumnissen endlich mal wieder Licht am Ende des Tunnels geben, wird das Klima-Thema - neben dem noch nicht absehbaren Rattenschwanz, den die Corona-Folgen noch nach sich ziehen werden - wohl schnellstmöglich wieder die mediale Vorherrschaft übernehmen. Gut so, denn immerhin ist es ein Thema, das uns alle angeht und vor dem niemand die Augen verschließen sollte. Nur… brauche ich persönlich nun kein weiteres Comic-Buch, welches mir eine mögliche Zukunft offenbart, in der das menschliche Versagen - oh Wunder! - unserer Gegenwart das Kernthema ist. Mit Sicherheit wird „Soon“ sein Publikum finden, aber mir war es dann doch zu viel Schwarzmalerei, die dort in bedrückend monotoner Kolorierung auf mich hereinprasselte. Ob man sich mit „Soon“ nun absichtlich runterzieht und einen weiteren Brocken auf die Schulter lädt oder zu leichterer Lektüre greift, die auch mal entspannt durchatmen lässt, sei natürlich jedem selbst überlassen. Ich weiß nur, dass mein nächster Comic deutlich leichtere, fröhlichere Kost wird. Und schön bunt soll er sein.
Duster bis zappenduster
Autor Thomas Cadène und Zeichner Benjamin Adam, der das Szenario mitentwickelte, legen mit „Soon“ eine dunkle Zukunftsvision vor, der es zwar an Realismus nicht mangelt, aber gerade deshalb nur für Tage zu empfehlen ist, an denen es einem mal ZU gut geht. So bleibt ein recht spannungsarmer Mutter/Sohn-Konflikt, der in ein anklagendes und oberlehrerhaft dargestelltes Gerüst gepresst wurde, das uns zwischen den eigentlichen Story-Fetzen immer wieder und ellenlang in schwer nachzuvollziehenden und unnötig kompliziert angeordneten Info-Grafiken die menschlichen Fehltritte der kommenden 130 Jahre auf die Nase bindet. Hurra, da brechen ja goldene Zeiten an…
Fazit:
Es muss schon ordentlich die Sonne scheinen, damit der Tag nach dem Lesen von „Soon“ nicht komplett für die Katz ist. Eine entspannte Lektüre sieht anders aus, obwohl der Inhalt zeitgemäßer nicht sein könnte. Dennoch ist mir „Soon“ zu schwarzmalerisch, kompliziert erzählt und anklagend. Nach dieser Zukunftsvision freut man sich regelrecht auf entspannten Polit-Talk und leichtverdauliche Geplänkel zum optimalen Inzidenzwert.
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