Eine bessere Welt?
Schlaflos in Dooling
Die mysteriöse Schlafkrankheit namens „Aurora“ hat die Kleinstadt Dooling weiterhin fest im Griff. Nicht nur diese. Das Phänomen hat sich über den gesamten Erdball ausgebreitet… und dessen Wissenschaftler stehen noch immer vor einem Rätsel. Betroffen sind nämlich ausschließlich Frauen. Bis auf wenige Ausnahmen verfallen sie in einen komatösen Schlaf, begleitet von der Besonderheit, dass sich eine Art Kokon um sie spinnt.
Komplett aus dem Rahmen fällt Evie Black, die nach einem Doppelmord im örtlichen Gefängnis einsitzt. Evie schläft zwar auch ein, wacht aber wieder auf. Fast so, als wäre sie immun gegen „Aurora“. Das bleibt nicht lange unbemerkt, soll aber um jeden Preis möglichst geheim gehalten werden, um die Bevölkerung nicht noch mehr zu verunsichern. Als wäre das möglich, anhand der Tatsache, dass Krankenhäuser förmlich überrannt werden und Familien in höchster Sorge um ihre weiblichen Angehörigen sind. Aufwecken sollte man die Eingesponnen übrigens auf keinen Fall, da sie sich sonst wie von Sinnen auf das nächstbeste Ziel stürzen.
Nun ist guter Rat teuer, denn die mysteriöse Evie Black scheint der Auslöser der Schlafkrankheit zu sein. Über ihre Absichten lässt sie ihr verunsichertes Umfeld - allen voran den Gefängnis-Psychiater Clint Norcross - im Dunkeln, doch er will Antworten. Nicht zuletzt, weil seine Frau Lila ebenfalls von „Aurora“ betroffen ist. Sie und die anderen Frauen aus Dooling sind körperlich zwar noch vor Ort, befinden sich während ihres Dämmerzustandes jedoch in einer utopischen Traumwelt. Dort haben sie sich mittlerweile ihre ganz eigene kleine Zivilisation aufgebaut… mit allem, was dazugehört. Eine neue, männerfreie Version von Dooling. So engagiert sie sich jedoch darum kümmern, dass das ungewollte Leben in der ungewohnten Gesellschaft funktioniert, so sehr vermissen sie auch ihre Liebsten. Und mit der neuen Lebensweise kommt nicht jede der Frauen klar.
Während die Zeit im utopischen Dooling rast und ganz eigenen Regeln folgt, drängen die Herren der Schöpfung in der realen Welt weiterhin auf Antworten. Antworten, die nur Evie Black liefern kann. Das weiß nicht nur Clint Norcross, und schon bald droht Gefahr aus den eigenen Reihen. Die mysteriöse Frau wird zur Zielscheibe und das Gefängnis muss abgeriegelt werden, bevor der wütende Mob die Mauern stürmt. Lässt man Kerle mal Kerle sein, kommt nicht selten heilloses Chaos dabei heraus. Die Männer Doolings treiben diese Tatsache allerdings auf die Spitze. Ganz vorne dabei sind zwei kriminelle Brüder, die die Ereignisse als gute Gelegenheit wahrnehmen, ihre bisherigen Spuren zu verwischen. Auch sie treibt es zum Gefängnis… allerdings mit ordentlich Feuerkraft im Gepäck.
Das Erwachen
Buch 2 ist zugleich der Abschluss der Mini-Serie, die auf einem Werk von Stephen King und dessen Sohn Owen basiert, welcher 2017 im HEYNE Verlag veröffentlicht wurde. Adaptiert wurde das fast 1.000-seitige Buch von Rio Youers, seines Zeichens ebenfalls Schriftsteller. Solch einen Mammut-Roman in eine zehnteilige Heftserie, als die „Sleeping Beauties“ in den USA zwischen April 2020 und März 2022 bei IDW erstveröffentlicht wurde, umzuformen, erfordert schon einiges an Geschick. Dem Kern der Geschichte sollte möglichst treu geblieben werden, wohingegen Abstriche gemacht werden müssen, wenn es um die erzählerische Tiefe geht. Das ist im Falle dieser Comic-Umsetzung erfreulicherweise gelungen. Sehr gut sogar, denn man muss keineswegs mit der Romanvorlage vertraut sein, damit die Wirkung der gestrafften Story sich entfaltet. Somit ist „Sleeping Beauties“ nicht nur spannende Mystery-Unterhaltung, sondern auch ein clever gestricktes Gedankenexperiment, wie eine Welt ohne Männer/Frauen fürs jeweilige andere Geschlecht aussehen würde. So viel sei verraten… nicht wirklich erstrebenswert.
Maßgeblich trägt die künstlerische Umsetzung von Alison Sampson („Hit-Girl in Indien“; PANINI) dazu bei. Selbst wenn ich noch immer etwas an den - im wahrsten Sinne des Wortes - gezeichneten Gesichtern der gebeutelten Charaktere auszusetzen habe. Besonders sehenswert sind die traumähnlichen Ergüsse, in denen Panel-Grenzen eingerissen werden und die abstrakten Bilder ineinander verschmelzen. Lobend sei noch die Kolorierung von Triona Tree Farrell hervorgehoben, deren Arbeit den surrealen Touch des Comics zusätzlich intensiviert. Von erdigen Tönen bis hin zu bunten Popart-Explosionen bedient sie farblich ein weites Feld.
Fazit:
Viel zu selten, dass mal eine Geschichte von Stephen King in Comic-Form umgesetzt wird… obwohl es mit „The Stand“, „Der dunkle Turm“ und „Creepshow“ immerhin ein paar seiner Storys zu Panel-Ehren gebracht haben. Das Œuvre des Horror-Königs ist aber so facettenreich, dass „Sleeping Beauties“ nicht das Ende der Fahnenstange bleiben sollte. Fans seiner Arbeiten machen mit diesem schönen Hardcover-Zweiteiler aus dem SPLITTER Verlag garantiert nichts falsch.
Owen King, Rio Youers, Stephen King, Alison Sampson, Splitter
Deine Meinung zu »Sleeping Beauties - Buch 2«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!