Gruselgeschichten fürs Lagerfeuer
Best-of vom Meister des Manga-Horrors
Eine mysteriöse Schallplatte bringt das Schlimmste in Menschen zum Vorschein; ein Edelstein birgt einen Fluch in sich; ein Marionettenspieler wird selber zur Marionette: Zehn Kurzgeschichten von Horror-Meister Junji Ito sind in „Shiver“ zusammengefasst. Auch wenn sie alle sehr unterschiedliche Themen haben, sind sie allesamt sehr verstörend. Am meisten in Erinnerung ist mir die Geschichte „Henkerballon“ geblieben. Es fängt mit dem vermeintlichen Selbstmord eines jungen Popsternchens an, das sich an einer Leitung direkt neben ihrem Schlafzimmerfenster erhängt hat. Kurze Zeit später berichten viele Menschen, dass sie den Geist des verstorbenen Stars gesehen haben wollen: Einen riesigen, schwebenden Kopf, der sehr dem des Popstars ähnelt. Nach und nach werden mehr riesige, schwebende Köpfe gesichtet. Diese sind Ebenbilder von den Menschen, die sie jagen. Und so passiert es, dass am Himmel riesige, schwebende Köpfe mit Schlingen zu sehen sind, an deren Ende Menschen baumeln. Wenn man da keine Alpträume kriegt, weiß ich auch nicht weiter!
Kurz und knapp und weiter geht’s
Wer eine Auflösung der Geschichten oder ein Ende des Grauens erwartet, wird in „Shiver“ bitter enttäuscht. Die Kurzgeschichten sind zwar in sich geschlossen, aber ein Happy End nach dem Motto „Killer tot, alles gut“ gibt es nie. Die Geschichten erinnern ein bisschen an solche, die in meinem Freundeskreis früher gerne auf Pyjamapartys oder um ein Lagerfeuer herum erzählt wurden. Nur eine Geschichte hat gewissermaßen einen zweiten Teil, denn „Das Model“ und „Das Model - Der verfluchte Bilderrahmen“ hängen lose zusammen.
Wer aber auf der Suche nach Body-Horror mit viel Fantasie ist, findet in „Shiver“ jede Menge Material. Von den schon erwähnten Ballon-artigen Köpfen, die durch die Gegend schweben, während Menschen an einen Strick baumeln, über einen Patienten, dessen Träume immer länger werden und er sich äußerlich langsam aber sicher verändert, bis hin zu einem „Human Centipede“-ähnlichen Mann, der die Köpfe seiner Ahnen auf dem Kopf trägt... Es gibt viel Verstörendes zu sehen in „Shiver“. Nur eine Geschichte konnte ich nicht zu Ende lesen, sogar beim Schreiben wird mir noch übel, wenn ich daran denke. Da geht es um Öl und Pickel... Weiter kann ich nicht erklären, ohne zu brechen.
Träume und Ideen auf Papier gebracht
Dass die Geschichten recht lose anfangen und kein „richtiges“ Ende haben, macht sie mehr zu fieberhaften Alpträumen. Am Ende jeder Geschichte gibt es einen Kommentar vom Autor höchstpersönlich und ein paar Notizen und Skizzen zur Geschichte. Diese bestätigen meinen Eindruck, dass die Geschichten eher traumhaft erscheinen als völlig ausgeklügelte Storys. Meistens stammen die Kurzgeschichten aus Ideen oder Träumen von Junji Ito. „Henkerballon“ etwa ist eine Mischung aus einem Traum, den er als Kind hatte, mit der Idee eines Ballons, der Menschen aufhängt. Wenn man das weiß, liest man meiner Meinung nach die Geschichten mit einem anderen Blick. Für mich ist Horror ein Genre, mit dem sich Gesellschaftskritik clever umsetzen lässt. Das ist bei „Shiver“ nicht der Fall, deswegen fehlt mir hier eine Kernaussage oder eine Analogie, mit der ich den Horror erklären kann. Vielleicht würde das aber die Wirkung der Geschichten mindern und das Alptraumhafte verschwinden lassen.
Viel Horror, wenig Abwechslung
Junji Ito hat viel Fantasie, wenn es darum geht, verstörende Bilder zu schaffen. Der Rahmen für diese ist aber etwas langweilig. Klar sehen seine Figuren gut aus und die Details der Umgebungen sind hervorragend. Die Figuren und Umgebungen sehen aber alle gleich aus. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Protagonist von der einen Geschichte jetzt in der nächsten wieder den Protagonisten spielt, nur mit anderem Namen.
Fazit:
Verstörende Body-Horror-Bilder findet man in „Shiver“ zuhauf. Man sollte sich aber darauf gefasst machen, dass die Kurzgeschichten keine Auflösung bieten und für sich stehen. Mir hat das manchmal gut gefallen, dass die Geschichten eher wie Alpträume wirken, ohne Anfang und Ende. An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir aber eine Kernaussage gewünscht, oder einen gesellschaftskritischen Touch. Auch bei den Bildern fehlt mir teilweise das gewisse Etwas. Wenn es um verstörende Monster oder Ähnliches geht, sind die Zeichnungen meisterhaft. Das Drumherum ist aber eher fad und bietet wenig Abwechslung.
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