Bergeweise Wäsche… und Verantwortung
Mein wunderbarer Waschsalon
Jede Familie hat ihr Päckchen zu tragen. Gewiss sind manche kleiner, während andere tonnenschwer auf den Schultern lasten. Davor ist auch Familie Glatt nicht verschont geblieben. Marjorie Glatt ist zwar erst zwölf, stemmt jedoch bereits den ganzen Haushalt. Einerseits führt sie im Alleingang nach der Schule den Waschsalon, den ihre Mutter im Alter von neunzehn Jahren aus dem Boden stapfte, kann nach Geschäftsschluss aber noch lange nicht die Beine hochlegen. Ihre Mom verstarb im Frühjahr, und seitdem kümmert sie sich aufopfernd darum, dass die Familie nicht gänzlich auseinanderbricht. Ihr jüngerer Bruder will versorgt werden, während Marjories Vater sich emotional im Ausnahmezustand befindet. Er kann den Verlust seiner Frau nicht überwinden, zieht sich zurück und hat sich scheinbar aufgegeben. Ohne enge Freunde, denen das Mädchen auch mal sein Leid klagen könnte, ist Marjories Halt einzig und allein das Vermächtnis ihrer Mutter… der Waschsalon. Allerdings muss sie sich dort ständig mit hochnäsiger und nörgelnder Kundschaft herumplagen. Hier eine Falte, dort nicht sauber genug, dann geht es nicht so schnell, wie die feinen Leute es gerne hätten. Und das Tag für Tag. Ein wenig Mitgefühl oder gar Verständnis? Fehlanzeige. Und am nächsten Morgen wartet der nächste Spießrutenlauf schon mit der Klingel zur ersten Schulstunde. Da soll noch mal jemand sagen, man hätte es als Kind einfach.
Toppen kann dies wohl nur noch Wendell. Der hockt im Jenseits und besucht regelmäßig Meetings im GTK… dem Gesprächskreis für tote Kinder. *Schluck* Ja, den Burschen hat es viel, viiiiel zu früh aus dem Leben gerissen, womit er sich nicht recht abfinden mag. Verständlich, denn sein Dasein in einer farb- und trostlosen Welt als Hauch von Nichts mit einem Bettlakenüberwurf zu fristen, gehörte mit Sicherheit nicht zu den Lifegoals des mit einer ausgiebigen Fantasie gesegneten Jungen. Während die anderen Geister sich nach den Sitzungen gerne in diverse Bäder verziehen, um dort mit einer schönen Ladung Geisterklar ihre Flecken-anfälligen Laken zu säubern, bleibt Wendell lieber für sich. Dennoch ist er einsam. Und so türmt er kurzerhand auf einen Abstecher in die Welt der Lebenden. Und welcher Ort wäre besser für einen Ausflug geeignet, als ein wunderbarer Waschsalon?
Dort versucht sich Marjorie - neben den penetranten Kunden - einem mehr als aufdringlichen Nachbarn entgegenzustellen. Fast schon übergriffig, nimmt dieser den Laden regelrecht in Beschlag. Mr. Saubertuck führt sich auf, als würde ihm die Wäscherei gehören… und ginge das nach ihm, täte sie das auch bald. Er möchte dort nämlich ein Luxus-Wellness-Resort eröffnen. Er hat bereits reichlich in eine passende Werbekampagne investiert, doch an Marjorie beißt er sich (noch?) die Zähne aus. Eines ist sicher: Marjorie würde alles tun, um das Lebenswerk ihrer Mom weiterzuführen, doch Saubertuck schreckt selbst vor Sabotage nicht zurück. Und dann ist da ja auch noch der umherspukende Wendell…
Nicht blütenweiß…
Dass Brenna Thummler es schafft, ein simples Bettlaken mit Gucklöchern niedlich und liebenswert erscheinen zu lassen, muss man ihr hoch anrechnen. Besonders wenn die Geister im Jenseits miteinander interagieren, hebt sich der in diesen Momenten gänzlich entfärbte Fantasy-Aspekt der Geschichte nach vorne. Insgesamt macht die künstlerische Umsetzung einen soliden Eindruck, wobei mir hauptsächlich die detaillierten Umgebungen und die markante Kolorierung zugesagt haben. Vornehmlich Pink- und Blautöne, meist blass und unaufdringlich. Allerdings kann ich mich überhaupt nicht mit den menschlichen Figuren in „Sheets“ anfreunden. Es hapert keineswegs daran, dass die in Pennsylvania geborene Thummler ihnen nicht genügend charakteristische Merkmale auf den Leib geschrieben hätte, denn auf der emotionalen Ebene funktioniert der Comic gut, es liegt schlicht und einfach an den Zeichnungen. Schon auf der zweiten Story-Seite rutschte mir beim Anblick von Marjorie ein ungewolltes „Großer Gott…“ über die Lippen. Entweder schwer verlebt für eine Zwölfjährige, oder aber nur richtig schlecht getroffen. Zu Marjories Verteidigung muss aber gesagt werden, dass ihre Mitmenschen auch nicht viel besser wegkommen. Da ich Künstlern aber niemals ihren Stil absprechen möchte und es ja zusätzlich auch immer eine Frage des Geschmacks ist, müssen sich interessierte Leserinnen und Leser da ihr eigenes Urteil bilden. Funktionieren tut die ansonsten liebenswerte Geschichte dennoch, und die junge Zielgruppe wird über die angesprochenen Mängel vermutlich gnädig hinwegsehen.
…aber (fast) porentief rein
Eine genaue Altersempfehlung von CROCU, dem neuen kindgerechten Imprint des CROSS CULT Verlags, konnte ich im Buch nicht ausmachen, würde es anhand der beinhaltenden Themen Tod, Mobbing und Ausgrenzung jedoch erst Kindern ab zehn, frühestens neun Jahren empfehlen. Marjorie Glatt hat nämlich trotz ihres jungen Alters so einige bittere Pillen zu schlucken… und vom armen Wendell fangen wir da gar nicht erst an. Der kleine Kerl pendelt ja nicht aus Spaß an der Freud zwischen Jenseits und Realität. Ideal ist es natürlich, wenn Eltern oder Elternteile ebenfalls zwischen den „Laken“ verschwinden, damit die Kids mit eventuellen Fragen zu den angesprochenen Themen nicht allein auf weiter Flur stehen. Brenna Thummler hat aber ein gutes Händchen, wenn es um behutsames Erzählen ihrer Geschichte geht. Zu gruselig wird es sowieso nie, und selbst bedrückende Momente kriegen immer wieder positiven Aufwind. Dass „Sheets“ da klassischen, fast schon ausgelatschten Erzählstrukturen folgt, inklusive Happy End im letzten Akt, ist ebenso geschenkt wie erwartbar.
Mit „Delicates: Die Feinheiten des Lebens“ folgt im März 2023 bereits die Fortsetzung. Diese entstand 2021, und somit drei Jahre nach der US-Erstveröffentlichung von „Sheets“, wofür Brenna Thummler neben vielem positiven Echo der Leserschaft auch reichlich Lob von namhaften Kolleginnen und Kollegen erhielt. Mit „Lights“ soll im Herbst 2023 sogar noch ein drittes Buch der Reihe erscheinen. Wann mit einer deutschen Übersetzung zu rechnen sein wird, steht indes noch auf einem anderen (Wasch)zettel.
Fazit/Waschhinweis:
Bunt, emotional und mit dem Herz am rechten Fleck. Brenna Thummers eigenständiges Debüt ist für mich - mit etwas Zähneknirschen - zwar erst in der Rezensions-Mangel einigermaßen faltenfrei geworden, was junge Leser vielleicht nur am Rande wahrnehmen. Trotz manch künstlerischer Defizite und eines erwartbaren Ausgangs, ist „Sheets“ nicht die obligatorische Heile-Welt-Beschallung, sondern setzt sich mit äußerst relevanten Themen auseinander. Ein paar Fleckchen bleiben auf dem weißen Laken…, aber vielleicht hilft ja ein Messbecher Geisterklar.
Brenna Thummler, Brenna Thummler, CroCu
Deine Meinung zu »Sheets: Am Ende bleibt uns nur ein Bettlaken«
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