Text:   Zeichner: Félix Delep

Schloss der Tiere - 1. Miss Bengalore

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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonSep 2020

Story

Trotz der düsteren Thematik mutmachend und schön. Mit Charakteren, die sehr schnell ans Herz wachsen.

Zeichnung

Disney-esque und einfach nur toll anzusehen. Unglaublich, dass dies der Erstling des Zeichners Delep ist.

WI-DER-STAND!!! WI-DER-STAND!!!

Terror und Diktatur

Wo… in Belarus? Nordkorea? Im krisengebeutelten Irak? In Syrien? Afghanistan? Ja, ohne Zweifel… aber in diesem Falle – mal kleiner gedacht – in einer ganz eigenen „Republik“.

Mitten im grünen Nirgendwo liegt ein prächtiges Schloss. Nun ja, prächtig war es vielleicht einmal, aber diese Zeiten gehören längst der Vergangenheit an. Irgendwann wurde es von den Menschen zu einem Bauernhof umfunktioniert. Noch immer geschützt durch die starken, wenn auch mittlerweile maroden Mauern. Dort beherbergten die ansässigen Bauern zahlreiche Tiere. Nutztiere. Doch eines Tages verschwanden die Menschen. Wie und wann ist nicht überliefert. Nur, dass die Tiere sich selbst überlassen wurden. Ein Ende der Gefangenschaft. Freiheit! Ein Freudentag, der sie endlich aus der Sklaverei befreite. Sie von Nutzvieh zu Individuen machte. Zu Bürgern. Mit Rechten! Tja, lange währte der Freudentaumel nicht und der Traum vom unbeschwerten Leben zerplatzte wie eine Seifenblase. Ein Luftschloss.

Mit hartem Huf herrscht Präsident Silvio - ein schwarzer, bulliger Stier - über seine „Republik“. Und mit einer Miliz von zähnefletschenden Hunden traut sich keines der Tiere, seinen Regeln zu widersprechen. Silvios Wort ist Gesetz! Wer die Stimme erhebt, wird gnadenlos bestraft. So geschehen mit dem Huhn Adelaide… Zum Tode verurteilt, weil es ein Ei für sich behielt. Diebstahl = Todesstrafe… vollstreckt von den reißenden Hunden des Präsidenten. Eine folgenschwere Tat, denn durch Adelaides Tod kommt erstmalig eine Art Widerstands-Gedanke bei einem Teil der tierischen Bevölkerung auf. So spricht die Gans Margerite zu Miss Bengalore, einer Katzendame, dass sie sich an diesen Tag erinnern müssen… „als den letzten Tag, an dem wir nicht handelten“.

Miss B., wie sie kurz von den anderen Farm-Bewohnern genannt wird, schuftet täglich auf dem Bau. Schleppt Steine. Eine Tätigkeit, die eindeutig über ihre Belastungsgrenze geht, aber nach dem Unfalltod ihres Gatten muss sie irgendwie genug Knöpfe (das Zahlungsmittel im „Schloss“) auftreiben, um ihre Kleinen durchzubringen. Generell ist die Behausung, die die kleine Familie bewohnt, Kätzchen-unwürdig, aber zu mehr reicht es vorne und hinten nicht aus. Da hilft es schon ungemein, dass Gigolo-Hase Cäsar sich – trotz anfänglicher Bedenken von Miss B. … schließlich lässt er sich für Liebesdienste mit Möhrchen bezahlen – als Babysitter anbietet.

Doch erst als die Gaukler-Ratte Azelar Graugreis auf dem Hof haltmacht und die anwesenden Tiere mit einem beeindruckenden und ebenso aussagekräftigen Schattenspiel begeistert, welches von einem schmächtigen Fakir handelt, der sein Volk zu einer friedlichen Revolution aufrief, keimt in ihnen der Gedanke an einen Widerstand. Die gnadenlose Herrschaft von Präsident Silvio und eine erneute Verringerung der Nahrungsrationen machen die Lebensumstände für die friedvollen Bewohner nämlich untragbar…

Fabel-haft

Wie es sich für eine waschechte Fabel gehört, schlüpfen hier Tiere in die Haut von Menschen. Allerdings nicht wie beispielsweise im Comic-Klassiker „Blacksad“, wo Tiere vermenschlicht – also anthropomorph – dargestellt werden, sondern es werden menschliche Charakteristiken und Wesenszüge übernommen. Die tierische Gestalt bleibt komplett erhalten. Man wirft diese Tiere also in ein diktatorisch geführtes Regime, welches passenderweise nicht in einem Krisenstaat spielt, sondern auf einem abgeriegelten Bauernhof. Was das theokratische Gilead in „Der Report der Magd“ ist, ist das „Schloss“ für die leidende Tier-Bevölkerung.

Wer dabei unweigerlich an George Orwells „Farm der Tiere“ denkt, ist nicht nur auf dem richtigen Weg, sondern liegt damit goldrichtig. „Schloss der Tiere“ ist eine deutlich modernisierte Form des dystopischen Klassikers aus dem Jahr 1945. Daraus macht der Autor Xavier Dorison auch gar keinen Hehl. Vielmehr verbeugt er sich vor Orwells Werk, welches über die Jahrzehnte nichts an Intensität eingebüßt hat. Zwar geht der Aufstand im „Schloss der Tiere“ nicht gegen eine menschliche Regentschaft oder herrschsüchtige Schweine, aber an Diktatoren mangelt es ja nicht, weswegen die Rolle hier gerne mal an einen despotischen Stier gehen darf. Ähnlich wie bei der Zeichentrick-Adaption von 1954 – bei uns als „Animal Farm“ oder mit dem Untertitel „Aufstand der Tiere“ veröffentlicht – sollte man sich nicht vom kindgerechten und putzigen Zeichenstil täuschen lassen. Die Geschichte ist düster, dystopisch und könnte die Jüngsten ziemlich erstaunt/schockiert zurücklassen… Ich kenne heute noch Gleichaltrige, die noch immer nicht ihr „Watership Down“-Trauma überwunden haben.

Gruß aus der Küche…

Tatsächlich fühlt man sich beim Betrachten des Artworks an alte, klassische Disney-Zeiten zurückerinnert. „Cap und Capper“, „Aristocats“, „Bambi“, „Oliver & Co.“ und so weiter… Also nicht die Pixel-Wunderwerke aus der Pixar-Schmiede, sondern die handgezeichneten Spielfilme. Da fällt es wirklich schwer zu glauben, dass man mit Zeichner Félix Delep nicht einen Künstler vor sich hat, der schon Jahrzehnte für den Micky Maus-Konzern arbeitete, sondern ungelogen dessen Comic-Debüt in Händen hält. Damit gelingt dem 1993 geborenen Franzosen ein Einstand, der sich nicht nur sehen lassen kann, sondern sich auch noch ordentlich gewaschen hat! Gestik und Mimik ist voll auf den Punkt und sein fließender Stil ist sowohl klassisch als auch modern. Ich bin mir sicher, dass Félix Delep eine große Zukunft vor sich hat und uns noch öfter über den Weg laufen wird.

Die Farben – zusammen mit Jessica Bodard – tragen nicht zu dick auf und wirken angenehm entsättigt, was wiederum das dystopische Setting unterstreicht. Vorwiegend erdige Farbtöne bestimmen dann auch die verschiedenen Örtlichkeiten und tauchen sie ins rechte Licht. So sind die Nächte in zart-kühlem Blau, während Innenräume warm und heimelig ausgeleuchtet werden.

Fazit:

Eine tierische Gesellschaftskritik, die Missstände anprangert, die es im 21. Jahrhundert leider noch zuhauf gibt. Ein Plädoyer für einen friedlichen Widerstand und eine Stimme, die auch aus den Kehlen der Kleinsten vernommen werden sollte. Regt durchaus zum Nachdenken an… und sieht fantastisch aus!

Schloss der Tiere - 1. Miss Bengalore

Xavier Dorison, Félix Delep, Splitter

Schloss der Tiere - 1. Miss Bengalore

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