Sabrina
- Aufbau Verlag
- Erschienen: September 2019
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Falls die Sonne mal wieder ZU sehr scheint…
Der Trauerbegleiter
Eben noch hütet Sabrina das Haus ihrer Eltern, kümmert sich um deren Katze und sitzt mit ihrer Schwester am Küchentisch, plaudert über Gott und die Welt, man schwelgt zusammen in Kindheitserinnerungen, während man sich die alten Zimmer der vergangenen Jugend anschaut, und plant eine gemeinsame Radtour zu den großen Seen, inklusive Zelten und allem Pipapo, und plötzlich… ist sie verschwunden. Spurlos… einfach weg.
Ortswechsel: Calvin lebt allein, nachdem seine Frau ihn zusammen mit der gemeinsamen Tochter Cici verlassen hat. Komplett auf Abstand, weggezogen nach Florida. Er plant nach seinem Ausscheiden aus der Army dort hinzuziehen. Nicht unbedingt zur Freude seiner Ex-Gattin Jackie. Innerlich hofft Calvin jedoch, die Beziehung noch retten zu können, weswegen er auch mit einer in Aussicht gestellten Beförderung hadert. Calvin passt insofern ins Geschehen, dass er Teddy bei sich aufnimmt. Teddy ist der Freund der verschwundenen Sabrina, die auf dem Nachhauseweg von der Arbeit nie dort ankam. Einen Monat ist ihr unerklärliches Verschwinden mittlerweile her und weiterhin gibt es keinerlei Anhaltspunkte für ihren derzeitigen Aufenthaltsort… lediglich ein Überwachungsvideo, das sie auf ihrem Weg von der Arbeit zeigt. Danach: Fehlanzeige.
Teddy kommt mit dem Zug aus Illinois. Als Calvin ihn am Bahnhof abholt, findet er nur noch ein Wrack von einem Mann vor. Teddys Eltern informierten Calvin nach dessen psychischen Zusammenbruch, ob der Überwachungstechniker den labilen Mann nicht bei sich aufnehmen könnte. Calvin sagte zu. Er hatte Teddy zwar seit der Schulzeit nicht mehr gesehen und nur sporadisch Kontakt zu ihm, hielt einen Tapetenwechsel jedoch für eine gute Idee. Und genügend Platz gibt es ebenfalls. Vielleicht tut es Teddy sogar gut, wenn er mit jemandem zusammen ist, der nicht zu seinem regelmäßigen Alltag in Illinois gehört? Jemand, der ihn nicht dauernd an Sabrina erinnert? Mag sein, doch noch ist davon nichts zu spüren. Teddy ist ein Schatten seiner selbst. Wortkarg, lethargisch und komplett abwesend. Selbst ans Essen muss Calvin ihn erinnern, vollkommen unfähig seinen Alltag alleine zu bewältigen.
Erst ein Anruf von Sabrinas Schwester bringt Bewegung in die Angelegenheit. Sandra berichtet Calvin völlig aufgelöst, dass ihre Familie einen Brief bekam. Der Inhalt: Sabrinas Monatskarte. Zwischen Hoffnung und Angst, fahren die Gedanken aller Beteiligten Achterbahn. Wurde Sabrina entführt? Bedeutet der Brief, dass die 27-jährige noch lebt? Nicht viel Zeit für Spekulationen, denn schon bald wird der Fund von zwei Leichen gemeldet… und es taucht ein Video auf… abgeschickt an verschiedene Zeitungsredaktionen…
Augen zu und durch
Ein absoluter Pageturner! Aber… tja, was soll ich zur „künstlerischen“ Gestaltung dieses ansonsten sehr guten Buches sagen, ohne dem Zeichner zu sehr auf die Finger zu treten? Nett gesagt, sehen die Illustrationen aus, als wären sie von dem Typen gemalt, der sonst die Bilder von Fluchtweg-Beschreibungen in Hochhäusern kritzelt. Nicht so nett, könnte man annehmen, dass Nick Drnaso mit dem Stift in der Faust eingeschlafen wäre, im Tiefschlaf drei- bis viermal nach links und rechts wischte und nach dem Aufwachen einfach diesem Stil treugeblieben wäre… aber wie gesagt, das wäre nicht nett. Folgen wir also lieber weiter der Annahme mit den Fluchtwegen.
Jeder Künstler hat seine eigene Art, die Gedanken und somit seine Geschichte aufs Papier zu bringen. Und dies möchte ich auch niemandem absprechen. Aber den unförmigen und gänzlich emotionslosen Figuren - wenn man sie denn als solche erkennen möchte - fehlt jeglicher künstlerische Unterbau… und da lässt sich auch mit viel Wohlwollen kein Subtext oder ein vom Künstler beabsichtigtes Stilmittel hineininterpretieren. Es hat tatsächlich lange gedauert, bis ich mich an diese zeichnerische Reduktion aufs Minimum gewöhnt hatte und konnte mich schließlich irgendwann damit arrangieren. Womöglich deshalb, weil ich die Bilder nicht als treibende Kraft gesehen habe, sondern die Texte. Die Zeichnungen waren dann höchstens sekundär und mehr eine optische Stütze. So stark das Geschriebene und somit auch die bedrückend-spannende Geschichte ist, drängt sich schlussendlich aber die Frage auf, ob ein Roman nicht die bessere Alternative gewesen wäre…?
Hätte, wäre, könnte…
Vielleicht ist dies aber sogar ein ausschlaggebendes Merkmal, um „Sabrina“ auch Nicht-Comic-Lesern einmal ans Herz zu legen. Denn, wie gesagt, sind die Bilder nur Beiwerk und tragen die Geschichte nicht. Dies erledigt sie mit Bravour ganz alleine. Ihr merkt vielleicht schon… „Sabrina“ spaltet mich innerlich, wie kaum eine zweite Graphic Novel. Streicht man „Graphic“, bleibt nur noch „Novel“, was der herausragende Part ist. Letztendlich muss ich diesen Teil, den ich gerne unbeachtet lassen würde, aber mitbewerten… was wiederum dem Gesamtpaket „Sabrina“ Unrecht tun würde. Aaaaargh!!! Zwickmühle! Sagen wir es so: Solltet Ihr weniger Wert auf Illustrationen legen und seid an einer guten Story interessiert… lest es! Mögt Ihr abstrakte und minimalistische Bilder… lest es! Mögt Ihr erzählerische Tiefschläge, die die Grundstimmung ein paar Etagen nach unten befördern… lest es! Wollt Ihr wissen, welches Buch dem hier schreibenden Rezensenten NOCH mehr graue Haare verpasst hat… lest es! So… hey, das war ja leichter als gedacht!
Das handliche, gebundene Hardcover (20,3 x 24,9 cm) überzeugt auf seinen 208 Seiten mit hochwertigem Papier und macht auch generell einen wertigen Eindruck. Erschienen ist Nick Drnasos „Sabrina“ im Blumenbar-Programm des renommierten Aufbau Verlags.
Fazit:
„Sabrina“ kommt sehr entschleunigt daher. Deswegen knallen die Story-Wendungen auch wie ein Hammerschlag. Die Graphic Novel von Nick Drnaso zeigt auf erschütternde Weise, welche menschlichen Abgründe sich auftun und wie Stigmatisierung aus der Anonymität des Internets sich auswirkt. Verschwörung, Schuld(zuweisung), Verlust, Trauer und öffentliche Hinrichtung… in leisen (und leider wenig aussagekräftigen) Bildern bedient Drnaso die ganze Palette. In einer Geschichte, die erschreckend nah an der Realität ist… und vielleicht so - oder so ähnlich - bereits geschehen ist. Eventuell sogar in der unmittelbaren Nachbarschaft…? Abwegig ist dies keineswegs. Besorgniserregend, ja… aber nicht abwegig.
Nick Drnaso, Nick Drnaso, Aufbau Verlag
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