Cliffhanger-Kunst in voller Gänze
Der Gentleman-Detektiv
So könnte man J. Remington „Rip“ Kirby wohl am ehesten bezeichnen. Kirby ist weltgewandt, alles andere als desillusioniert und auch gesellschaftlich eher das krasse Gegenteil zu anderen Vertretern seiner Zunft. Trotz bester Manieren scheut er es aber nicht, auch mal die Fäuste sprechen zu lassen, sollte seinem Gegenüber nicht mit warmen Worten und Überzeugungskraft nahezukommen sein. Ebenfalls hat er es nicht nötig, für ein paar Kröten in der schmutzigen Wäsche anderer zu wühlen, lebt er doch sehr luxuriös und kann sich sogar einen Butler leisten. Desmond, kurz Des genannt, erweist sich auch in detektivischen Angelegenheiten stets als rechte Hand, die über handwerkliches Geschick verfügt. Des war nämlich mal eine große Nummer in der Unterwelt und kaum ein Safe war vor seinen flinken Fingern sicher. Selbst ohne kriminelle Energie und eben solche Beweggründe, ist Kirbys Angestellter ein unverzichtbarer Gefährte für manch kniffligen Fall. Mehr noch, ist er dem Wissenschaftler und Ex-Marine-Offizier sogar ein Vertrauter. Und ein Freund.
Und weiter geht‘s…
Nachdem uns der erste Band der bibliophilen Gesamtausgabe aus dem Bocola Verlag mit einem ordentlichen Cliffhanger entließ, nimmt „Rip Kirby: Die kompletten Comicstrips – Band 2 (1947 – 1948)“ die losen Fäden wieder auf und setzt die Storyline „Das Puppenhaus“ fort.
Rip Kirbys Freundin, das Model Judith Lynne „Honey“ Dorian, hatte sich nach einem Streit aus dem Staub gemacht und war zum Ausspannen bei ihrem Onkel, Colonel Plunkett, untergetaucht. Jedoch nicht, ohne Kirby ein paar Spuren zu hinterlassen, die auf ihren Aufenthaltsort schließen ließen. Rip und Desmond konnten die Rätsel-Knoten schließlich entwirren und so reiste der Ermittler seiner Langzeit-Liebe auf die Regenbogen-Insel nach. Dort wird er nun allerdings von sehr zwielichtigen – und vor allem schießwütigen – Gesellen in Empfang genommen. Schnell wird klar, dass Honeys Onkel etwas zu verheimlichen hat. Mehr noch, dass die eigentliche Strippenzieherin Plunketts Sekretärin Lilliam Putney, genannt „Miss Lilliput“, zu sein scheint. Das mysteriöse „Puppenhaus“, welches etwas abseits auf der Insel liegt, beherbergt ein Geheimnis, welches die Insel nicht verlassen soll. Und dafür geht „Lady Lilliput“ über Leichen.
Den Hauptteil dieses Bandes nimmt die Geschichte „Miss Bleaks Geschäfte“ ein. Diese ist auch ausschlaggebend dafür, dass die Story-Wertung gegenüber Band 1 nochmals einen Schritt nach oben geht. Auf Honey Dorian müssen die Leser hier allerdings verzichten, aber dafür gibt es ein Wiedersehen mit Pagan Lee, die sich als aufstrebender Star in Hollywood nun Madelon nennt und ihre Vergangenheit abgeschüttelt hat. Sie unterstützt ihre alte Freundin Dolly Malone, eine Broadway-Schauspielerin, die nach einer Tournee eigentlich nur ihren kleinen Sohn abholen wollte. Sie hinterließ den zweijährigen Shawn in der Obhut von Miss Bleak, die sich während ihres beruflichen Engagements eigentlich um den Jungen kümmern sollte. Allerdings steht Miss Bleaks Haus nun leer. Sie zog laut Angaben eines Nachbarn bereits vor Monaten aus und hinterließ auch keine neue Anschrift. Dolly Malone ist verzweifelt und wendet sich hilfesuchend an Pagan… pardon, an Madelon. Zufälligerweise kann diese einen sehr guten Detektiv empfehlen. Einen, der sie einst für eine hübsche Blondine abservierte, den sie aber dennoch nicht vergessen kann. Zeitgleich freut sich die wohlhabende Familie Starlock über Kinderglück. Der größte Wunsch der Millionärsgattin Ellen ist endlich in Erfüllung gegangen. Das bis dato kinderlose Paar versuchte alles, um mit legalen Mitteln eine Adoption zu erreichen, doch da Derek Starlock vor Jahren mal mit dem Gesetz in Konflikt kam, waren die Chancen auf einen positiven Bescheid gleich Null. Da greift Ellen Starlock zu anderen, dubiosen Mitteln. Aus zwielichtigen Quellen hat sie die Telefonnummer einer Agentur, die Kinder auf nicht ganz so legale Weise vermittelt. Also ruft sie dort an. Bei einer gewissen Miss Bleak…
„Angst und Schrecken auf der Themse“ bildet dann den Abschluss des Bandes. Hier hat Honey Dorian die Aufsicht über fünf junge Models, mit denen sie nach England gereist ist, um dort eine Modenschau auf die Beine zu stellen. Ihr größtes Problemkind ist dabei die unberechenbare Tochter eines wohlhabenden Magnaten. Elisabeth „Betya“ Bannister hat ihren ganz eigenen Kopf. Anstatt sich an Regeln zu halten, zieht sie es vor, sich die Nacht mit Carlo, dem Sohn der Veranstalterin Lady Winterbrook, um die Ohren zu schlagen. Betya lebt im Hier und Jetzt und setzt sich gerne über Alles und Jeden hinweg. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie Carlos Ratschlag ignoriert und trotz dessen ausdrücklicher Warnung einen nächtlichen Sprung in die Themse wagt. Carlo Winterbrook erwartet sie am anderen Ufer, doch Betya taucht nicht wieder auf…
Noir
Alex Raymond, der Schöpfer von „Flash Gordon“ und „Jungle Jim“, zieht hier erneut alle Register seines Könnens. Seine Tusche-Zeichnungen sind beeindruckend und können das verwöhnte Auge auch über 70 Jahre nach ihrer Entstehung noch begeistern. Die feinen Striche und die lebhafte, detaillierte Umgebung lassen zu keiner Zeit erahnen, dass hier unter Hochdruck gearbeitet wurde. Schließlich erschien „Rip Kirby“ regelmäßig in den US-Zeitungen. Der aufwändige Stil erweckt eher den Eindruck, dass hier ein Künstler am Werk war, der das liebte, was er tat. Raymond hat auch in den vorliegenden Geschichten wieder massiv die schwarze Tusche genutzt, um mit Schattierungen zu spielen, was enorm zur Atmosphäre beiträgt. Nach ein paar Seiten ist man bereits komplett in der Story versunken und möchte am liebsten nicht mehr auftauchen, bis der jeweilige Fall letztendlich gelöst und somit zu den Akten gelegt werden kann.
Das mehrseitige Vorwort wurde für diesen zweiten Band von Brian Walker verfasst. Der Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher über die Comic-Kunst, der zudem als Kurator mehr als 65 Ausstellungen zum Thema begleitet hat, erzählt hier von Alex Raymonds beruflichem Werdegang und der Geburtsstunde von „Rip Kirby“. Aufgepeppt wird das Ganze mit zahlreichen Illustrationen, Pin-ups und Bildmaterial der 40er-Jahre, welches den Künstler auch bei der Arbeit zeigt.
Anzukreiden gäbe es höchstens ein paar Schreibfehler. Größtenteils treten diese bei den Namen der Protagonisten auf. Hätte nicht sein müssen, ist aber auch kein Beinbruch, da man schon deutlich gravierende Schnitzer zu Gesicht bekommen hat.
Fazit:
Der charmante Playboy Kirby, der durch seine smarte, elegante Art eher in der Nähe von Sherlock Holmes als in der seiner Hard-Boiled-Kollegen anzutreffen wäre, begeistert auch in den Geschichten des zweiten Bandes. Diese erscheinen dazu weniger chauvinistisch und es warten mit Pagan Lee, Dolly Malone und Honeys Model-Freundin Elisabeth Bannister starke Frauen auf, die trotz der völlig verstaubten Rollenbilder der 40er ihren eigenen Kopf durchzusetzen wissen.
Ward Greene, Alex Raymond, Alex Raymond, Bocola
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