Heute am Abgrund… und morgen einen Schritt weiter.
Irgendwer muss es ja machen…
Menschen werden erwachsen, Menschen leben ihr Leben, Menschen werden älter, Menschen sterben. Das ist traurig, aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Noch trauriger ist es, wenn Menschen diese Lebensabschnitte einsam und allein bestreiten. Haben sie niemanden, der auf sie achtet, versterben sie oft unbemerkt. In ihren eigenen vier Wänden. Mal bemerken es die Nachbarn, mal fällt es niemandem auf. Tage, Wochen, Monate… oder gar Jahre. Wird das, was von einem Menschen nach so langer Zeit noch übrig ist, gefunden, ist es meist ein unangenehmer Fund. Würdevolle Abgänge sehen anders aus, denn dem unglücklichen Finder wird sich nicht nur der bestialische Gestank in die Nase brennen, sondern Bilder von aufgeplatzten Leichen, deren Fett sich über Bett oder Teppich ergossen hat, werden wohl noch länger im Kopf rumspuken. Da muss man schon ordentlich abgebrüht sein, dass es einen da nicht durchschüttelt und einem die letzten drei Mahlzeiten im Rückwärtsgang noch einmal Guten Tag sagen.
Die Sauerei beseitigt das Bestattungsunternehmen, für den Rest gibt es Männer vom Fach. Ein zwielichtiges Unternehmen schmiert die Polizei, um vor offizieller Seite am Fundort zu sein. Ein bestens ausgestattetes Team durchforstet dann die Behausung und verlädt alles, was sich noch zu Geld machen lässt. Wertvolle Gegenstände in die eigene Tasche zu schaffen wird selbstverständlich nicht geduldet. Vor der Abfahrt werden die Reiniger von Anzug tragenden Aufpassern gründlich durchsucht. Trauen würde es sich eh niemand, denn 1. wäre man augenblicklich seinen Job los, und müsste sich 2. noch vor den Kollegen verantworten, die in einem solchen Fall natürlich ebenfalls verdächtig wären. Da es sich meist um mit allen Wassern gewaschene Konsorten handelt, geht man solch ein Risiko per se nicht ein. Sich für ein paar Scheine oder ein paar vergoldete Manschettenknöpfe die anschließend mit Sicherheit demolierte Kauleiste neu möblieren zu lassen wäre den Aufwand nicht wert. Also läuft alles streng nach Plan, während andere sich die Taschen vollstopfen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
Reflex mit Folgen
Ein Mitglied der Truppe, die man am ehesten als Mischung aus Tatortreiniger und Entrümplungsunternehmen bezeichnen könnte, ist Derrick. Für seine vierzig Jahre erschreckend verlebt, hält er selbst keine großen Stücke auf sich. Wenig überraschend, dass er seinen Job hasst. Fast so sehr, wie jeden Abend zu seiner abgehalfterten Lebensgefährtin zurückzukehren, die er selbst als wasserstoffblonde Schlampe bezeichnet. Deshalb verbringen er und seine Kollegen auch nach Feierabend lieber noch etwas Zeit in ihrer Stamm-Bar, wo sie sich immerhin an den Kurven der attraktiven Kellnerin erfreuen können, während sie sich an ihre Biergläser klammern und den Frust des Tages runterspülen. Derricks Kollegen sind nicht weniger durch als er selbst. Da wären zum Beispiel Albert, ein spindeldürrer Eigenbrötler, der nach dem Fund einer 18-jährigen mit Überdosis eine krankhafte Obsession für das tote Mädchen entwickelt hat, oder der tätowierte Hüne Eugène, ein Ex-Knacki mit extrem kurzer Zündschnur. Maulheld Mike, der mürrische Lagerverwalter Dédé und der steinalte Maurice sind da noch die Harmlosesten.
Als Ahmed, ein junger Araber, neu zum eingespielten Team stößt, feiert er seine Premiere ausgerechnet mit einer sogenannten Klebeleiche. Eines jener besagten Exemplare, welches jahrelang vor sich hingammelte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Nun, in diesem Fall hat die in ihrem Bett verblichene Dame wohl Aufmerksamkeit erregt, genützt hat es ihr aber wenig. Unmittelbar neben ihr fanden sie ihren ebenfalls verwesten Sohn, der wegen einer Querschnittslähmung im Rollstuhl saß und weder seiner Mutter noch sich helfen konnte. Sollte in dieser Tragik auch nur ein Hauch Komik versteckt sein, würden sie nicht mal Derrick und sein Team finden. Oh man…
WAS Derrick allerdings findet - während der arme Ahmed versucht, sein dummerweise zuvor verzehrtes Frühstück nach Farbe, Form und Konsistenz zu sortieren -, ist ein feiner Ring mit einem fetten Klunker. Ein Klunker, der ihm vertraut vorkommt. Tatsächlich erzielte der funkelnde Diamant bei einer Auktion erst satte 800.000 Piepen. Fast schon reflexartig und ohne mögliche Konsequenzen genau durchzuspielen, schluckt Derrick das gute Stück hinunter. Damit wäre er fein raus und könnte seinem miserablen Leben einen gewaltigen Schubser in die andere Richtung geben. Allerdings ahnt er nicht ansatzweise, welch folgenreiche Verkettung von tragischen Ereignissen er damit für sich und seine Mitarbeiter lostritt.
Der Tod folgt einem Konzept
„Derrick: Ich werde den Tod nicht überleben“ ist der erste Band einer neuen Konzeptserie, die von Szenarist Gaet's („Catamount“, „The Doors - Das Comic!“, „The Beatles“) in sechs Teilen erzählt wird. Jeder Band wird aus der Sichtweise eines anderen Charakters erzählt, was durchaus Spannung verspricht. Konfliktpotential ist mehr als genug vorhanden und auch die Figuren bieten ausreichend Fläche, um ihre Leben und Schicksale zu vertiefen. Die Atmosphäre ist dabei so dreckig und versifft, wie sich die Thematik schon anhört. Am Tod lässt sich halt nicht viel Schönes finden. So startet die Geschichte schon sehr trostlos und zynisch, lässt aber immer wieder morbiden und ebenso pechschwarzen Charme durchschimmern. Ich bin sehr gespannt, wie Derricks Kollegen ihre Leben bestreiten und den Steinen ausweichen, die er ins Rollen gebracht hat. Der Älteste im Team steht mit „Maurice: Die Fliegen folgen immer dem Aas“ schon in den Startlöchern.
So zappenduster sich die Story anhört, so trist ist auch die optische Präsentation. Zeichner Julien Monier nutzt weitestgehend erdige Farben, um seine Bilder entsprechend wirken zu lassen. Die Figuren sind semi-realistisch gezeichnet. Das ist äußerst passend, denn durch die gewollten Überzeichnungen haben die einzelnen Charaktere einen hohen Wiedererkennungswert. Ähnlich der Konzeptserie „7 Detektive“ (ebenfalls SPLITTER), in der allerdings unterschiedliche Zeichner zum Einsatz kamen und die jeweiligen Hauptfiguren erst spät zusammengeführt wurden. So zeichnet sich Derrick beispielsweise durch einen länglichen Kopf aus, der durch seinen dichten Vollbart und die hoch sitzende Kappe noch gestreckter wirkt, während der unberechenbare und stets gewaltbereite Eugène seine Kollegen allein schon in Höhe und Breite überragt und zudem durch seine markanten Tattoos und dem Pferdeschwanz heraussticht. Man merkt, dass sich zu jeder Figur Gedanken gemacht wurden. Das ist natürlich eine ideale Ausgangslage, denn schließlich muss jeder Charakter einen Band auf seinen Schultern tragen… egal wie breit diese sind.
Fazit:
Wer eine Karriere mit Aufstiegschancen anstrebt, sollte den Job von Derrick & Co. bei einem Wunsch nach Veränderung mit dem dicksten, schwärzesten Edding durchstreichen, der sich finden lässt. Wer hauptberufliches Würgen mit eventuell chronischem Würfelhusten okay findet und auch einem Hauch modrigen Leichen-Miefs nicht abgeneigt ist, darf sich ein dickes Fell überwerfen und vorsprechen. In jedem Fall erwartet Euch ein siffig-finsterer Trip in menschliche Abgründe, nach dem selbst der grauste Alltag wie ein Spaß-Tag in Disneyland erscheint.
Gaet's, Julien Monier, Splitter
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