Zwischen den Zeilen
Die etwas anderen Helden
Was haben ein Cyborg-Ninja, ein blauer gestaltwandelnder Tiger, eine Vampir-Piratin, das wohl älteste Kind der Welt und eine zynische Granny in ihren besten Jahren gemeinsam? Sie bilden die wohl schrägste Superhelden-Truppe seit der Ampel-Koalition… und haben wohl auch die abenteuerlicheren Lebensläufe vorzuweisen. Sie stammen allesamt aus unterschiedlichen Geschichten, ausgedacht von irgendwelchen Autoren. Doch sie eint ein Ziel: den Murks auszubessern, den übermotivierte Neu-Schriftsteller auf die Welt loslassen wollen. Klingt verrückt, oder? Ich versuche mal, ansatzweise plausibel zu erklären, was es damit auf sich hat:
Als Erleichterung wurde ein Software-Tool entwickelt, mit dem unveröffentlichte Bücher schnell und möglichst unkompliziert lektoriert werden konnten. Doch beim Start des Programms ging etwas schief und anstatt die digitalen Werke zu veröffentlichen, wurden sie gelöscht. Um quasi dazwischenzufunken, wurden die „Plot Holes“ installiert. Unter der Führung der strengen Ed springen Johnny Manga, Röar, Kevin und Le Rasoir tagtäglich in neue Bücher, die in einer gigantischen Bibliothek erscheinen, um diese vor ihrem Release zu korrigieren. Die Erfolgsrate des Teams lässt sich an einem Zähler ablesen. Knallt dieser allerdings auf null, bricht das ganze Programm zusammen… Game Over für die „Plot Holes“.
Da es in der Gruppe kürzlich einen schweren Verlust zu beklagen gab, muss nun ein geeigneter Ersatz her. Den erhofft sich Ed im gescheiterten Comic-Zeichner Cliff Wieselwitz zu finden. Mit dem Nerd-Wissen auf Du-und-Du, könnte er durchaus eine Bereicherung sein, allerdings muss er dazu erstmal vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Ed reißt ihn förmlich aus der dümmsten Geschichte überhaupt… unserer (vermeintlichen?) Realität.
Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt dem schwer überforderten Cliff nicht, denn eine gigantische Bedrohung schlängelt sich quer durch die bunte Geschichte der Literatur. Die Last unzähliger Welten ruht auf den wackeligen Schultern einer kleinen Gruppe, die erst noch beweisen muss, wie man als Team zu funktionieren hat.
Mit gutem Willen
Ääääh, ja… darauf muss man erstmal kommen. Sean Murphy („Tokyo Ghost“) zieht wahrlich alle Register und wirft so ziemlich jedes Genre in sein köchelndes Töpfchen. Das klingt von der Idee her ziemlich spannend, gerät in der Ausführung jedoch etwas wuselig und unstrukturiert. Der Plot gerät des Öfteren ins Stocken und steht sich gelegentlich selbst im Weg. Den einzelnen Charakteren verpasst Murphy passende kleine Backstorys, die dann jeweils so umgesetzt wurden, dass sie auch zeichnerisch dem Stil der jeweiligen Figur entsprechen. So sehen wir Johnny im schwarz-weißen Manga-Stil, wo auch Transformers-ähnliche Mechs in coolen Posen nicht fehlen dürfen. Kevin, ein rassistischer Wüterich aus dem goldenen Zeitalter der Zeitungs-Strips, bedient sich mit seiner Origin-Story indessen nur zu offensichtlich bei Bill Wattersons Kult-Strips um „Calvin und Hobbes“. Hier hätte ich mir allerdings etwas mehr Konsequenz gewünscht. Sowohl zeichnerisch als auch inhaltlich wurden hier Punkte verschenkt. Murphy hätte gerne noch mehr auf die künstlerischen Vorlagen eingehen können. Das Genre-Spiel hätte sich geradezu angeboten, die Stile wild zu vermischen. Da haben andere Werke – z.B. „Crossover“, „Black Hammer“ (beide SPLITTER) und vor allem „Decorum“ (CROSS CULT) – in ihrer Vielfalt mehr Mut bewiesen. Dennoch sieht „Plot Holes“ sehr gut aus, denn wir reden hier immerhin von Sean Murphy, der schon die DC-Überraschung „White Knight“ aus dem „Batman“-Kosmos zu einer ganzen Serie ausgeweitet hat (in Deutschland als Paperbacks bei PANINI). Ein wenig Kritik hätte ich noch an den Proportionen zu äußern. Die stimmen hin und wieder nicht (ausgenommen bei Kevin mit seiner Riesen-Murmel). Das gleicht sich aber wieder aus, da Murphy sehr viel perspektivische Abwechslung reinbringt.
Der Bonusteil ist mit etwas über zwanzig Seiten sehr üppig ausgefallen. Hier öffnet Murphy die Archive und zeigt Konzeptzeichnungen und zahlreiche Skizzen. Auf eine Cover-Galerie muss man leider verzichten, was an der parallelen Veröffentlichung auf dem US-Markt liegen wird. Schade, denn einige Variant-Motive hätten es echt in sich gehabt.
Fazit:
Einige sehr gute Ideen und ein paar vertane Chancen. Mit mehr kreativem Mut und etwas mehr konsequentem Biss, hätte „Plot Holes“ ein echter Überflieger sein können. So bleibt immerhin ein solider Einzelband, den wir in Deutschland jetzt schon am Stück lesen können, während das letzte der fünf US-Einzelhefte durch den Publisher WHATNOT PUBLISHING/MASSIVE erst Ende Dezember 2023 in den Läden steht. Es sei denn, man war ein Backer von Sean Murphys Crowdfunding-Kampagne, denn dann kam man schon Anfang 2022 in den vollen Genuss von „The Plot Holes“.
Sean Murphy, Sean Murphy, Splitter
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