I, Tillie
Vom Eiskunstlaufen und noch so viel mehr
Tillie Walden ist eine der großartigsten Comic-Autorinnen der heutigen Zeit. Vielleicht merkt ihr jetzt schon: Diese Rezension wird nicht allzu objektiv. Aber sind Rezensionen jemals objektiv? Naja, genug Philosophiererei. Ich bin ein großer Fan von Tillie Walden, hatte ihr Debüt-Comic „Pirouetten“ aber bis jetzt noch nicht gelesen. Mit dem Erscheinen des Taschenbuchformats gab es keine Entschuldigung mehr. Und was soll ich sagen... Wenn ich um sieben Uhr morgens aufstehe, um ein Comic zu lesen und nicht aufhören kann, bis ich durch bin... dann ist es einfach nur Liebe!
Aber worum geht es überhaupt in „Pirouetten“? Tillie Walden erzählt uns von ihrer Laufbahn als Hobby-Eiskunstläuferin: Vom frühen Aufstehen, dem harten Wettkampf und -streit mit den anderen Athletinnen, aber auch von Freundschaften und Triumphen, die sie in der Eishalle erlebt hat. Aber diese Erlebnisse auf dem Eis können nicht für sich allein erzählt werden, wie die Autorin selbst im Nachwort berichtet. Das Eiskunstlaufen und das Leben außerhalb der Eishalle sind unmittelbar miteinander verbunden. Und so bekommen wir zu sehen, wie Walden mit zwölf mit ihrer Familie aus New Jersey nach Texas umzieht, wie sie in der Schule gemobbt wird, oder wie sie ihre erste Liebe erlebt – bis zu ihrem 17. Lebensjahr, als sie beschließt, mit dem Eiskunstlaufen aufzuhören.
Rebellion oder Konformität – warum nicht beides?!
Mir gefällt es sehr, wie offen und ehrlich Walden über ihre Erfahrungen spricht. Es wird nicht alles bis aufs kleinste Detail gezeigt, trotzdem hatte ich das Gefühl, einen Umfassenden Blick in ihre Jugend bekommen zu haben. Vor allem wie sie über den Sport und die Erwartungen, die andere, aber vor allem sie selbst an sich hatte, spricht, finde ich sehr nachvollziehbar. Sie pflegt eine Hassliebe zum Eiskunstlaufen. Sie hasst die Ansprüche, die der Sport an junge Mädchen stellt. Sie kann das absurd Feminine daran nicht ausstehen – und fühlt sich gleichzeitig davon angezogen. Sie will dagegen rebellieren, findet aber dann doch Trost bei der Einheitlichkeit, vor allem in der Synchronmannschaft.
Wenn es keine Autobiografie wäre, könnte man sagen, dass „Pirouetten“ ein gelungener Comic-of-Age-Comic ist, in dem wir die Protagonistin beim Erwachsenwerden beobachten. Doch weil es eine Autobiografie ist, bekommen wir keine sauber in sich geschlossenen Handlungsstränge. Die Beziehung von Walden zu ihrer Mutter bzw. zu ihren Eltern wirkt – zumindest in der Pubertät – sehr angespannt, vor allem nach ihrem Coming-out. Wie sich diese Beziehung weiterentwickelt, erfahren wir nicht. Auch andere Ereignisse in Waldens Leben haben kein „schönes“ Ende oder eine „gerechte“ Entwicklung, wie ich sie mir für die Protagonistin gewünscht hätte. Dessen sollte man sich schon bewusst sein, wenn man „Pirouetten“ lesen möchte.
Maximale Bildwirkung – mit nur drei Farben
Wie in anderen Werken von Tillie Walden ist auch „Pirouetten“ farblich sehr spärlich besetzt. Auf weißem Hintergrund werden die Figuren und Szenerien mit einem dunklen Lila gezeichnet. Diese lila-weißen Zeichnungen werden manchmal von gelben Akzenten ergänzt, aber wirklich nur manchmal. Und auch die Figuren sind nicht besonders detailliert gezeichnet: Die Nase besteht meistens nur aus zwei Punkten, genau wie die Augen. Der Mund ist ähnlich „simpel“ gezeichnet. Trotzdem sind die Figuren sehr ausdrucksstark und der Leser erkennt sofort die unterschiedlichen Figuren. Und für Walden-Fans wie mich gibt es ein tolles Easter Egg: Rae, Waldens erste große Liebe, sieht genauso aus wie Grace, die erste große Liebe der Protagonistin von „Auf einem Sonnenstrahl“ (nur dass Grace in „Pirouetten“ der Name des Mädchens ist, das Walden jahrelang gemobbt hat, ist etwas seltsam).
Neben dem tollen Zeichenstil gefällt mir auch die Panelgestaltung des Comics sehr gut. Die Anzahl der Panels pro Seite ist immer etwas anders. Auch die Bildausschnitte, die Walden auswählt, sind sehr berührend. Es gibt eine Szene, in der wir Tillies letzten Auftritt bei einem großen Wettbewerb sehen. Die Seite ist in 4x6 Panels aufgeteilt, dementsprechend klein sind die einzelnen Panels. Bild und Ton wechseln sich ständig ab: Auf dem einen Panel sieht man sie ganz klein ihre Übungen machen, auf dem nächsten liest man, was sie gerade denkt. Das wechselt sich immer ab, bis die Ereignisse sich zu überschlagen anfangen. Dann kommen zwei Panels Schrift, mal nur Bilder und zwischendurch auch komplett lila oder gelb ausgefüllte, manchmal einfach nur weiße Panels... Tillie Walden kann einfach Geschichten durch Bilder erzählen.
Fazit:
Ich kann es nicht anders sagen, ich liebe Tillie Waldens Zeichen- und Erzählstil und dementsprechend reiht sich „Pirouetten“ in die Reihe der Comics, die einen Ehrenplatz in meinem Regal einnehmen, nahtlos ein. Die schöne und traurige autobiografische Coming-of-Age-Geschichte ist gut erzählt und noch besser bebildert. Vor allem die Bildausschnitte, die Walden wählt und wie sie die Panels gestaltet, finde ich großartig. Also was kann anders als Fazit kommen außer: Lest alle Tillie Walden!
Tillie Walden, Tillie Walden, Reprodukt
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