Vergangenes fördert Zukünftiges
Nach dem Praktikum ist vor dem Praktikum
Woran denkt man zuerst, wenn man etwas von Archäologie hört oder liest? Abenteuer, große Schätze, Relikte aus längst vergangenen Zeiten… oder kurz gesagt: an Indiana Jones. Es mag jetzt vielleicht erschütternd sein, aber die Wahrheit sieht leider etwas anders aus. Rückenschmerzen, Sonnenbrand, in Zelten schlafen und graben, graben, graben. Ernüchternd, nicht wahr? Sieht man dann noch von den nächtlichen Mücken-Attacken, dem eintönigen Essen und den unkomfortablen Dusch-Möglichkeiten ab, ist es eigentlich ganz erträglich. So verbringen zahlreiche Studierende die Semesterferien damit, sich bei archäologischen Praktika ein kleines finanzielles Polster zu verdienen, bevor der Uni-Alltag sie wieder in die Hörsäle treibt. Und etwas Praxis-Erfahrung schadet ja bekanntlich auch nie.
Mitten im süddeutschen Nirgendwo werden wir Zeugen von kleinen und großen Dramen. Zwischen Tabak-Schnorrerei, umhergeworfenen „Simpsons“-Zitaten und dem akribischen Schaufeln, Reinigen, Abstechen von Feldern und Notieren von Funden aus dem konservierenden Erdreich mischen sich Zukunftsängste, die Suche nach dem vermeintlich richtigen Weg und Ungewissheit. Humorvolle Gespräche und gesellige Abende am Lagerfeuer werden aber von einem Zwischenfall überschattet. Wolfgang, mit seinen siebzig Lenzen ein alter und ebenso erfahrener Hase, wenn es um Ausgrabungen geht, erlitt einen Schlaganfall. Sein Posten soll neu besetzt werden. So beginnt ein erst harmloser Kampf um die Stelle, der einen Keil zwischen zwei befreundete Studentinnen zu treiben droht. Zu kreisenden Gedanken über die eigene Zukunft gesellen sich Mauscheleien, Gerüchte und Eifersüchteleien.
Tief gegraben
Erstaunlich, was so alles zu Tage gefördert wird, wenn man nur tief genug gräbt. Und damit meine ich keine archäologischen Funde wie Knochen, Tonsplitter oder gar seltene Münzen. Es sind Erinnerungen, die urplötzlich wieder auf der Bildfläche erscheinen. Verdrängt, versteckt, in den hinteren Arealen des Gedächtnisapparats verbuddelt. Doch offengelegte Dinge wollen verarbeitet werden. Kategorisiert, katalogisiert und zuvor natürlich gereinigt, damit man mit einem „Projekt“ ab- und Frieden schließen kann.
Newcomerin Daniela Heller hat mit „Pfostenloch“ eine wunderbare Allegorie geschaffen. Spielerisch wird der Schauplatz der Grabungsstätte genutzt, um zum Handlungsort alltäglicher Probleme zu werden. Probleme, die jeden betreffen und an jedem anderen Ort auftauchen könnten, bekommen durch den archäologischen Spielplatz noch mal mehr Gewicht. Metaphorisch wird Schicht um Schicht abgetragen, um Bruchstück für Bruchstück zu bergen. Hellers Comic-Debüt besticht durch authentische Dialoge, durch die die abstrakt gezeichneten Figuren extrem menschlich werden. Zeichnerisch kann ich dem Werk nicht so viel abgewinnen, da die groben Illustrationen auf mich befremdlich wirken. Warum die Charaktere mit Schnäbeln versehen wurden, erschließt sich mir nicht. Ein Stilmittel, gewiss, doch steht dieses arg im Kontrast mit der Realitätsnähe der Geschichte.
Daniela Heller, die selbst an Ausgrabungen teilnahm und Archäologie studierte, fertigte „Pfostenloch“ als Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Kassel an. Beim AVANT-VERLAG im Softcover erschienen, wurde ihr Erstling auf dem diesjährigen Comicsalon Erlangen aus dem Stand mit dem Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie „Bestes deutschsprachiges Comic-Debüt“ ausgezeichnet.
Fazit:
Ich bin kein Student (und war es erschreckenderweise nie), hangele mich nicht von Praktikum zu Praktikum und habe mit Archäologie ungefähr so viel am Hut wie der Papst mit… lassen wir das, und trotzdem hat „Pfostenloch“ mich berührt und abgeholt. Der Kern der Geschichte ist universell, das Setting dafür eigentlich nicht relevant, doch dient es der Verdeutlichung allzu realer Sorgen und Ängste in einem metaphorischen Spagat nur zu gut. Daniela Heller hat mit ihrem Comic-Debüt auf geschickte Weise die Alltagsprobleme einer ganzen Generation herausgearbeitet und ungekünstelt auf den Punkt gebracht.
Daniela Heller, Daniela Heller, Avant
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