Gestern noch am Abgrund… heute einen Schritt weiter.
Der Titel ist Programm
Das Häuschen der blinden Witwe Madeleine Proust steht am Rande eines Steilhangs. „Stehen“ ist dabei noch untertrieben, denn tatsächlich grenzt es an Zauberei, dass die Bleibe der 90-jährigen, in der sie mit ihrem Kater Balthazar lebt, überhaupt noch steht und nicht in die Tiefe gepoltert ist. Nachdem ihr Garten der Schwerkraft schon zum Opfer fiel, hatte der Bürgermeister alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Madeleine zum Umzug in eine Seniorenresidenz zu bewegen. Vergeblich, denn Omi ist nicht auf den Mund gefallen… und außerdem noch sturer als eine Wagenladung Esel. Niemals(!) würde sie freiwillig dort wegziehen! Tapfer hat sie ihr geliebtes Häuschen, welches ihr auf See verschollener Gatte eins baute, gegen alle Widrigkeiten verteidigt. Doch obwohl Maurer das Haus nun mit Stützbalken abgesichert haben, steht neuer Ärger an…
Ikone des Widerstands
Madeleines Geschichte ging wie ein Lauffeuer durch die Medien. Die Solidarität mit der blinden Frau war grenzenlos, was den nun scheidenden Bürgermeister nicht nur in die Schranken wies, sondern gleich zur Zielscheibe von Wut, Empörung und blankem Hass werden ließ. Sogar seine Frau hat mit den gemeinsamen Kindern das Weite gesucht. Umso zähneknirschender muss er hinnehmen, dass das skurrile Haus an der Klippe zum Touristenmagnet geworden ist. Einerseits gut für die Gemeinde von Troumesnil, anderseits ein Gefahrenherd, denn bei der Jagd nach dem perfekten Schnappschuss bringen sich immer wieder Neugierige in Lebensgefahr. Als das Telefon diesbezüglich im Büro des Bürgermeisters mal wieder nicht stillsteht, ahnt dieser noch nicht, dass sich die Situation um das Problem-Häuschen gerade in neue Dimensionen gebröckelt hat.
Ein großer Teil der Felswand unter Madeleines Behausung ist weggebrochen. Das Haus steht quasi auf einem wackeligen Podest. Wäre es nicht so brandgefährlich, würde der Tunnel in der Felsformation das ideale Postkartenmotiv abgeben. Touristen kamen bei dem Unfall mit starkem Steinschlag glücklicherweise nicht zu Schaden… doch traurigerweise wurde der Hund der kleinen Emma Sénécal während des Gassi-Gangs verschüttet.
Damit will das Mädchen sich aber nicht abfinden und macht sich in der Nacht aus dem Staub. Sie ist überzeugt, dass ihr Churchill das Drama überlebt hat und gibt sich unbewusst in große Gefahr. So akut, dass der Bürgermeister, dessen Rivalen vom rechten Rand schon mit den Hufen scharren, selbst tätig wird. Aus der Suche nach Emma (und Churchill) wird ein lebensgefährliches Unterfangen. Und Madeleine? Die muss eine Entscheidung treffen, denn dieses Mal ist es nicht nur ihr eigenes Leben, das auf dem Spiel steht…
Unerwartete Fortsetzung
Ich hätte tatsächlich nicht erwartet, so schnell wieder auf Madeleine zu treffen. Eigentlich war „Niemals“ eine schöne runde Sache, die nicht zwingend nach einer Fortführung geschrien hat. Tja, man sollte halt „niemals“ nie sagen.
Der erste Band hat so ziemlich alles richtig gemacht und wichtige Themen angesprochen, die uns alle angehen: das Älterwerden und den Klimawandel. Nicht mit dem Holzhammer, sondern nuanciert, subtil und der Geschichte angemessen. Die Story war nicht konstruiert, um den Finger in Wunden zu legen. Dafür hat Bruno Duhamel seine Figuren zu greifbar gemacht. Größtenteils gelingt ihm das auch im Nachfolger „D-Day“. Allerdings mit Abstrichen. Politisch positioniert er sich klar und clever, das kommt auch gut zur Geltung. Ein wenig verliert er sich hier im Katastrophen-Drama, welches die Geschichte ein wenig spaltet. Madeleine wird hier immer wieder zur Nebenfigur. Zum Glück lenkt Duhamel den Fokus genau im richtigen Moment wieder auf die Omi mit Dampf, bevor ihr Schicksal an den Rand rückt. Interessant ist, dass „D-Day“ diesen Untertitel nicht ohne triftigen Grund bekam. Wir erfahren mehr über die Geschichte von Troumesnil… und über Madeleine Proust.
Fazit:
Saubere Zeichnungen mit Wohlfühl-Charakter. Die tollen Figuren entwickeln sich weiter, was Story und Städtchen lebendig werden lässt. Viel Drama, aber auch sehr feiner Humor. Allein der kleine Churchill ist pures Comedy-Gold der glupschigen Art. Och… gegen regelmäßige Kurztrips in die malerische Normandie hätte ich eigentlich nichts einzuwenden. Aber nur, so lange ein gewisses Häuschen noch auf der Kippe steht.
Bruno Duhamel, Bruno Duhamel, Avant
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