Verfluchtes Kind in der Welt der Wunder
Gerade noch mal Glück gehabt…
Die sogenannte Republik besteht aus den vier Staaten Southlight, Prosper, Far East Sang und Great Wolfacre. Aus Letzterer stammt die elfjährige Morrigan Crow, wo ihr Vater Corvus das Amt des Kanzlers bekleidet. Wohlhabend und mit einem goldenen Löffel im Mund, sollte es einem Mädchen in dieser Position eigentlich an nichts mangeln, doch in der ausgehenden achten Ära der Republik Wintersea ticken die Uhren etwas anders.
Morrigan ist eines der verfluchten Kinder. Soll heißen, dass ihr so ziemlich jedes Unglück, was irgendeiner Person widerfährt, angelastet wird. Bricht sich jemand ein Bein oder geht ein Haus in Flammen auf, MUSS es an Morrigan gelegen haben… selbst wenn sie Wochen oder Monate zuvor nur in Sichtweite eines Unglücksortes erspäht werden konnte. Und als verfluchtes Kind ist ihr Schicksal längst besiegelt. Wenn die Glocken zur Abendzeit bimmeln, welche wiederum die neunte Ära einläutet, soll sie den Tod finden. Damit soll der Amtssitz von Corvus vor weiteren Unglücken bewahrt werden. Höre ich hier jemand „Hexenverbrennung“ rufen? Ja, es ist so dämlich, wie es sich anhört. Und nein, Corvus hat kein orangenes Haupthaar und hat seine Führungsriege auch nicht mit Mitgliedern der Muppet-Show besetzt. Trotzdem ist er ein gefühlskalter Idiot, der vorsorglich schon mal einen Nachfolger gezeugt hat, obwohl seine Tochter noch quicklebendig am Tisch sitzt. Dabei liegt die Betonung auf „noch“, denn Morrigans geplantes Ableben steht kurz bevor.
Allerdings hatte niemand den bunten Paradiesvorgel Jupiter North auf dem Zettel, seines Zeichens hochrangiges Mitglied der „Wundersamen Gesellschaft“. Er platzt unangemeldet rein und empfiehlt sich als Förderer für Morrigan Crow. Die Förderer sind Personen, die Kinder nach Abschluss der Grundschule rekrutieren und in Bildungseinrichtungen unter ihre Fittiche nehmen. Dies geschieht am sogenannten Gebotstag, von dem Morrigan natürlich ausgeschlossen ist… wegen dieser dummen Sache mit ihrem Tod, wisst Ihr noch?
Davon lässt der aus Morrigans Sicht angenehm aufdringliche Jupiter North sich aber nicht beirren und packt das Mädchen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, welche in einer abenteuerlichen Flucht endet, kurzerhand vor versammelter Mannschaft ein. Er bringt sie ins magische Reich Nevermoor. Den ominösen fünften Staat, von dessen Existenz kaum jemand etwas weiß.
So erlebt Morrigan Crow den Beginn der neunten Ära widererwartend quicklebendig, doch die größten Abenteuer stehen ihr noch bevor. Jupiter North hat ausgerechnet sie auserwählt, um als Kandidatin für eine Mitgliedschaft in der „Wundersamen Gesellschaft“ in Frage zu kommen. Allerdings muss sie dafür einige Prüfungen bestehen und vor den Ältesten ihre besondere Fertigkeit präsentieren. Moooooment…, was… was für eine „Fertigkeit“???
Schwer schön… aber auch schön schwer
Die bei TOONFISH erscheinende Comic-Reihe „Nevermoor“ basiert auf der gleichnamigen Kinder/Jugendbuch-Reihe der australischen Schriftstellerin Jessica Townsend. Mit „Silverborn: The Mystery of Morrigan Crow“ soll im Frühjahr 2025 der vierte Band der erfolgreichen und preisgekrönten Serie im englischsprachigen Raum erscheinen. In Deutschland sind die Romane von der VERLAGSGRUPPE OETINGER als Hardcover, Taschen- und Hörbücher veröffentlicht worden.
Empfohlen ist die Roman-Reihe für Kinder ab 10 Jahren, wo ich die Comic-Umsetzung auch ansetzen würde. Darunter möchte ich nicht gehen, denn die Ausgangssituation kann doch etwas verstörend wirken. Wir sind ja nicht mehr im 16. Jahrhundert, wo es ausreichte, rote Haare zu haben, um den Tauchschein ungewollt auf Staatskosten zu machen, oder gerne auch mal als menschlicher Grillanzünder herhalten durfte. Da wehte ein deutlich rauerer Wind als heute, wo überfürsorglichen Eltern beim Anblick des Ültje-Manns der kalte Schweiß auf der Stirn steht… aus Angst, dass der Abrieb einer halben Erdnuss den Nachwuchs aus den Socken schießen könnte. Meine Generation bekam abends gepflegt eine Schlachtplatte aus der Grimm-Schmiede vor den Latz geknallt, bevor es stockdunkel im Zimmerchen wurde. Überlebt haben wir trotzdem. Naja… die meisten jedenfalls. Sei’s drum, man sollte für den finsteren Einstieg halt nicht zu zartbesaitet sein, bevor es ins helle und deutlich farbenfrohere Wunderland Nevermoor geht. Außerdem ist der Comic, der inhaltlich die erste Hälfte des ersten Romans abdeckt, sehr textlastig und nimmt sich ausreichend Zeit, das komplexe System der phantastischen Reiche zu erklären. So sollten junge Leserinnen und Leser sich ebenfalls Zeit nehmen, um den Inhalt zu verarbeiten. Für Comic-Neulinge könnte es hier ein paar Hürden geben.
Das spiegelt sich auch im Look des Comics wider. Die Zeichnungen an sich sind hervorragend. Markantes Charakter-Design, detailreich, schöne Schattierungen und nicht zuletzt sehr stimmig koloriert. Der Knackpunkt ist das Layout. Wir haben hier keine klassische Panel-Struktur, sondern bekommen sehr viel visuelle Informationen in oft sehr kleinen Panels. Hier ist es selbst für erfahrene Comic-Hasen nicht einfach, den Überblick zu behalten oder mit der Lese-Reihenfolge der Panels klarzukommen. Hinzu kommt die Fülle an Text, bei der die Sprechblasen gerne mal über die zugehörigen Panel-Grenzen hinausgehen.
Fazit:
Kids mit Comic-Erfahrung dürften sich gut zurechtfinden, Anfänger sollten vielleicht zuerst einen Blick in die Leseprobe auf der Homepage des Verlags werfen. Geplant sind zwei Comic-Bände pro Roman, weshalb es im vorliegenden Auftaktband „Fluch und Wunder“ erstmal hauptsächlich darum geht, Welt und Figuren kennenzulernen und zu verstehen. Interessant ist die Story allemal, sodass ich bei Erscheinen der Fortsetzung gerne nach Nevermoor zurückkehre.
Jessica Townsend, Maxe L'Hermenier, Thomas Labourot, toonfish
Deine Meinung zu »Nevermoor - 1. Fluch und Wunder«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!