Der große Komponist in allen Facetten
Schon zu Lebzeiten schockierte und begeisterte Ludwig van Beethoven mit seiner Musik das Publikum gleichermassen. Viele Menschen verstanden seine Musik nicht, sie war ihrer Zeit voraus, zu modern, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen. Der Mensch Beethoven hingegen ein Mysterium wie auch eine tragische Figur, ausgerechnet er wird mit dreißig Jahren taub werden, kann seine eigenen Schöpfungen nicht mehr hören und wird dadurch noch mehr zu einem Mythos, der die Massen mitreissen und zugleich abstossen konnte.
Moritz Stetter spürt in seiner Graphic Novel diesem Mythos Beethoven nach und tut dies in chronologischer Reihenfolge, sein Buch ist aufgebaut wie ein Musikstück, beginnend mit einem „Präludium“. In groß angelegten, meist schwarzweißen Zeichnungen mit nur wenigen Farbelementen illustriert Stretter im gesamten Buch Zitate von berühmten Persönlichkeiten über Beethoven und kommt ihm so so nah wie man Beethoven nur selten kommt. Durch die Aussagen von Augenzeugen, die er großzügig illustriert, ist man nah dran am Meister und doch auf Distanz. Die Sängerin Malibran taucht auf, Joseph Haydn und ein trittbrettfahrender Großneffe Beethovens, der seinen Reichtum durchbringt und damit den Namen Beethoven in den Schmutz zieht. Es gibt eben immer alle Arten von Möglichkeiten des Gedenkens.
Eine Comicbiografie wie eine Sinfonie
Im Kapitel „Pathétique“ sieht man die ersten Erfolge, ebenfalls durch illustrierte Zitate verfolgt und mit holzschnittartigen Zeichnungen dargestellt. Beethoven taucht in seine Musik ein, geht auf Notenlinien wie auf Straßen, ist ganz in sich selbst und seiner Musik, und wer sie nicht versteht oder nicht respektiert, bekommt auch schon mal harsche Worte an den Kopf geworfen. Dem inneren und äußeren Konflikt mit Napoleon folgt der Beginn der Schwerhörigkeit, herrlich mit den Mitteln der Karikatur überzeichnet, in dem Beethoven im eigenen Gehörgang herumirrt und den Menschen nicht sagen kann und will, was mit ihm geschieht. „Oh, ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch und misanthropisch haltet, ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheint“, sagt er, das ganze Drama zusammenfassend und sein bekanntes grimmiges Gesicht entfaltend. In diese dunkle Stimmung hinein komponiert er mit seiner sechsten Symphonie „Pastorale“ sein wohl fröhlichstes Werk, ein gegenteiliger Spiegel seines Seins.
Erwähnt werden sein unglückliches Verhältnis zu Frauen, seine unglückliche Begegnung mit Goethe, sein immer schwieriger werdendes Wesen, und das wie im ganzen Buch durch illustrierte Zitate, die, wie gerade von Goethe, nicht immer ein schmeichelhaftes Bild Beethovens Zeichnen. Doch Stretters Buch besticht eben durch die Mischung eben durch Aussagen von Augenzeugen, und so wird der Mythos Beethoven zugleich aufgebaut und entmystifiziert. Mit dem letzten Triumph seines Lebens, seiner neunten Symphonie, machte er sich unsterblich und hinterließ nachhaltigen Eindruck beim Publikum: Schwierig bis unmöglich als Mensch, übermenschlich als Komponist und ebenso im Tod: Verehrt von Musikern und verachtet von Speichelleckern, Schranzen und Reliquienjägern, die noch nach dem Leben von und mit ihm Profit schlagen wollen.
Beethovens Mythos von den Anfängen bis heute
Ein besonderes Kapitel ist das letzte, „Ode an die Freude“, das aufzeigt, wie Beethovens größter Triumph anderen zu einem ebensolchen verhelfen sollte. Ge- und Missbrauch seiner „Neunten“ werden dargestellt anhand von „Titanenmusik“ in der Nazizeit, der Nutzung im Film „Uhrwerk Orange“, aber auch als Europahymne, „Ode an die Freiheit“ zum Mauerfall oder ganz aktuell als Gegenstand der Balkonkonzerte zu Beginn der Corona-Pandemie. Beethovens Musik ist immer aktuell, wird immer gehört und gespielt werden und für hehre oder nicht so hehre Zwecke hervorgeholt. Wenn er das gewusst hätte.
Moritz Stretters Graphic Novel „Mythos Beethoven“ versucht nicht, den Mythos, der freilich schon zu Lebzeiten entstand, zu entzaubern, sondern fasst die meisten Mythen treffend und doch karikierend zusammen und schafft so ein Bild Beethovens aus seiner Zeit heraus, mit Blick in unsere heutige Zukunft, die weiter am Mythos Beethoven arbeitet und dies mit der Aktualität 2020 auch wohl noch darüber hinaus tun wird. Die Zeichnungen dienen dabei der Überzeichnung und passen sich somit den historischen Quellenzitaten an, die den Mythos begonnen haben und der auch in Zukunft nicht enden wird. Der Beethoven-Kenner wird hier nichts neues entdecken, das Altbekannte aber auf neue und erfrischende Art wiederfinden und vielleicht neue Zusammenhänge entdecken.
Fazit:
Ein lohnenswerter, wenn auch für manche Leser entmystifizierender und dennoch realer Blick auf den Mythos Beethoven, der ihn nicht erklärt, aber treffend darstellt. Auf den letzten Seiten erkennt man sich selbst als Teil der Gesellschaft, die den Mythos weiterschreibt. Ungewöhnlich und daher äußerst gelungen.
Moritz Stetter, Moritz Stetter, Knesebeck
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