Motor Girl (Gesamtausgabe)
- Schreiber & Leser
- Erschienen: November 2018
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Weiblich, ledig (dafür mit Gorilla), traumatisiert sucht…
ZACK…
…jetzt isses passiert. Ich hab mich in eine Comic-Figur verknallt. Musste ja irgendwann mal soweit kommen… aber im Fall von Samantha Locklear, aus der Feder des Ausnahmekünstlers Terry Moore, ist dies nur allzu gut nachvollziehbar. Sam ist liebenswürdig, hat einen tollen Sinn für Humor, ist tough, smart, nicht auf den Mund gefallen und einfach bezaubernd. Und sie ist Single, liebe Freunde!
Dafür hat sie aber ein schweres Päckchen zu tragen… denn nach drei Auslandseinsätzen im Irak ist die hochdekorierte Veteranin schwer traumatisiert. Sie überlebte zwei Sprengstoff-Anschläge, sah unglaubliche Brutalität und wurde sogar direkt mit dieser konfrontiert, als sie während ihrer zehnmonatigen Gefangenschaft regelmäßigen Misshandlungen ausgesetzt war. Es dauerte lange, bis Sam wieder auf die Beine kam, doch ihr Körper ist dauerhaft gezeichnet und erinnert sie immer wieder an diese unsäglich lange und prägende Zeit. Hämmernde Kopfschmerzen sind ihr ständiger Begleiter, ebenso wie der anthropomorphe Gorilla Mike, der Sam in allen wichtigen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite steht. Unnötig zu erwähnen, dass Mike nur in Samanthas Kopf existiert, oder?
Die gutmütige Libby – eine betagtere Dame der rustikalen Art – hat die junge Frau ins Herz geschlossen und lässt Sam auf ihrem abgelegenen Schrottplatz, mitten in der brütend heißen Pampa im Nirgendwo, schalten, walten und wohnen. Libby, die Leser von Terry Moores „Strangers in Paradise“ schon als Tante des Hauptcharakters Francine kennen dürften, sorgt sich um das Kind und gönnt ihr nur das Beste. Doch Sam mag die Abgeschiedenheit. Turbulent wird es, als Sam eines Nachts ein UFO sichtet. Es kommt aber noch besser… Die Mühle aus dem All schmiert direkt über dem Schrottplatz ab und Sam und ihr imaginärer Begleiter machen eine besondere Bekanntschaft der dritten Art. Ihren geschickten Händen ist es zu verdanken, dass die (vermutlich) grünen Männchen bald wieder durchstarten können. Was für eine Nacht!
Am nächsten Morgen ist Samantha sich nicht mehr sicher, ob der Alien-Besuch der letzten Nacht real war oder ob es sich nur um eine Einbildung oder einen lebhaften Traum gehandelt hat… immerhin unterhält sie sich in aller Regelmäßigkeit mit einem zwei Meter großen, bulligen Gorilla, der Zigarre quarzt und T-Shirt und Shorts trägt. Klarer, dass hier irgendwas im Busch ist, wird es, als Libby ein äußerst lukratives Angebot für ihren alten Autofriedhof erhält. Ein gewisser Lewis Walden ist sehr daran interessiert, das öde Fleckchen zu erwerben und bietet eine stattliche Summe Geld, die in keiner Relation zum Wert des vertrockneten Grundstücks steht. Die renitente Libby lehnt jedoch dankend ab. Libby und Sam müssen aber schnell einsehen, dass sie es bei Walden mit einem hartnäckigen Hund zu tun haben, der sich nicht so leicht abwimmeln lässt. Schon bald reist er mit einem Tross von Männern und Wissenschaftlern an, was Sam in dem Gedanken bestärkt, dass ihre Begegnung mit den Außerirdischen nicht nur in ihrer Fantasie stattgefunden hat. Die Handlanger von Mr. Walden haben es zudem auf Sam abgesehen, doch die erfahrene Veteranin der US-Marines lässt sich nichts gefallen!
Hereinspaziert ins „Terryverse“
Die Werke des sympathischen Texaners und bekennenden Feministen Terry Moore eint eines: ihre starken und unabhängigen, weiblichen Protagonistinnen. In Moores Hauptwerk, der Comic-Soap Opera „Strangers in Paradise“ (abgeschlossen in 6 Bänden), sind es Francine und ihre Mitbewohnerin Katina „Katchoo“ Choovanski, die namensgebende Rachel im Kleinstadt-Horror „Rachel Rising“ (7 Bände) und Julie Martin im Sci-Fi-Superhelden-Dreiteiler „Echo“. Zusammen mit „Motor Girl“ sind alle von Moores Werken in Deutschland beim Schreiber & Leser Verlag veröffentlicht worden, wo sie laut Aussage des Künstlers gut aufgehoben sind. Normalerweise ist Terry Moore nämlich kein großer Freund von Verlagen und veröffentlicht alle seine Schöpfungen in Eigenregie. Zwar steuerte er neben Autorenarbeiten für MARVELS „Runaways“ und „Spider-Man loves Mary Jane“ auch Beiträge für die US-Schmieden DC, Dark Horse und Image bei, lässt seine Werke aber durch das hauseigene Abstract Studio, welches Moore 1994 gründete und zusammen mit seiner Ehefrau Robyn betreibt, an den freudigen Kunden bringen. So bewahrt er sich seine Unabhängigkeit, die sich auch seine Figuren auf die Fahne geschrieben haben, und bleibt sein eigener Herr.
„Strangers in Paradise XXV“, die Nachfolgeserie zu Terry Moores Opus Magnum, die alle bisherigen Charaktere im Terryversum vereint, soll ebenfalls bei Schreiber & Leser erscheinen, während in den USA bereits die neue Serie „Five Years“ in vollem Gange ist. Hier ziehen dann endgültig alle von Moores Schöpfungen gemeinsam an einem Strang. Bleibt zu hoffen, dass diese nach einem (hoffentlich) erfolgreichen Aufschlagen von „Strangers in Paradise XXV“ im deutschen Handel auch ihren Weg in die heimischen Bücherregale findet. Für mich - als Neuling im Terryversum – steht jedenfalls fest, dass alles, was Mr. Moores Namen auf dem Cover trägt, in die Privat-Bibliothek einziehen wird.
KANN man mögen… MUSS man auch!
Sprechen wir noch mal kurz darüber, was „Motor Girl“ so besonders macht… außer der süßen Sam natürlich. Da wäre einerseits der sympathische Humor, der aber sowas von ins Schwarze trifft und so leichtfüßig daherkommt, dass man einfach dauergrinsend in der Couch versinken möchte. Dann ist es die Art, wie Terry Moore die Geschichte erzählt. Völlig entspannt und wie selbstverständlich, erscheinen selbst die abstrusesten Situationen schlüssig, wechselt der Ton von brüllend komisch in tieftraurig und formt er die Handlung von Absurd in Glaubwürdig. Hinzu kommen noch die detaillierten Akteure vor reduzierter Kulisse, die allein durch Gestik und Mimik mehr zum Ausdruck bringen, als es seitenlange Charakter-Beschreibungen könnten. Moores Zeichenstil nimmt einen sofort ein, zieht den Leser ins Buch und nach wenigen Seiten glaubt man, dass man die handelnden Figuren bereits sein ewigen Zeiten zu kennen glaubt. Selten war ich schneller in einer Story gefangen, als in „Motor Girl“. Konsequent verzichtet Moore auch hier auf eine Kolorierung und selbst Grauabstufungen sucht man vergeblich. Hat der Band auch nicht nötig, denn die Tiefe wird allein durch die starke Präsenz von Sam, Mike, Libby und den anderen erzeugt. Selbst das Antagonisten-Duo, welches im Auftrag von Lewis Walden der armen Sam nachstellt, hat seinen ganz eigenen Charme und man könnte glauben, dass Larry und Vic späte Nachfahren von Stan Laurel und Oliver Hardy sind, die nach einem Drehbuch der Coen-Brothers agieren. Schräg, skurril und dennoch liebenswert. Abgerundet wird das tolle Leseerlebnis noch durch eine stattliche Anzahl von ganzseitigen Bleistiftzeichnungen und eine Übersicht der weiteren Werke des Künstlers.
Nachdem ich „Motor Girl“ nun SO SEHR über den grünen Klee gelobt habe, möchte ich selbstverständlich auch ausgiebig auf die Punkte eingehen, die mir negativ aufgefallen sind. Diese wären:
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Fazit:
Für Fans von Terry Moores Arbeiten, von denen es sehr viele gibt, ist „Motor Girl“ sowieso Pflichtprogramm. Aber auch Neulinge im „Terriverse“ (wie ich) werden sich schnell in diesem abgeschlossenen Band zurechtfinden. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass diese liebevoll erzählte, aberwitzige, fantasievolle und dann wieder zu Tränen rührende Geschichte auch die Leute begeistern kann, die sonst mit Comics nicht viel am Hütchen haben. Von 0 auf 100 hat sich „Motor Girl“ aus dem Stand in meine persönliche Top 10 - und auch mein Herz - geschossen.
Terry Moore, Terry Moore, Schreiber & Leser
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