20 – 30.000 Meilen unter dem Meer
Optimismus Prime
Stel Caine ist durch und durch eine Optimistin. Nicht gerade die schlechteste Eigenschaft, wenn man sich ihre Ausgangslage mal vor Augen führt. Aber beginnen wir am Anfang…
Die Sonne ist expandiert. Sie dehnte sich aus und ihre radioaktive Strahlung machte das Leben auf der Erdoberfläche unmöglich. Die Menschheit zog sich zurück und tauchte unter… im wahrsten Sinne des Wortes. Die Menschen begannen mit dem Bau gigantischer Unterwasser-Städte und fingen an, den Grund des Ozeans zu besiedeln. Unzählige Sonden wurden ins All geschickt, um bewohnbare, erdähnliche Planeten ausfindig zu machen und der überlebenden Bevölkerung eine dauerhafte Heimat zu bieten. Das Unterfangen blieb ergebnislos. Zehntausend (10.000!) Jahre sind seit der Flucht unter den Meeresspiegel vergangen und erneut stehen die Bewohner der nautischen Kuppel-Welten vor einem gewaltigen Problem. Der Stadt Salus geht langsam aber sicher die Luft aus. Die aufbereitete Luft wird zunehmend toxischer und droht die zwei Millionen Einwohner zu vergiften. In den oberen Kreisen von Salus scheint man sich mit dieser Tatsache bereits abgefunden zu haben und gibt sich – neben dekadenten Sauf- und Fress-Gelagen – der Droge „Cream“ und anderen fleischlichen Gelüsten hin, dass einem Caligula noch die Augen übergegangen wären.
Somit wären wir wieder bei Stel Caine und ihrem unerschütterlichen Optimismus… denn sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie wünscht sich eine Zukunft für ihre Töchter Tajo und Della, und ihren Sohn Marik. Ihr Gatte Johl – der letzte große Hüter von Salus – hält die Zuversicht auf eine bessere Welt für haltlos und denkt, dass seine Frau Hirngespinsten nachjagt. Er pocht darauf, sein Wissen und seine Erfahrung an seine Töchter weiterzugeben und ihnen das Jäger-Zepter der Familie Caine zu überreichen. Bei einem Tauchgang mit Tajo und Della kommt es dann zu einem tragischen Zwischenfall, als das Familienoberhaupt und seine Töchter in einen Hinterhalt von Piraten geraten.
Die Familie wird auseinandergerissen und die Mädchen werden verschleppt… Stel und ihr Sohn können nur tatenlos zusehen.
Zehn Jahre sollten vergehen. Zehn quälend lange Jahre, in denen Stel über das Schicksal ihrer Töchter im Ungewissen lebte. Zehn Jahre, in denen die Luft knapper wurde und die Überlebenschancen sanken. Zehn Jahre ohne ein hoffnungsvolles Signal einer Sonde. Bis heute…
(He)art of the Ocean
Rick Remender, der kreative Kopf hinter „Low“, legt mit „Stadt ohne Hoffnung“ den Grundstein für eine epische Science Fiction-Saga. Das bekannte Szenario vom drohenden Weltuntergang wird in ein erfrischendes Setting verlagert. Die beeindruckende Unterwasserwelt, die totgetretene Pfade, wie zerstörte Städte, Wüstenlandschaften oder das Weltall verlässt, bietet nicht nur gestalterisch neue Möglichkeiten, sondern kann auch inhaltlich überzeugen. Remender, der in seinen Anfängen im Comic-Business noch als Animator an „Der Gigant aus dem All“, „Anastasia“ oder „Titan A.E.“ arbeitete, stellt das positive Denken und den grenzenlosen Optimismus seines Hauptcharakters in den Vordergrund und erzählt gleichzeitig eine sehr persönliche Geschichte, wie er es gelungen im lesenswerten Vorwort beschreibt. Seine Stel Caine ist eine starke, strahlende Frau, deren Glaube und Hoffnungen auf eine schwere Probe gestellt werden. Ihr stellt er einen komplett gegensätzlichen Charakter an die Seite: ihren eigenen Sohn. Mittlerweile erwachsen und im Dienst der Polizei, haben ihn die Ereignisse der Vergangenheit ebenfalls stark geprägt… allerdings zum Negativen. Abgebrüht, korrupt und den Drogen nicht abgeneigt, ergibt sich so ein ungewöhnliches Mutter-Sohn-Gespann, das – von Mariks Seite betrachtet – nicht ganz freiwillig an einem Strang ziehen muss, um das Überleben der Menschheit zu sichern.
Nach der gemeinsamen Arbeit an „The Last Days of American Crime“ setzt Rick Remender für die künstlerische Umsetzung seiner nautischen Dystopie erneut auf den brasilianischen Zeichner Greg Tocchini. Dieser lässt die Tiefsee-Atmosphäre mit fantastischen Illustrationen, die teilweise skizziert wirken, lebendig werden. Imposant vermischt er klare Linien und angedeutete Konturen. Tocchini nutzt jede Seite, jedes Panel perfekt aus und überrollt den Leser mit ideenreichen und vor Details strotzenden Zeichnungen. Doch nicht nur die wunderschöne Unterwasserwelt bringt er gekonnt aufs Papier… auch die düstere Seite von Salus, unter der Kuppel, wird gelungen eingefangen. Hier herrscht, ähnlich wie in anderen Genre-Vertretern, das Chaos. Sex, Gewalt und Arena-Kämpfe in der dritten Stadt – Heimat der Piraten – lassen No-Go-Areas wie das Phantasialand wirken. Ein großer Pluspunkt ist hier auch die gelungene Kolorierung, die mit Unterstützung von Mariane Gusmão entstand und jede Örtlichkeit in die passenden Farben taucht. Ein farbenfrohes, gestalterisches Kunstwerk.
Der erste Sammelband von „Low“ enthält sechs US-Hefte des ursprünglich bei Image veröffentlichten Comics. Der Splitter Verlag legt diesen als hochwertiges Hardcover im Bookformat vor. Neben dem Vorwort von Autor Rick Remender gibt es im Anhang noch Skizzen und Variant-Cover zu bestaunen. „Low“ umfasst bisher drei Bände.
Fazit:
Rick Remender und Greg Tocchini zeigen mit „Stadt ohne Hoffnung“ ohne Umschweife, was sie auf dem Kasten haben… sowohl erzählerisch, als auch künstlerisch. Die kreative Story mit dem frischen Setting sprüht vor Ideenreichtum und reißt den Leser in einen abenteuerlichen Strudel aus Science Fiction und apokalyptischer Tiefsee-Action. Band 2, ich komme!
Rick Remender, Greg Tocchini, Splitter
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