Der kryptonische Stein des Anstoßes
„Superman - Die Geschichte“
WENN jemand seinen Schlüpper ÜBER der Hose tragen darf, dann er… SUPERMAN! Seit Mitte der 30er-Jahre begeistert der „Stählerne“ vom Planeten Krypton in Zeitungs-Strips, Radio-Hörspielen, TV-Serien, Kinofilmen, Videospielen (na ja… dort eher weniger, da die bisherigen Versuche allesamt in die rote Unterhose gingen) und vor allem in einem Medium: den Comics.
Als Baby wurde er von seinen leiblichen Eltern in einer Kapsel zur Erde gefeuert, bevor sich sein Heimatplanet in Milliarden Einzelteile pulverisierte. Dort fanden ihn seine Adoptiveltern Martha (na, Batman… klingelt da was bei dir?) und Jonathan Kent und zogen ihn wie ihr eigenes Kind auf. Bereits in jungen Jahren merkte er, dass er über bestimmte Fähigkeiten verfügte und durch die gute Erziehung der Kents lernte er, diese gewissenhaft und zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Der elterlichen Farm in Kansas entwachsen, verschlug es den jungen Clark Kent dann in die große, weite Welt… nach Metropolis. Als Reporter des „Daily Planet“ geht er dort seiner täglichen Arbeit nach, während er in den rot/blauen Dress schlüpft und mit wehendem Umhang pfeilschnell durch die Luft saust, sobald Not am Mann (oder an der Frau) ist. Auf der breiten Brust prangt das Wappen der Familie El, seinen leiblichen Eltern und… ach, machen wir uns nichts vor… es ist ein großes, rotes „S“, was er da spazieren trägt. Eine schwarze Locke lässig die männliche Stirn verzierend, erinnert so kaum noch etwas an den gescheitelten, eher tollpatschigen Clark Kent. Um seine Tarnung aufrecht zu erhalten trägt Kent im Alltag übrigens eine Brille. Was für ein Fuchs. Kann man sich nicht ausdenken, oder?
DOCH, kann man… und das Ganze geht auf das Konto zweier Männer, die mit ihrer kindlichen, liebenswürdigen Naivität eine Welle lostraten, die noch heute Millionen Menschen begeistert. Comic-Fans weltweit lesen regelmäßig die immer komplexer und anspruchsvoller werdenden Stories, die mit ihren Groß-Events und Multiversen nur noch entfernt an die Mini-Geschichten aus den Anfangstagen erinnern. Und auch die Film-Industrie reibt sich freudig die Hände, wenn mehrmals im Jahr Effekt-Gewitter auf der großen Leinwand entfesselt werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Milliarden-Dollar-Marke knacken. Zwei Männer, die einen Traum hatten… eine Leidenschaft… und die man zu Recht als VÄTER DER SUPERHELDEN bezeichnen kann: Joe Shuster und Jerry Siegel.
„Superman II - Zu zweit gegen alle“
Bereits als Kind war dem kleinen Joe Shuster klar, dass er irgendwann mal seine eigenen Comics zeichnen würde. Die kleinen Bildergeschichten übten eine besondere Faszination auf ihn aus, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Durch alle Höhen und Tiefen.
Als der Junge mit seinen Eltern nach Cleveland zog, besuchte er dort die Hamilton Junior High School und verdiente sich seine ersten zeichnerischen Sporen bei der dortigen Schülerzeitung. Nichts weltbewegendes, aber ein Anfang. Er freundete sich mit dem Reporter Jerry Fine an, mit dem er allerlei Geschichten ersponn und zu Papier brachte. Fine war es auch, der dem jungen Joe von seinem Cousin erzählte, als die Shusters durch einen Jobwechsel des Vaters erneut umziehen mussten, was einen weiteren Schulwechsel nach sich zog. Der Cousin – ebenfalls ein Jerry – besuchte die gleiche Schule und so fand Joe schnell Anschluss an der Glenville High School. Dies war das erste Zusammentreffen von Joe Shuster und Jerry Siegel. Ihre gemeinsamen Interessen schweißten die Jungen schnell zusammen und der wöchentliche Gang zum Kiosk, wo jeden Mittwoch die neusten Pulp-Hefte erschienen, wurde zur gemeinsamen Routine. Die „Amazing Stories“ hatten es ihnen besonders angetan und während Jerry das erzählerische Talent hatte, lag Joe mehr der zeichnerische Part. Siegel schrieb zu der Zeit schon für die Schülerzeitung der Glenville High und ermutigte seinen Freund, dort künstlerisch tätig zu werden. So gelang es Joe, seinen ersten Malwettbewerb zu gewinnen. Ein weiteres kleines Erfolgserlebnis auf dem steinigen Weg Richtung Comic-Olymp.
Kurz darauf gründeten sie ihr erstes eigenes Magazin, während Shuster sogar einen Wettbewerb gewann, bei dem das örtliche Football-Team auf Postern beworben wurde. 5000 Plakate mit seiner Zeichnung hingen nun überall in der Stadt. In der dritten Ausgabe von „Science Fiction“ veröffentlichten sie dann eine Geschichte namens „Die Herrschaft des Superman“, die ein erster roher Entwurf des Helden war, den heute jedes Kind kennt… allerdings alles andere als strahlend und ruhmreich. Nach der Einstellung von „Science Fiction“ folgte die nächste Idee: Comic-Strips, die es zuhauf in den Tageszeitungen gab, in Heft-Form. Die Geburtsstunde von „Popular Comics“. Shuster und Siegel boten ihr Magazin einem Verleger an, da es sich durch enthaltene Werbe-Gutscheine finanzieren und somit für Kinder und Erwachsene gleichermaßen interessant sein sollte. So schnell, wie der Besitzer zusagte, sagte er auch wieder ab und der erhoffte Traum von Ruhm und Reichtum verpuffte… vorerst.
Eines Morgens stürmte dann Jerry in das Haus der Shusters, mit einer bahnbrechenden Idee im Gepäck. Über Nacht kam ihm der Geistesblitz, die „Superman“-Geschichte aus „Science Fiction“ erneut aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Kein Zukunfts-Setting mit egoistischem Anti-Helden, sondern etwas bodenständigeres. Ein Charakter, zu dem die Leute aufschauen. Ein „Superman“, der zwar immer noch entfernt war vom „Mann aus Stahl“, jedoch schon erste Konturen annahm. Der neu erschienene Pulp-Comic „Detective Dan“ ermutigte das Duo, ihren Ideen Form zu verleihen und diese an die Herausgeber zu schicken. Interesse war da, allerdings erschien nie eine zweite Ausgabe des Heftes… wieder nichts.
Während Joe anfing zu resignieren, arbeitete Jerry allein weiter an der Geschichte. Nach einer kurzen Trennungszeit des dynamischen Duos, führte ein neues Comic-Magazin namens „New Fun“ das Gespann wieder zusammen. Dieses Magazin war das, was die beiden sich mit „Popular Comics“ erträumt hatten… und es wurde veröffentlicht! Warum sollten also ihre Kreationen nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken? Sie arbeiteten voller Tatendrang, posierten für Zeichnungen von Körperhaltungen und engagierten ein Model, um die weibliche Figur ihres Comics zu skizzieren: Lois.
„Superman III – Der stählerne Blitz-Erfolg“
Mit der sechsten Ausgabe von „New Fun“ wurden die ersten Geschichten von Shuster und Siegel abgedruckt. Allerdings war von „Superman“ noch weit und breit keine Spur. Kurze Stories wie „Radio Squad“, „Spy“ oder „Federal Men“ waren die Projekte, die die ambitionierten Burschen über Wasser hielten, doch „Superman“ war nie vom Tisch. Sie glaubten an ihren stählernen Helden, obwohl sie reihenweise Absagen kassierten. Eines Tages fielen die Entwürfe jedoch in die richtigen Hände… und sie gingen durch viele Hände. 1938 erreichte Shuster und Siegel die Nachricht, dass der Verlag, der ihre anderen Werke bereits publizierte, unter neuer Führung übernommen wurde und man für ein neues Magazin Interesse an der „Superman“-Geschichte habe.
„Action Comics“ No.1 wurde veröffentlicht und schlug ein, wie eine Bombe. Mehr noch! Die Ausgabe sorgte für einen regelrechten Superhelden-Boom, denn natürlich wollte jeder ein Stück vom Erfolgs-Kuchen abhaben. Man erzielte Rekords-Verkaufszahlen und steigerte den Absatz mit jeder neuen Ausgabe. Der Verlag verklagte gnadenlos jeden Plagiats-Versuch und verdiente sich eine goldene Nase. Dennoch erblickten andere Helden das Licht der Welt… beispielsweise ein gewisser „Batman“, über dessen Schöpfung es auch noch interessante Details zu erfahren gibt. Jerry Siegel und Joe Shuster glaubten sich am Ziel ihrer Träume. Ihre eigene Kreation hat es geschafft, den Comic-Markt im Sturm zu erobern. Ihr „Superman“ füllte Comics, Tageszeitungen, die Wochenend-Ausgaben und Radio-Hörspiele. Ruhm und Reichtum… doch eine Sache hatten sie nicht bedacht…
„Superman IV – Die Karriere am Abgrund“
„Joe Shuster – Vater der Superhelden“ beginnt mit einem gealterten, verarmten Joe, der von einem Polizisten auf einer Parkbank aufgelesen wird. Es ist das Jahr 1975… drei Jahre bevor der großartige Christopher Reeve zum ersten Mal den „Mann aus Stahl“ in „Superman – Der Film“ auf der Leinwand darstellen und ihn so in noch höhere Sphären heben sollte. Der barmherzige Cop nimmt sich des Mannes an und sucht mit ihm ein nahegelegenes Diner auf. Beim gemeinsamen Lunch erzählt Shuster dem verblüfften Gesetzeshüter, der kaum glauben kann, dass der Schöpfer einer der größten Popkultur-Phänomene am Existenzminimum lebt, seine Lebensgeschichte… und davon, wie der kryptonische Superheld für ihn Segen und Fluch zugleich wurde…
„Men of Steel“
Nachdem der „Mann aus Stahl“ in diesem Jahr bereits seinen 80. Geburtstag feierte und der DC Verlag auf die 1000. US-Ausgabe der „Action Comics“ anstoßen durfte, ist es eine große Freude, einmal hinter die Kulissen zu blicken und dessen Schöpfer gebührend zu würdigen. Eine späte Würdigung, wenn man es genau nimmt… aber genau pünktlich zum großen Jubiläum.
Der in Münster geborene Autor, Fotograf und Journalist Julian Voloj – seit 2003 in seiner Wahl-Heimat New York lebend – nimmt sich eines der größten Popkultur-Phänomene überhaupt vor: „Superman“. Doch der Fokus liegt nicht auf der Figur selber, sondern auf seinen geistigen Vätern. Speziell Joe Shuster, der dem Kryptonier sein markantes Äußeres verlieh. Während der fünfjährigen Arbeit an der Comic-Biografie hatte Voloj die Möglichkeit, Einsicht in Dokumente und Briefe von Joe Shuster zu erhalten. Eine Schenkung an die Columbia University, die eine Menge über Shuster verriet und so auch tiefe Einblicke in sein Privatleben im Buch ermöglicht. Volojs Recherchen führten ihn nach Cleveland, wo er die Wohnorte von Siegel und Shuster besichtigte, ließen ihn Interviews mit Zeitzeugen führen, Archive durchwühlen und Gerichtsprotokolle einsehen… eine äußerst akribische und detaillierte Spurensuche also. Kein Wunder, dass das Endergebnis einen mehr als ambitionierten Eindruck hinterlässt. Der preisgekrönte Autor erzählt eine spannende und tragische Lebensgeschichte, die nicht nur Superhelden-Freunde ansprechen dürfte.
In Zeichner Thomas Campi fand Julian Voloj zudem einen hervorragenden Partner, der seine Geschichte in wunderschöne Illustrationen tauchte, welche problemlos aus den 30ern stammen könnten. Der gebürtige Italiener – mit aktuellem Wohnsitz in Australien – fertigte warme und farbenfrohe Aquarelle an, die herrlich unaufgeregt und stimmig durch die Handlung führen. Der sanfte und konturlose Strich des Künstlers bedient sich einer ähnlichen Pastell-Palette, die auch schon in „Magritte – Dies ist keine Biografie“ (ebenfalls erhältlich bei Carlsen) überzeugte. Die Einführung der Lebensgeschichte, sowie das Ende, finden in den 70er-Jahren statt. Auch dies hat Campi bei seiner Darstellung bedacht und änderte dort gekonnt seinen Stil. Kräftigere und sattere Erdfarben dominieren hier und auch feine, schwarze Konturen kommen zum Vorschein. Ein gekonnter Stilbruch zur vornehmen Blässe der 1930er.
Fazit:
„Joe Shuster – Vater der Superhelden“ kann in allen Belangen überzeugen. Als Leser gönnt man den sympathischen Träumern Joe Shuster und Jerry Siegel den erhofften Erfolg und fiebert mit jedem Tiefschlag mit. Zudem ergeben sich interessante Einblicke in die amerikanische Comic-Industrie, die damals freilich noch in den Kinderschuhen steckte… aber dennoch verseucht war mit skrupellosen und gierigen Bossen, die ohne Rücksicht auf Verluste nur auf zwei Dinge aus waren: Macht und Geld. Merkmale, die heute auch noch jede noch so kleine Industrie dominieren.
Der Carlsen Verlag veröffentlicht die toll gestaltete Graphic Novel als handliches und lesefreundliches Hardcover. Der matt gehaltene Einband und das ebenso matte Papier bieten die optimale Grundlage für das 30er-Jahre-Setting, welches so eindrucksvoll zur Geltung kommt. Neben einem Vorwort von Michelle Mayer – der Enkelin von Sheldon „Shelly“ Mayer, der Shuster und Siegel bei der Publikation von „Superman“ unter die Arme griff und den Stein erst ins Rollen brachte – finden sich im Anhang noch einige interessante Worte von Autor Julian Voloj, abgerundet mit Fotos, Zeichnungen und Cover-Skizzen.
Eine rundum gelungene Comic-Biografie, an der nicht nur Superhelden-Fans ihre Freude haben werden. Den letzten Satz dieser Rezension möchte ich einem Mann überlassen, der das große, rote „S“ zu Recht auf der Brust trug… sowohl auf der Leinwand, als auch im realen Leben.
„So many of our dreams at first seem impossible, then they seem improbable, and then… when we summon the will… they soon become inevitable.“
-Christopher Reeve (1952 – 2004)
Julian Voloj, Thomas Campi, Carlsen
Deine Meinung zu »Joe Shuster - Vater der Superhelden«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!