Jene Tage, die verschwinden

Jene Tage, die verschwinden
Jene Tage, die verschwinden
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Marcel Scharrenbroich
10101

Comic-Couch Rezension vonSep 2023

Story

Hier und da mal einen Tag überspringen, was soll’s? Wenn dies aber zur Gewohnheit wird, wirft es das komplette Leben aus der Bahn. Das muss Lubin bald schmerzhaft feststellen.

Zeichnung

Klare Linien und klassische Zeichentrick-Ästhetik. Ein toller Stil, der sehr gut zur Geschichte passt.

Heute bin ich ich, und morgen bin ich du

Doppelleben

Der Akrobat Lubin Maréchal steht in der Blütezeit seines Lebens. Jung, gutaussehend, durchtrainiert. Ein Unfall bei einem Auftritt, bei dem er sich den Kopf anstößt, wird ihn jedoch mehr aus der Bahn, als er sich anfänglich eingestehen möchte. Als er nach einem vermeintlich erholsamen Schlaf erwacht, muss er feststellen, dass er einen kompletten Tag verpasst hat. Zuerst glaubt Lubin, dass seine Freunde ihm einen Streich spielen, doch es bleibt nicht bei einem einmaligen Ereignis. Das Phänomen wiederholt sich. Lubin existiert fortan nur noch an jedem zweiten Tag. Doch was passiert in der Zwischenzeit? Liegt er im Bett und schläft? Schlafwandelt er? Nein, ganz im Gegenteil. Lubin ist höchst aktiv, wie Videoaufnahmen seiner zuvor aufgestellten Kamera beweisen. Als sein Leben eine komplette Kehrtwende nimmt und Job und Beziehung unter seinem lückenhaften Dasein leiden, nimmt plötzlich jemand Kontakt zu Lubin auf: Lubin.

Sein anderes Ich informiert ihn per Video, dass er ebenfalls ratlos ist, was gerade passiert. Er wachte eines Morgens in einer fremden Umgebung mit einem fremden Gesicht auf. Erinnerungen an eine Vergangenheit waren ausgelöscht. Nun scheint es sicher, dass Lubin sich seinen Körper mit jemand anderem teilt. Ein zweiter Lubin, der abwechselnd mit ihm koexistiert. Schnell wird klar, dass der Andere eine gänzlich unterschiedliche Persönlichkeit an den Tag legt. Das macht es für beide schwer, ihren Alltag zu strukturieren. Eine Therapeutin rät Lubin, mit seiner anderen Persönlichkeit in Kontakt zu bleiben. Womöglich könnte ein Austausch die diagnostizierte Störung beheben, sodass er wieder volle Kontrolle über sein Leben erhält. Der Andere denkt aber gar nicht daran zu verschwinden und setzt sich in seiner Zielstrebigkeit durch. Das äußert sich, indem die zeitlichen Lücken langsam größer werden. Zunehmend verdrängt das andere Ich Lubin aus seinem eigenen Körper. Wie lange wird es dauern, bis er komplett die Kontrolle verliert und für immer verschwindet?

Der innere Feind

Die Story von Thimoté Le Boucher klingt nicht nur abgedreht und spannend, sie ist es auch. Was als psychologisches Slice-of-Life-Drama beginnt, mausert sich langsam zum tiefgründigen Thriller mit Sci-Fi-Elementen. Die Tragweite ist enorm und das macht auch was mit den Lesern. Ist die Abwärtsspirale erstmal im Gange, beginnt man mit dem einst so lebensfrohen Lubin zu leiden. Wir stehen komplett auf einer Seite, sehen hilflos zu, wie einem jungen Mann das Leben entgleitet. Das ist ein durchaus emotionaler Ritt, der einen mit seinen zahlreichen Wendungen und Offenbarungen nachdenklich werden lässt. Liebe und Leid sind hier stets präsent und es gilt viele Tiefschläge zu verarbeiten.

Der Stil ist hell und farbenfroh, erinnert oft an Zeichentrickfilme und -serien der 80er. Le Boucher nutzt klare Linien, klassische Panel-Anordnungen und fügt eine dezente Manga-Ästhetik hinzu, welche jedoch nicht dominiert. Eine sehr schöne Umsetzung, die Hand in Hand mit der Geschichte geht.

Damit die Zeichnungen sich gebührend entfalten können, hat CROSS CULT ein großes Sonderformat für die optische Präsentation gewählt. Aufmachung und Qualität des Hardcovers sind top!

Fazit:

Thimoté Le Boucher drückt hier meisterhaft die richtigen Knöpfe, um seine Leser tief zu berühren. Der schier ausweglose Konflikt mit dem zweiten Ich, der mit einem unausweichlichen Kontrollverlust einhergeht, bringt empathische Menschen nah an den Rand der Verzweiflung. Mich hat „Jene Tage, die verschwinden“ jedenfalls ordentlich durchgeschüttelt und es brauchte einige Momente, bis ich mich wieder gefangen hatte. Sowas müssen bunte Bildergeschichten erstmal schaffen…

Jene Tage, die verschwinden

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