Text:   Zeichner: Tom Fiedler

Invictus - Der Weg zurück ins Leben

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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonSep 2023

Story

Ein tolles Buch, dass eindrücklich beschreibt, welch harten Weg es zu beschreiten gilt, um wieder im Leben anzukommen.

Zeichnung

Der Cartoon-Stil mag für eine solch ernste Thematik verwundern, erweist sich jedoch als perfekt gewählt. Die Charaktere wachsen einem schnell ans Herz.

Unbezwungen!

Dabei sein ist alles…

Sportfreunde haben es dieser Tage nicht leicht. Während unsere Regierung lustig Achterbahn fährt und sich in endlosen Debatten fruchtlos zwischen allen erdenklichen Krisen entlanghangelt und dabei selbst demontiert, ist noch nicht mal mehr auf König/Königin Fußball Verlass. Sowohl Herren als auch Damen scheiterten kläglich in den WM-Vorrunden und Bundesliga schauen macht auch keinen Spaß mehr. Wenn das Spannendste an der ganzen Nummer ist, was abseits des Platzes mit den verwöhnten Millionären und ihren Starallüren abgeht, sagt das so Einiges über der Deutschen liebstes Sport-Kind aus. Saudi-Transfers, Ablösesummen in Höhe des Bruttoinlandsprodukts kleinerer Inselstaaten und Mimosen-Gehabe überprivilegierter Bürschchen mit fünf Beratern an jeder Hand. Sogar in der Leichtathletik hat man uns mehrfach überrundet, wie die letzte Weltmeisterschaft eindrücklich zeigte. Medaillen? Fehlanzeige! Auch im Handball waren wir mal besser, aber den fünften WM-Platz will ich jetzt nicht zu schlechtreden. Da war jedenfalls noch ein Funken Leben in der Bude. Immerhin machen die Basketballer aktuell eine wahnsinnig gute Figur und stehen im WM-Finale. Aber sehr schön, dass in diesem Zuge offen diskutiert wird, den Wettkampf-Charakter in Deutschland komplett abzuschaffen. Bundesjugendspiele wären ja auch eine Zumutung für die Kleinen und könnten sie nachhaltig verstören.

Da war es eine Wohltat zu sehen, wie die Athletinnen und Athleten der Special Olympic World Games 2023 mit stolzer Brust gezeigt haben, wie Sportsgeist funktioniert. Beim größten inklusiven Sportevent der Welt war es eine Freude, in die strahlenden Gesichter der Kontrahenten zu sehen… wobei Kontrahenten schon wieder das falsche Wort wäre, denn in der Austragungsstätte Berlin hat jeder jedem Alles gegönnt. Vielleicht sollte mancher Profi sich mal wieder auf das Wesentliche besinnen und nicht nur den Blick auf den eigenen Kontostand haben, während Tätowierer und Friseur gleichzeitig an ihm herumschnippeln.

Das Jahr 2023 hat aber noch eine weitere Sportveranstaltung parat, die sich seit 2014 auf die Fahne geschrieben hat, den Sportlerinnen und Sportlern eine Bühne zu geben, die es mehr als verdient haben, im Rampenlicht zu stehen. Prinz Harry, Duke of Sussex und jüngster Spross von König Charles III., war als Offizier selbst in Kampfeinsätzen in Afghanistan und sah dort - nicht verwunderlich - viel Leid. Im Einsatz verletzte Soldatinnen und Soldaten inspirierten ihn dazu, den Verwundeten, deren Leben sich schlagartig für immer veränderte, einen Weg zurück in ein halbwegs normales Leben zu ebnen. Sport als Therapie, das Wettkampferlebnis als Krücke, um den Körper trotz Beeinträchtigungen optimal einzusetzen. Zeigen, dass man über sich hinauswachsen kann. Seelische Narben heilen und mit Hilfe von Familie, Freunden und tatkräftigen Unterstützern an Herausforderungen wachsen. Ganz nach Vorbild der amerikanischen Warrior Games, war dies die Grundidee für die Invictus Games.

„A Home for Respect.“

Unter diesem Motto finden die Invictus Games vom 9. Bis zum 16. September 2023 in der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf statt. Eine deutsche Premiere, zu der auch Prinz Harry persönlich anreist… so kommt er wenigstens mal aus dem Haus. Die 6. Invictus Games versammeln rund 500 Athletinnen und Athleten aus 21 Nationen aus aller Welt. Sie messen sich unter anderem in Sportarten wie Bogenschießen, Schwimmen, Tischtennis, Rollstuhlbasketball, Sitzvolleyball, Rudern oder Leichtathletik. Ja, es gibt Medaillen und Platzierungen, die sind jedoch nicht das Wichtigste in diesen Wettkämpfen. Die Invictus Games geben die Möglichkeit, verwundeten Soldatinnen und Soldaten zu zeigen, dass sie in der Gesellschaft präsent sind. Dass sie wichtig sind, jede und jeder Einzelne von ihnen, und dass sie unseren Respekt verdienen, die meist harte Rehabilitation und Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben auf sich nehmen. So geht oder fährt jeder Teilnehmer triumphierend vom Platz.

Chronist mit Berührungsängsten

Anfänglich ist sich der Comic-Künstler Tom Fiedler nicht ganz sicher, wie er mit seinem neusten Projekt umgehen bzw. wie er es angehen soll. 2019 wird er von einem Oberst der Bundeswehr kontaktiert, da sich Düsseldorf um die Ausrichtung der Invictus Games bewerben will. Als Tom ohne große Vorkenntnisse recht unbedarft im Bundesministerium für Verteidigung ankommt und vom Oberst mit einem Aufklärungsvideo überrascht wird, muss er erstmal schlucken. Abgetrennte Gliedmaßen, Verletzungen, Narben. Unsicher, ob er als Live-Zeichner die Bewerbung mit seinen Illustrationen unterstützen will, sagt er schließlich zu. Düsseldorf bekommt den Zuschlag, doch damit ist die Arbeit für Tom noch lange nicht getan… sie fängt gerade erst an.

Er soll eine Bildergeschichte über die langwierige Rehabilitation anfertigen, quasi den Geist der Invictus Games in Panels verewigen. Zu diesem Zweck soll er für drei Wochen nach Warendorf. Im Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr ist es seine Aufgabe, Therapien der Versehrten zu begleiten und zu dokumentieren. Schon am Eingang zur Kaserne trifft er ausgerechnet auf Murat, seinen Nachbarn von gegenüber. Murat ist Fallschirmjäger und auch sonst eine richtige Sportskanone. Zumindest war er das, bis ein Übungssprung schiefging und es ihm bei der Landung den Fuß zertrümmerte. Aus dem eher wortkargen Henning hingegen, dessen Verletzungen eher seelischer Natur sind, wird Tom noch nicht recht schlau. Er will auch nicht zu forsch auftreten und fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. So ergeht es auch Nadja, einer jungen Soldatin, die bei einem eigentlichen Routineeinsatz ihr linke Hand durch eine Explosion verlor. Den Stumpf versteckt sie meist in einem Hoodie. Tom ist stets vor Ort, wenn die drei von Termin zu Termin rotieren. Immer den Zeichenstift im Anschlag. Die ungewohnten Einblicke in Physiotherapien und Behandlungsgesprächen setzen ihm ordentlich zu, doch die kleine Truppe gänzlich unterschiedlicher Charaktere wächst irgendwie zusammen. Fortschritte und bittere Rückschläge müssen fortan nicht mehr alleine bewältigt werden. Ein Wir-Gefühl entsteht… und Tom bekommt so langsam ein klares Bild davon, wofür die Invictus Games wirklich stehen. Und einer seiner neuen Kameraden wird die große Bühne in Düsseldorf tatsächlich betreten.

Go for Gold

Viel ehrlicher und besser könnte man einen Comic zu diesem Thema wohl kaum umsetzen. Tom Fiedler ist zwar selbst Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, stellt sich aber nicht in den Mittelpunkt. Er hat keine Scheu, eigene Schwächen und seine anfängliche Unsicherheit offen darzustellen. So wird er regelrecht zu unserem gezeichneten Spiegelbild, denn ich wage mal zu behaupten, dass nur die Wenigsten von uns solch detaillierte Einblicke in die Rehabilitation bekommen haben. Er lässt die anderen Charaktere selbst zu Wort kommen, die uns quasi direkt ansprechen. Das eröffnet eine gewisse Beziehung zwischen Leser und Protagonisten. Erklärungen zu Therapie-Abläufen und Begrifflichkeiten - wie Post-Traumatische Belastungsstörung (PTBS) - werden auf grau unterlegten Seiten immer wieder eingeschoben. So bleibt kaum eine Frage offen, sodass Außenstehende schnell Zugang finden.

Für die künstlerische Umsetzung hat Fiedler einen überzeichneten Cartoon-Stil gewählt. Absolut passend. Die Akteurinnen und Akteure behält er stets im Fokus, färbt zu diesem Zweck grobe Hintergrunddetails in hellem Blau ein. So erkennt man stets, wo gerade die Musik spielt. Diese gelungene Fokussierung sorgt aber auch dafür, dass die Seiten selten komplett gefüllt sind. Normalerweise würde ich dies etwas dicker ankreiden, sehe hier für das Erzählte bzw. Dargestellte aber keinen großen Verlust. Einzig die Figuren sollen und müssen hier im Vordergrund stehen.

Fazit:

So richtig viel wusste ich bislang nicht über die Invictus Games. Ich kannte den guten Sinn und Zweck, und mir war bekannt, dass der ehemalige Party-Prinz sie ins Leben rief. Dank der ehrlichen und absolut charmanten Hintergrund-Recherche von Tom Fiedler bin ich nun schlauer und drücke jedem einzelnen Teilnehmer, egal aus welcher der 21 Nationen, ab dem 9. September die Daumen. Nicht für den Sieg… sondern für den ganz eigenen Triumph.

Invictus - Der Weg zurück ins Leben

Tom Fiedler, Tom Fiedler, Avant

Invictus - Der Weg zurück ins Leben

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