Body(-Horror) & Soul
„I bin fertig. Jetzt bin i endlich a wundaschena, bunter Schmetterling!“
- Gustl (Ex-Raupe)
Das viktorianische London, wir schreiben das Jahr 1894: Die gut betuchte Lady Bertram, Tochter eines schottischen Arztes, lebt eigentlich in höheren Kreisen, hat nur den Fehler gemacht, ein Arschloch von Mann zu ehelichen. Nicht in der Lage ihm ein Kind zu gebären, hurt sich der Saftsack lieber durch den siffigen Teil Londons, als seiner Gemahlin beizustehen… die er eh nur wegen der Mitgift geheiratet hat. *kotz*
In ihrer treu ergebenen Dienerin Mariah findet die vernachlässigte Lady Bertram jedoch eine Seelenverwandte. Sie verbindet eine Zuneigung… eine Liebe, von der niemand wissen darf. Mariah kann ihrer Lady den ersehnten Kinderwunsch erfüllen, aber nicht so, wie man vielleicht denken mag… was auch immer man denkt, wenn lediglich zwei Frauen in den Akt involviert sind. Sie… - tja, wie drücke ich das jetzt am besten aus, ohne dass euch das Essen hochkommt? - Sie würgt einen Parasiten hoch, den sie in den Mund der Lady sabbert. So schnell kanns gehen. Aber Moment… damit ist der Braten immer noch nicht gar. Dafür ist nämlich Arschloch-Daddy zuständig! Beim seltenen Liebesspiel mit ihrem Gatten Harry gibt Lady Bertram den kleinen Schleimbolzen an ihn weiter - wie gehabt: hochwürgen und reinsabbern - worauf dieser einen strammen Knaben gebärt. Na ja, besser gesagt BRICHT der Bursche aus ihm heraus, sodass es ihn wortwörtlich zerreißt. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: den verhassten Ehemann über den Jordan geschickt und den Kinderwunsch erfüllt. Happy End? Nein.
Die mehr als ungewöhnliche Geburt muss natürlich geheim gehalten werden und auch Harrys zerborstene Überreste müssen weggeschafft werden, ohne großes Aufsehen zu erregen. Diese werden in der Themse entsorgt und sollten sie auftauchen - was sie natürlich tun - sollte es nicht allzu schwer sein, den Verdacht auf Londons Rotlichtviertel zu lenken, wo der Stelzbock schließlich ein- und ausging. Was Lady Bertram jedoch zunehmend Kopfschmerzen bereitet, ist die Tatsache, dass sie seit dem abstrakten Seitensprung mit ihrer Dienerin Veränderungen an ihrem Körper feststellt…
Sie und Mariah gehören zu einer… nennen wir es „besonderen“ Spezies, die der Männerwelt (zumindest DEM Teil, der nichts Gutes im Schilde führt) den Kampf angesagt hat. Dazu zählt auch „Der Schlächter von London“, der in den dunklen Gassen der Stadt an der Themse für Unruhe sorgt. Weiteres Unheil kündigt sich an, als der Bruder des verblichenen Harry mit seiner Gemahlin im Hause Bertram einkehrt. Deren Absichten der Lady gegenüber sind nämlich alles andere als wohlgesonnen…
Brundle-Fliege lässt grüßen
Ähnlich wie Jeff Goldblum sich in David Cronenbergs „Die Fliege“-Remake in eine übergroße Stubenfliege mit fragwürdigen Essgewohnheiten (und schlechten Tischmanieren) transformierte, zeigen auch die beiden Hauptakteurinnen gerne mal was in ihnen steckt. Da platzt die Madame so mir nichts dir nichts mit einem *KLADUUUSCH!* aus allen Nähten und es spratzen insektenartige Arme/Beine hervor, die sich suppend ins Gegenüber bohren, als gäbe es kein Morgen mehr! Ja, in „InSEXts“ geht es nicht zimperlich zur Sache und auch der gleichgeschlechtlichen Liebe wird ordentlich gefrönt. Trotz reichlich nackter Haut, geraten die erotischen Szenen nicht zu plakativ oder arten in Pornographie aus. Dennoch ein Comic-Buch, das nicht in die Hände der jüngsten Leser gehört.
Panini veröffentlicht mit „InSEXts 1: Metamorphose“ den ersten Sammelband des Body-Horror-Dramas mit actionreichem Phantastik-Einschlag. Enthalten sind die ersten sieben US-Hefte der Reihe, die ursprünglich von Aftershock Comics veröffentlicht wurde. Zwischen Dezember 2015 und September 2017 brachte es die Serie auf insgesamt 13 Ausgaben, was ja geradezu nach einem zweiten deutschen Sammelband schreit. Zwar endet die Geschichte von „Metamorphose“ nicht mit einem großen Cliffhanger, deutet aber an, dass die Reise von Lady Lalita Bertram und ihrer Geliebten Mariah noch nicht zu Ende ist. Der Softcover-Band macht allein äußerlich schon eine Menge her und begeistert mit stylishen Spotlack-Elementen auf dem ansonsten matten Cover. Dieser Effekt setzt sich auch auf der Rückseite fort. Nennenswertes Bonusmaterial liegt bis auf zwei Variant-Cover Abbildungen der ersten US-Ausgabe, die überlappend auf einer Seite untergebracht sind, Künstler-Profilen aller Beteiligten und einem Vorwort (dazu mehr im nächsten Absatz) von Autorin Marguerite Bennett nicht vor.
Mit Pinsel und Brechstange
Farbenfroh, jedoch mit vornehmer Blässe, sind die Panels gefüllt und untermalen so angenehm und überzeugend das ausgehende 19. Jahrhundert. Die indonesischen Koloristen Jessica Kholinne und Bryan Valenza liefern ordentlich ab und tragen mit ihren (auf den zweiten Blick digitalen) Farben zur viktorianisch-phantastischen Atmosphäre bei.
Künstlerin Ariela Kristantina ist für die gesamten Zeichnungen in „InSEXts“ verantwortlich, was auch das gelungene Cover mit einbezieht. Ihren Stil könnte man als positiv-schluderig und skizzenhaft bezeichnen, was kombiniert mit der teilweise verwaschenen Kolorierung erstaunlich gut funktioniert. Womit ich mich allerdings schwertue, sind die Figuren… beziehungsweise deren Gesichter. Die Augenabstände sind derart groß, dass ohne Farben so gut wie jeder Charakter als Insekt durchgehen würde.
Geschrieben und erdacht wurde „InSEXts“ von der US-amerikanischen Comic-Autorin Marguerite Bennett. Bennett, die zuvor bereits für DC an „Batman“, „Bombshells“ oder „Batwoman“ und für MARVEL an „Angela“, „A-Force“ und „X-Men“ arbeitete, legte mit „InSEXts“ ihre erste eigene creator owned-Reihe vor. Im August 2016 legte sie mit der Reihe „Animosity“ nach, die derzeit immer noch fortlaufend bei Aftershock Comics erscheint.
Im ausführlichen Vorwort erklärt Marguerite Bennett, was sie dazu bewogen hat, diesen Comic zu schreiben. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, als hätte sie sich dort ihren kompletten Frust und ihre Wut auf die Männerwelt von der Seele geschrieben. Einige Dinge, die sie dort anprangert, würde ich sofort unterschreiben und bin auch ohne Wenn und Aber für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, aber wenn Sätze fallen, dass du als Frau „bestraft wirst, wenn du nicht tust, was man dir sagt“ oder das Leben einer Frau „flüchtig und von anderen bestimmt ist“, fällt mir nicht mehr viel ein. Dass Frauen beigebracht wird, dass es „falsch ist, weiblich zu sein“ und „dass du als Mädchen minderwertig bist“… also bitte, Miss Bennett. Es ist zwar tragisch und erschreckend, dass mancherorts tatsächlich noch so unmenschlich gedacht wird, aber deswegen alle Männer über einen Kamm zu scheren und in Jammern zu verfallen, welches dem genauen Gegenteil von dem entspricht, was Sie zu Papier bringen? Das passt nicht. Ob Sie es glauben oder nicht, aber auch der männliche Körper verändert sich im Alter und auch wir bekommen Haare an Stellen, wo wir sie nicht gebrauchen können. Schlimmer noch: da WO wir sie brauchen, fallen sie aus! Nun ja, ob es diesen provokanten Text, der noch einige fragwürdige Sätze mehr enthält, gebraucht hätte, sei mal dahingestellt… aber immerhin haben Sie es geschafft, dass ich mich schlecht fühle, obwohl ich gar nichts gemacht habe. Danke, Miss Bennett.
Fazit:
Mit zunehmender Lesezeit rutschte die Story von einer sehr guten 8 auf eine (immer noch solide) 6, was eigentlich sehr schade ist. Potential ist nämlich durchaus gegeben, verpufft jedoch zusehends anhand der uninspirierten Erzählweise. So fällt der spannende und gut inszenierte Body-Horror-Aspekt, dessen stetige und unberechenbare Entwicklung für Unbehagen sorgt, mehr und mehr in den Hintergrund, um Platz zu machen, für ein Schaulaufen von immer mehr illustren Monstrositäten. Das hätte die Story nicht nötig gehabt. Stattdessen hätte Autorin Bennett gut daran getan, die Hintergründe über die Insekten-Metamorphose näher zu beleuchten.
Marguerite Bennett, Ariela Kristantina, Panini
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