Der Todeskünstler
Dexter, bist du es?
Für Emilio Rodriguez kann es gar nicht blutig genug sein. Grausame Morde und Verstümmelungen sind Alltag für ihn. Wo es Normal-Sterblichen den Magen auf links dreht, entlockt der Anblick von gefolterten Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern, die kürzlich erst um das eine oder andere Körperteil erleichtert wurden, dem 53jährigen höchstens ein anerkennendes Nicken. Gewalt übt eine sonderbare Faszination auf Rodriguez aus. Muss sie wohl auch, denn schließlich geht er seiner Arbeit schon seit Jahren nach. Seiner Arbeit als… Professor der Kunstgeschichte an der Universität des Baskenlandes. Außerdem ist er Mitglied in der Forschungsgruppe „Kunst und Grausamkeit“ und Herausgeber der Zeitschrift „Trémula“, welche sich mit der Darstellung des Schmerzes in der westlichen Kunst beschäftigt. Tja, kein Wunder, dass er im Laufe seiner Karriere schon so einiges gesehen hat und ihn auch die wildesten Gewalt-Phantasien der Kunstschaffenden nicht aus der Bahn werfen. Geschweige denn, dass der Anblick von Blut seinen Puls auch nur um einen Schlag in die Höhe treiben würde. Rodriguez ist wahrlich mit allen Wassern gewaschen… Ach ja, ein kleines Detail noch, bevor ich es vergesse… der Prof ist außerdem ein Serienkiller.
Sind die abgehackten Körperteile Kunst… oder können die weg?
In mehr als 20 Jahren mordete Emilio Rodriguez bereits über 30 mal. Er tötet nicht wahllos, nein… er betrachtet sein Tun als „Kunst“. Nicht der eigentliche Akt treibt ihn an. Es ist mehr das Gesamte, was es in seinen Augen zu einer Kunstform erhebt. Das Planen, das Auskundschaften, die Ausführung. Er übt jeden Handgriff, will sich seiner Sache sicher sein, handelt nie übereilt, wirft sogar spontan einen Plan über den Haufen, sollte die Situation nicht vollkommen sicher sein. Es ist die Kreativität, die ihn antreibt. Wenn möglich, wiederholt sich kein Szenario. Die Planungs-Phase ist akribisch, das Opfer meist zufällig gewählt. Es darf keine verfolgbaren Verbindungen geben. Keine persönlichen Motive, keine Muster, Nichts… sonst würde man ihm schnell auf die Schliche kommen, dessen ist der Professor sich bewusst. Laut seiner Theorie sorgt eine größere Distanz… eine größere emotionale Distanz… zum Opfer, für eine niedrigere Hemmschwelle. Wann ist nah für ihn ZU nah? Existiert diese Grenze überhaupt? Kaltblütig, wie er seine „Kunst“ ausführt… ja, sogar lebt?
Rodriguez, der seinen ersten Mord bereits beging, als er selber noch Student war, schwor sich, nie mehr so planlos und intuitiv zu handeln, wie bei seiner ersten Tat. Dennoch begeht auch der akribisch vorbereitete Professor Fehler… ist unvorsichtig. Wie sonst, könnte ihm ein Blutfleck auf seiner Kleidung entgehen, der aber direkt von einem Kollegen bemerkt wird? So etwas darf ihm nicht wieder passieren… Umso größer ist seine Überraschung, als er von zwei Polizeibeamten angesprochen wird und zum Verhör aufs Revier gebracht wird. Eine kunstvoll drapierte, zerstückelte Leiche wird gefunden… aus dem Umfeld von Emilio Rodriguez. Eine Verbindung, die es bei seiner detaillierten Vorgehensweise nicht geben darf. Gibt es auch nicht, denn der Tote geht nicht auf das Konto des Professors…
Ein Mann sieht rot
Der Autor von „Ich, der Mörder“, Antonio Altarriba, lehrt selbst als Professor der Literatur an der Universität des Baskenlandes. Zufall? Man weiß es nicht… Eine Serienmörder-Karriere wollen wir dem spanischen Schriftsteller, der für seinen Roman „La Memoria de la Nieve“ mit dem Großen Baskischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, natürlich nicht unterstellen. Hier drängen sich jedoch Vergleiche zum Stephen King-Roman „Stark – The Dark Half“ auf, in dem der Horror-Autor mit dem mordenden Protagonisten ebenfalls ein böses Alter Ego seiner selbst geschaffen hat. Vielleicht ließ Altarriba seiner Fantasie auch nur freien Lauf, um mit unliebsamen Kollegen abzurechnen. Auch hierfür gibt es freilich keine Beweise, doch der Machtkampf hinter den Universitäts-Kulissen, der in der Graphic Novel offenbart wird, lässt darauf deuten. „Ich, der Mörder“ ist nämlich keine simple Serienkiller-Story, die möglichst detailliert das voyeuristische Auge des Lesers bedienen will. Nein, die Geschichte geht tiefer. Auch das Thema Entfremdung spielt eine Rolle… denn so kreativ, wie der mordende Professor bei seiner Leidenschaft zu Werke geht, so monoton gestaltet sich sein Privatleben… zumindest das eheliche Leben. Seitensprünge und Affären deuten das Unvermeidliche bereits früh an und auch hier stellt sich erneut die Frage: Wie nah ist ZU nah?
Zeichnerisch bewegt sich „Ich, der Mörder“ auf einem angemessenen Niveau. Passend zur düsteren Thematik taucht der Künstler Jose Antonio Godoy – auch bekannt unter seinem Künstlernamen Keko – die Geschichte in harte und kontrastreiche schwarz-weiß Bilder. Mit dickem Strich und großflächigem Schattenwurf lässt Keko hier nicht den kleinsten Ansatz von Gute-Laune-Atmosphäre unter dem satten Schwarz durchschimmern. Mögen die Charaktere auf den ersten Blick simpel dargestellt sein, ergeben sich die Feinheiten der Panels im Detail. Hintergründe und Gebäude wirken extrem fein und erinnern fast schon an verfremdete und überzeichnete Fotografien… was ich noch nicht mal ausschließen möchte, da dargestellte Gemälde ebenfalls wie verkleinerte Originale erscheinen. Schraffuren und Tusche-Spritzer verleihen vielen Bildern noch ein stilistisches Underground-Flair und durchbrechen eine sterile Geradlinigkeit.
Als einziger Farbtupfer findet die Farbe Rot hier Verwendung. Ein Stilmittel, das bereits in Spielbergs „Schindlers Liste“ und Frank Millers „Sin City“ (ich hätte nie gedacht, dass ich „Schindlers Liste“ und „Sin City“ mal in EINEM Satz benutzen würde…) Verwendung fand. Dieser farbliche Ausreißer zieht sich kontinuierlich durch das Buch und zieht das Auge des Lesers magnetisch an. Maßgeblich wird die rote Farbe natürlich bei der Ausführung der blutigen „Kunstwerke“ durch den Professor in Szene gesetzt. Empfindliche Leser seien an dieser Stelle gewarnt, da es hier und da auch explizite Darstellungen gibt. Das Blut quillt zwar nicht aus dem Buch heraus, könnte bei einem übernervösen Magen aber ein leichtes Grummeln hervorrufen. Gleiches gilt übrigens auch für die sexuellen Handlungen. Auch hier läuft nix raus, aber ich wollte es wenigstens mal erwähnt haben.
Fazit:
Der Avant-Verlag hat mit der deutschen Ausgabe von „Ich, der Mörder“ einen prächtigen Hardcover-Band (mit Spotlack-Veredelung) auf den Markt gebracht, dem eine spannende und packende Story innewohnt. Ähnlich wie TV-Serienkiller „Dexter“ spricht der Protagonist den Leser direkt an und schafft so eine unbehagliche Nähe zu einem Mann/Monster, dem man nicht im Dunkeln begegnen möchte… und am besten auch nicht bei Tag.
Antonio Altarriba, Keko, Avant
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