Schaumwein, Mord und Stimmen im Kopf
Ohne Scheu, ohne Scham
Sagt man nicht so lapidar, dass so mancher Psychiater selbst auf die Couch gehört? Hier haben wir mal ein konkretes Beispiel dafür:
Eva Rojas, eine junge, aufgeweckte Seelenklempnerin, hat - nicht zuletzt wegen ihres exzentrischen Verhaltens - ihre Approbation verloren. Sie redet ungefiltert drauflos, eckt gerne und oft an, leidet unter grenzenloser Selbstüberschätzung, wechselt häufig die Sexualpartner, ist unberechenbar und von ständig wechselndem Gemüt… so viel zu ihren guten Eigenschaften. Ob sie ihre Zulassung nun wiederbekommt, hängt ganz vom geschulten Doktor Llull ab, der Eva komplett durchleuchten soll. Die weiß genau, wie der alte Hase tickt. Und dank ihrer - wir erinnern uns - grenzenlosen Selbstüberschätzung, fühlt sie sich dem erfahrenen Psychiater trotz deutlich weniger Lebens- und Berufserfahrung mindestens ebenbürtig. Zur Therapie gehört auch, dass Eva Llull detailliert ihren Wochenablauf offenlegt. So erzählt Eva ihm, wie sie zugestimmt hat, einer ihrer Patientinnen auf privater Ebene zu helfen…
Penelope, so der Name der jungen Frau, wollte Eva unbedingt bei der Testamentsverlesung ihrer Großmutter dabeihaben. Eine stinkreiche Familie, die seit mehreren Generationen erfolgreich Cava, einen beliebten spanischen Schaumwein, herstellt. Da es hier um den einen oder anderen Taler gehen dürfte, reist jeder der geladenen Verwandtschaft mit teuer bezahlten Anwälten an. Penelope vertraut jedoch nur Eva, die sich vor der zweitägigen Reise aufs familiäre Luxusanwesen noch schnell ein paar Eckdaten draufgeschafft hat. Es dauert nur ein paar Gespräche, bis Eva mitten ins Wespennest sticht. Mit ihrer vorlauten Art macht sie sich nicht nur Freunde im Familienclan der Monturós… vor allem beim chauvinistischen Francesc, dem Firmenchef, den sie eiskalt auflaufen lässt, rennt sie verschlossene Türen ein. Unter all den Alphamännchen ist die wortgewandte Eva voll in ihrem Element.
Der Abend neigt sich bereits dem Ende zu, als die Psychiaterin noch mal auf eigene Faust bei einem lauen Mitternachtsspaziergang das Anwesen erkundet. Vor dem Weinkeller fallen ihr Fußspuren auf. Sie steigt die Stufen hinab und findet Francesc Monturós. Tot. Ermordet.
Und spätestens hier wird nicht nur Doktor Llull, sondern auch der geneigte Krimi-Freund hellhörig. In lebendigen Schilderungen werden wir Zeugen, wie Eva Rojas - natürlich ungefragt - der ermittelnden Polizei unter die Arme greift. Und zwar auf ihre ganz eigene unkonventionelle Art.
Labil und Spaß dabei!
Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich diesen Comic liebe! Bereits nach wenigen Seiten mochte ich jeden einzelnen Aspekt. Allein die Zeichnungen von Jordi Lafebre sind ein Traum. Mit unvergleichlichem Strich, der ihm kinderleicht von der Hand zu gehen scheint, zaubert er malerische Landschaften, detaillierte Architektur und unglaublich dynamische Figuren aufs Papier, dass man sich gar nicht an den Bildern sattsehen kann. Wer Lafebres „Trotz allem... Liebe“ (SPLITTER) oder die charmante Familienserie „Wundervolle Sommer“ (SALLECK PUBLICATIONS) kennt, wird meine Schwärmerei nachvollziehen können. Meinen Geschmack treffen die Zeichnungen hier zu 100%. Evas Gestik und Mimik ist auf den Punkt. Mal provokant und lasziv, dann wieder nachdenklich und grüblerisch. Jede Facette des vielschichtigen Charakters trifft er haargenau.
Man muss aber auch sagen, dass die Figur einfach verdammt gut geschrieben ist. Jordi Lafebre hat sich Experten ins Boot geholt, um sowohl über mentale Gesundheit, die Herstellung von Schaumwein und polizeiliche Ermittlungen möglichst realistisch berichten zu können. Die fast schon tragische Geschichte von Eva wird dabei immer wieder durch cleveren Humor aufgelockert. Wortgefechte, freche Sprüche… oder der Rat von bereits verstorbenen Familienmitgliedern. Ja, Eva plaudert gerne mal mit ihrer Großmutter und den beiden Großtanten, die zu Lebzeiten selbst so einiges erlebt hatten. Ihr könnt Euch denken, was Doktor Llull zu diesem fast beiläufig erwähnten Austausch mit dem Totenreich sagt…
Natürlich soll die eigentliche Hauptgeschichte nicht unter den Tisch fallen, denn schließlich lautet der Untertitel von „Ich bin ihr Schweigen“ nun mal „Ein Barcelona-Krimi“. Und den bekommen wir auch in bester Whodunit-Manier. Falsche Fährten, komplexe Familiengeflechte, akribische Ermittlungsarbeit. Alles, was eine gute Kriminalgeschichte braucht. Ein verzwickter Fall im Industriellen-Milieu, angesiedelt in malerischer Kulisse. Ein absoluter Volltreffer.
Fazit:
So gut wurde ich 2024 bislang von keinem Comic unterhalten. Obwohl Lafebre mit der mentalen Achterbahnfahrt der Protagonistin auch durchaus ernste Themen anspricht, hat er Eva Rojas‘ eigenmächtige Mörderjagd durch und durch unterhaltsam angelegt. Mit ganz viel Charme, Urlaubsflair und nicht zuletzt Spannung. Ein durch und durch stylisher Krimi, den man bis zur Auflösung nicht aus der Hand legen kann.
Jordi Lafebre, Jordi Lafebre, Splitter
Deine Meinung zu »Ich bin ihr Schweigen - Ein Barcelona-Krimi«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!