Ehrenrettung eines zu Unrecht verdammten Vergnügens
Der Comic wurde angeblich erfunden, um unschuldigen Spaß zu verbreiten; der Name konserviert diese Wurzel. Lange Jahre blieb der Comic tatsächlich lustig, aber wie jede Kunst- und Unterhaltungsform verzweigte und entwickelte er sich, zumal er eine ideale Plattform für jedes Genre darstellte. Es kam auf das Publikum an: Was wollt ihr? Wir geben es euch!
Der Horror benötigte eine Weile, bis er sich nicht mehr nur zu Wort, sondern auch als Bild meldete. In den „Pulp“-Magazinen war er bereits in den 1920er Jahren präsent. Schon damals wurden die veröffentlichten Geschichten auf eine Weise illustriert, die zukünftige Schwierigkeiten andeuteten: Anders als die „ghost story“ schaltete der Horror in Sachen Drastik gleich mehrere Gänge hinauf. In den 1930er Jahren tauchten in den USA die Comic-Hefte auf. Gewalt, Blut und die Deformation menschlicher Körper wurden zu Unterhaltungselementen, die konservative Kreise verstörte: Welcher ‚gesunde‘ Mensch kann solchen schaurigen Schund lieben und nicht zum Massenmörder degenerieren?
Kunsthistoriker und Comic-Forscher Dr. Alexander Braun, Autor des hier vorgestellten Monumentalwerks, nimmt sich in einem nur scheinbar themenfernen Einführungskapitel („Saturns Enkel - Garstige Zeiten“) die Zeit, um auf die Grundsätzlichkeit des Horrors hinzuweisen, der seit jeher den Menschen in Kunst und Unterhaltung begleitet. In den Museen dieser Welt hängen für alle Altersschichten sichtbar Gemälde, die es inhaltlich mit den Grässlichkeiten des modernen Horrors problemlos aufnehmen. Als „Kunstwerke“ sind sie sakrosankt und bleiben von einer Kritik ausgespart, die den Horror voll traf und trifft, obwohl dieser keineswegs selbstzweckhaft ist, sondern eine eigene ‚Moral‘ besitzt, die Braun sorgfältig herausarbeitet.
Den Gegner mit Fakten schlagen
Generell beeindruckt die profunde Sachlichkeit, mit der Braun einer Horror-Kritik begegnet, die zu allen Zeiten primär auf Unwissen, Hysterie und Manipulation beruhte. Exemplarisch verdeutlicht er dies am Schicksal der EC-Comics, die „Amerikas Weg in die Zensur“ (Kap. 2) begleiteten. Dabei greift der Autor über das Thema Comic weit hinaus und rekonstruiert eine Ära moralisierender Reaktion, die sich gegen die durch den Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzten politischen und sozialen Fortschritte richtete - die Emanzipation der Frau, die Rassenfrage, der Widerspruch einer Jugend, die sich nicht mehr bevormunden oder in Stellvertreterkriegen (Korea, Vietnam) verheizen lassen wollte. Politiker, Kirchenmänner und andere, meist selbsternannte Autoritäten fürchteten die Aufweichung einer Vormachtstellung, die sie nicht teilen oder gar aufgeben wollten. Dieser Kampf griff auf die Kultur über. Braun schildert bizarre Episoden wie den Versuch des erzreaktionären FBI-Chefs J. Edgar Hoover, namhafte Comic-Produzenten und Zeichner als „Kommunisten“ = Hetzer gegen „Recht und Ordnung“ einsperren zu lassen.
Der Horror ging in die Defensive, bis die Zeiten sich änderten. Zwar musste er sich immer wieder und auch heute dort der Kritik stellen, wo er (angebliche) Grenzen überschreitet, doch er blieb, wuchs und gedieh. Seine ebenso düstere wie bunte Genese ist der rote Faden, der durch dieses Buch und in eine längst globale Historie führt: Selbstverständlich gruselt man sich auch auf anderen Kontinenten gern - wenn auch manchmal anders als in der westlichen Welt.
Braun folgt dem Horror in entfernte Winkel, wobei er den asiatischen Raum eher streift bzw. der dortigen Manga- und Anime-Kultur dort auf den Grund geht, wohin sich bisher recht wenige Comic-Historiker wagten („Nippon Gore - Von Schnitten und Pusteln“). Abseits des üblichen, gern auf das ‚sensationell Abartige‘ fokussierten Blicks werden die Ursprünge einer Kultur offengelegt, die nicht per se „pervers“, sondern schlicht anders ist; ein Hintergrund, vor dem auch die Einordnung der italienischen „Fumetti Neri - klein, schwarz, giftig“ plausibel wird: als Reaktion auf die Befreiung einer erst kirchlich, dann faschistisch bestimmten Gesellschaft, die einige Jahre in zuvor verbotenen Exzessen schwelgte, bis dieser Drang verebbte - und die „Fumetti Neri“ von allein ihren Horror mäßigten, ohne dass ihretwegen inzwischen die Welt untergegangen wäre: Braun bleibt wie gesagt sachlich und legt dadurch umso gnadenloser die geistige Enge, die Furcht und die Machenschaften reflexhaft mundschäumender Horror-‚Kritiker‘ offen.
Schlüsselfiguren und Orte des Schreckens
In seiner Darstellung orientiert sich der Autor an den Archetypen, die dem Horror entsprungen sind und die ihn bis heute prägen: Frankensteins Monster (= der ‚künstliche‘ Mensch), der Vampir, der Werwolf, der Zombie, Geister und Dämonen. Darüber hinaus thematisiert er Schauplätze, auf denen der Horror besonders intensiv wirkt/e: natürlich Hölle und Friedhof, aber auch das Meer bzw. die Tiefsee oder das Weltall. Die Palette der hier wie dort hausenden Ungeheuer ist breit, doch es gibt interessante Gemeinsamkeiten, auf die Braun hinweist. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dabei jenem Horror, der nicht des Nachts oder an unheimlichen Orten umgeht, sondern im menschlichen Hirn gärt - unsichtbar von außen, aber irgendwann gewalttätig explodierend und dabei jeden Fiktiv-Horror in den Schatten stellend.
„Horror im Comic“ bietet dunkle Pracht in Wort und Bild. Das Buch ist der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die zwischen dem 18. Februar und 14. August 2022 im „schauraum comic + cartoon“, Dortmund stattfand. Autor Braun ist Kurator dieses Veranstaltungsortes - und in Sachen Comic alles andere als ein Neuling. 2008/09 war er für die Ausstellung „Jahrhundert der Comics - Die Zeitungs-Strip-Jahre“ (Bielefeld, Dortmund, Erlangen und Rems) verantwortlich, der seither weitere Schauen zum Thema folgten. 2021 wurde Braun gleich in zwei Kategorien („Beste Edition eines Klassikers“ und „Beste Sekundärliteratur“) mit dem Münchner Comicpreis „PENG!“ Ausgezeichnet. Auch international ist seine Arbeit anerkannt: 2020 wurde Braun zum zweiten Mal mit einem „Eisner Award“ bedacht.
Schon optisch wird das Werk seinem Thema gerecht: Es misst 31,5 x 25 cm und klaftert geöffnet einen halben Meter! Das stolze Gewicht von 2,7 Kilogramm ist nicht nur dem Umfang - 453 Seiten -, sondern auch dem schweren Papier geschuldet, das den Text, vor allem jedoch die zahlreichen klein- bis großformatigen Bilder in sämtlichen schwarzweißen bzw. farbigen Details wiedergibt. Selbst feine Bleistiftzeichnungen kommen zur vollen Geltung, und vor allem in den doppelseitigen Abbildungen kann man sich manchmal verlieren, weil sie in ihrer inhaltlichen Wucht das Auge überwältigen. Das Layout ist schlicht, aber klar, auch wenn die Bildbeschreibungen aufgrund ihrer recht kleinen Schrifttype zumindest älteren Lesern Schwierigkeiten bereiten … Für die Abbildungen griff der Autor auf (seltene) Originale zurück, um die Leistungen von Künstlern wie Wrightson, Corben, Frazetta, Mignola, Kago u. v. a. umso deutlicher herauszustellen.
Fazit:
Nicht ‚nur‘ der Katalog zu einer Ausstellung, sondern auch ein ausgezeichneter Überblick zum Thema. Fernab jeder oberflächlichen „Fanboy“-Rhetorik, sondern inhaltstief (und dennoch jederzeit verständlich) geschrieben, zeugt dieses auch als Buch eindrucksvolle Werk von Fachwissen, Sorgfalt und Gestaltungswillen bis in die Bildbeschreibungen und die Textanmerkungen. Das Bildmaterial ist nicht nur üppig, sondern zeigt das Thema oft abseits allzu ausgetretener bzw. greller Drastik-Pfade: Dieses Werk setzt thematisch Maßstäbe!
Alexander Braun, Graham Ingels, Richard Corben, Shintarô Kago, Mike Mignola, Bernie Wrightson, Avant
Deine Meinung zu »Horror im Comic«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!