HUUUBAAAAAA!!!*
Im Weltraum hört dich niemand schreien…
Die Colonial Marines sind auf dem fernen Planeten gelandet und „Operation M“ steht kurz vor Beginn. Ein erster Versuch die fremdartige Spezies, die diese dschungelähnliche Landschaft bewohnt, zu fangen schlug fehl. Der Kommandant, welcher bereits Kontakt zu den außerirdischen Lebensformen hatte und einige Gliedmaßen einbüßen musste, lässt die Hosen runter… wortwörtlich… und instruiert seinen Einsatztrupp, bestehend aus den besten, cleversten und stärksten Soldaten, die die Marines zu bieten haben. Einige letzte Anweisungen, bevor es ins Freie geht. Das Nest der Kreaturen ist bereits ausgemacht. Der Auftrag: Die Eier der unbekannten Spezies bergen, um die frisch geschlüpften Exemplare zu studieren. Sie zu dressieren und zu leistungsstarken Kriegswaffen heranzüchten. Effektive Killer im Auftrag der Marines… gnadenlos und tödlich. Die Mission ist klar, schnell rein und schnell wieder raus… möglichst unauffällig agieren. Die eiskalten Marines machen sich auf ins unerforschte Terrain. Sie nähern sich dem Nest. Alles ruhig soweit. Eine kurze Klettereinlage und sie sind am Ziel. Ein Kinderspiel für das eingespielte Team. Präzise wie ein Uhrwerk gehen sie vor. Sie betreten das Nest und erblicken… Eier. Hunderte Eier! Gut… Ruhe bewahren. Einfach dem Plan folgen und die Befehle des Kommandanten ausführen. Dann… ein Geräusch. Eines der Eier öffnet sich. Die Anspannung steigt… alles in Alarmbereitschaft. Ein zweites Ei öffnet sich… dann ein drittes! Hektik macht sich breit. Die Viecher schlüpfen! Raus da! RAUS DA… bevor die Hölle losbricht! Lauft… LAUFT… LAUUUUUFT!!!
Hm, hört sich irgendwie bekannt an, oder? James Cameron? „Aliens – Die Rückkehr“? Ja? RICHTIG! Keine Sorge, ich habe nicht das falsche Buch in Händen, während ich hier in die Tasten haue, denn es ist tatsächlich noch eine „Marsupilami“-Geschichte. Die Atmosphäre ist so horrormäßig, wie oben beschrieben, jedoch kann man dies durchaus augenzwinkernd sehen. Der Marines-Trupp ist in Wirklichkeit ein Pfeifenverein, der die Hosen gestrichen voll hat und verhält sich alles andere als professionell. Der Auftrag hingegen entspricht den Tatsachen und auch der Kommandant instruiert sein Team – wie beschrieben – in Unterhose… mit Einhörnern drauf. Kann man mal machen. Auch kann man einfach mal zwei unterschiedliche Genres in einen kreativen Topf werfen und schauen, was dabei herauskommt. Szenarist Olivier Bocquet und Zeichner Brice Cossu haben genau dies getan und in ihrer Geschichte „Operation M“ den „Alien“-Kosmos, welcher gerne mal Ridley Scott zugeschrieben wird, aber durch James Camerons Fortsetzung erst richtige Konturen bekam, mit André Franquins palumbischen Fabeltier „Marsupilami“ vermischt. Hört sich haarsträubend an? Ist es auch… aber vor allem, es funktioniert HERVORRAGEND! Den liebevollen Kniff am Ende der Geschichte verrate ich selbstverständlich noch nicht, aber er hat mir sehr gefallen.
Mit „Operation M“ startet man direkt mit einem echten Highlight in den Hommage-Band, was zur Folge hat, dass die nachkommenden Geschichten es schwer haben, dieses Niveau zu halten. Erzählerisch gelingt dies nicht immer. Auch zeichnerisch ist man hier breit aufgestellt und packt die komplette stilistische Bandbreite zwischen zwei Buchdeckel… aber dazu später mehr.
Wundertüte
Nach der Geschichte von Olivier Bocquet sind wir natürlich noch lange nicht am Ende, sondern fangen gerade erst an. In „Aufgeblasene Jäger“, von Autor Lapuss‘ und Zeichner Baba, folgen wir drei Wilderern bei ihrer Expedition durch den tiefen Dschungel. Seltsamerweise haben diese großen Spaß daran, arme kleine Eichhörnchen aufzupusten… was mir sonst höchstens an verregneten Sonntagen in den Kopf kommen würde. Anderes Thema. Jedenfalls findet unser Marsupilami die herumschwirrenden Eichhörnchen gar nicht so lustig und zeigt den feinen Herren mal, wie man das in Palumbien regelt. Dies ist amüsant, recht harmlos und stilistisch schon eine ganz andere Hausnummer, als die Auftakt-Geschichte. Ich will nicht sagen, dass es schlecht ist, aber… schlicht.
Die Geschichte „Ein Wochenende im Dschungel“ fällt dann schon wieder in eine optisch ansprechendere Kategorie. Hier hat nämlich das zeichnerische Schwergewicht Silvio Camboni den Pinsel geschwungen, der schon in der Disney-Hommage „Micky und der verlorene Ozean“ unter Beweis gestellt hat, dass er farbenfrohe Dschungel-Landschaften perfekt in Szene setzen kann. Inhaltlich folgt die Story von Denis-Pierre Filippi einem Vater, der seiner Tochter aus der Stadt die Natur näherbringen will. 19 Monate treibt sich dieser schon im fernen Dschungel rum, auf der Jagd nach dem sagenumwobenen Marsupilami, was die Familie entzweit hat… doch Daddy ist nicht der einzige Jäger vor Ort.
„Tourista“ hingegen kommt im quietschbunten Cartoon-Stil daher und dreht sich um – wer hätte es gedacht – Touristen. Hier wird die Smartphone-Generation aufs Korn genommen, die selbst (oder GERADE) im Urlaub nicht die Finger vom Selfie-Stick lassen kann und ihr Umfeld nur noch via rechteckigem Display wahrnimmt. Optisch nicht besonders aufwendig, inhaltlich aber ziemlich treffend.
Die Episode „Ursprünge“ hat mir besonders gut gefallen, da diese nicht nur visuell aus dem Rahmen fällt. Zeichner David Tako nutzt hier einen realistischen Stil, der nicht weiter vom Ur-Marsupilami entfernt sein könnte, während Autor Jérôme Hamon die Mythologie des Fabeltiers gehörig gegen den Strich bürstet. Erzählt wird von einem lange zurückliegenden Krieg zwischen dem Volk der unerschrockenen Marsupilamis und dem Clan der Lunnas. Gekämpft wurde um die Kontrolle über die Portale zwischen den Welten und die Marsupilamis gingen schließlich als Sieger hervor. Dreißig Jahre später öffnet sich eines dieser Portale und ein Krieger der Lunnas schreitet hindurch… und sinnt auf Rache für sein Volk. Die Darstellung ist dreckig, roh, düster und experimentell… aber ein Experiment, das geglückt ist.
Freunde des klassisch-frankobelgischen Stils müssen auch nicht in die Röhre schauen, denn dieser findet ebenfalls seinen Platz im Buch. „Die Weltmeisterschaft der Wilderer“, „Das Schnarchen des Marsupilamis“ und „Der Köder“ bedienen diesen Stil zur Genüge und huldigen so Franquins Original-Szenarios.
„Magische Gräser“ von Renaud Collin ist dann noch mal ein echtes Highlight mit einer nachdenklich stimmenden Geschichte und wunderschönen Illustrationen.
Den Abschluss leitet dann die grob überzeichnete Cartoon-Orgie „Ihre schönen Augen“ ein, die gänzlich ohne Dialoge auskommt.
Von DEZENT bis KNALLIG
Zehn Geschichten, zehn Zeichenstile. Einige stechen besonders hervor… mal rein von den aufwendigen Illustrationen, mal durch Inhalte, die auch ab und zu tiefer gehen, als die sonstige Comic-Kost. Ihre Daseinsberechtigung hat aber jede einzelne der zehn Episoden. Es macht ungeheuer Spaß zu sehen, wie unterschiedliche Künstler André Franquins Kult-Charakter interpretieren und welche ungeahnten Seiten sie von diesem präsentieren. Von grellen und klaren Farben, die sich deutlich und strukturiert von dicken Umrandungen abgrenzen, über experimentelle Illustrationen, die erst nach anfänglicher Gewöhnung richtig wirken, bis hin zu gemäldeartigen Aquarellen, die liebevoll und aufwendig gestaltet wurden, findet sich alles in „Hommage an das Marsupilami: Neue Geschichten aus Palumbien“.
Fazit:
Höchst kreativ und schwer unterhaltsam. SO abwechslungsreich sollte ein Hommage-Band gestaltet sein. Der erste von zwei Hardcover-Bänden aus dem Carlsen Verlag überzeugt in allen Belangen. Schon das Front-Motiv von Federico Bertolucci ist ein Kunstwerk für sich und dank des großen Formats können auch alle anderen Zeichnung im Buch von dieser Übersichtlichkeit profitieren. An einigen Bildern kann man sich gar nicht sattsehen und wird mit Sicherheit öfters mal wieder reinblättern… so wie ich es bereits getan hab.
*Sehr geehrte Damen und Herren, mir fiel keine passende Überschrift ein, die alle Kurzgeschichten unter einen Hut gebracht hätte, deswegen… siehe oben.
Olivier Bocquet, Brrémaud, Renaud Collin, Denis-Pierre Filippi, Jérôme Hamon, Baba, Federico Bertolucci, Silvio Camboni, Renaud Collin, Brice Cossu, Carlsen
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