The Lasts of Us
Mimimimimi…
Hier ein „Ich hab‘ kein Netz!“, dort ein „Mir is‘ zu heiß!“ und aus der zweiten Reihe ein „Ich stink‘, wie Oma unterm Arm!“… Klassenfahrten mit Teenagern können zum wahren Horror mutieren. Vor allem für die Aufsichtspersonen. Im Falle des zweiwöchigen Trips durchs brütend heiße Louisiana ist dies Mr. Denis, der seine kanadischen Schutzbefohlenen durchs tropische Sumpfland schleift und direkt auf der ersten Seite mit Sätzen wie „Auch wenn es den Klimaskeptikern nicht gefällt, unsere Welt ist dabei, sich zu verändern.“ glänzt… was für manchen Leser schon ziemlich früh zum aufdringlich mahnenden Horror werden kann.
Oh, wie schön ist Louisiana
Gerade als Mr. Denis und sein Teenie-Trupp den Botanik-Exkurs beenden und in die Zivilisation zurückkehren wollen, stellen sie mit Erschrecken fest, dass das kleine Örtchen wie ausgestorben ist. Der Busfahrer, der die kanadische Gruppe zurück zum Flughafen bringen sollte, ist ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt. Lediglich zahlreiche Flugblätter, die über eine Virus-Warnung informieren, deuten an, was hier vor sich geht. Ebenso die Info über eine von der Regierung angeordnete Zwangsimpfung. Der krönende Abschluss für einen misslungenen Trip ins brütende Nirgendwo der Vereinigten Staaten? Ha, schön wär’s… denn jetzt nimmt in Teilen die Geschichte, vor allem aber Lehrer Denis an Fahrt auf, indem er lässig die Tür des Busses einwemst und sich selber hinters Steuer klemmt. Man hat schließlich einen Flieger zu erreichen! Allzu lang dauert die Fahrt allerdings nicht, denn schon bald stecken sie im Stau fest und beobachten Schockierendes: Sie werden Zeugen, wie bewaffnete Soldaten ein vermeintlich menschliches und unbewaffnetes Ziel ins Visier nehmen, das vom hohen Aggressionspotential aber eher wenig Menschliches an sich zu haben scheint. Aus allen Rohren feuernd, pusten die Soldaten den Angreifer aus den Schlappen, damit er anschließend noch mit einem Flammenwerfer geröstet werden kann. Alles vor den (mehr oder weniger… eher weniger) schockierten Augen der Schüler, denen nur ein gemeinschaftliches „WHAAAT?!“ über die Lippen kommt.
Nachdem die Bewaffneten den Bus gestürmt haben und es mangels Genehmigung fast durch Überredungskunst klappt, doch noch unbehelligt zum rettenden Flughafen zu kommen, fällt dem befehlshabenden Soldaten einer der Schüler auf, Noah. Er scheint sich mit dem mysteriösen Virus infiziert zu haben, was den ganzen Trupp erstmal zum Zwangsimpfen in eine dafür vorgesehene Einrichtung bugsiert. Tatsächlich wurden bis auf Noah alle negativ getestet… doch die Gemeinschaft ist stärker als die Vernunft und die Gruppe beschließt, ihren Freund nicht zum Mutieren zurückzulassen. Doch nicht alle sind von der anfänglichen Euphorie angesteckt…
Versetzung gefährdet
Die Story, die vom „Nils“- und „Marsupilami“-Autor Jérôme Hamon verfasst wurde, klingt nicht wirklich neu. Sie klingt nicht nur nicht neu, sie ist es auch nicht. Gut, das war sie im Grunde beim von mir sehr gelobten Genre-Kollegen „Gung Ho“ auch nicht, hat aus dem gern genutzten Endzeit-Szenario aber eine Menge herausgeholt, was auch am gelungenen Aufbau und den interessanten Charakteren lag. Hier ist der Auftakt gelinde gesagt eine mittelschwere Katastrophe und die Charaktere konnten mir während des Lesens nicht weiter am Allerwertesten vorbeigehen. Hier die Begründungen:
Der ganze Bereich, in dem die jugendlichen Urlauber sich befinden, soll abgeriegelt werden. Umzäunt mit einer riesigen Mauer, umstellt mit Scharfschützenposten. Angeblich sind bereits 100.000 Opfer zu beklagen, Impfstoffe liegen vor, Lager sind eingerichtet und das Virus hat einen Namen… und das alles innerhalb der zweiwöchigen Klassenfahrt? Klar. Unsere Regierung braucht allein Monate, um beim Thema Grundrente auf einen halbwegs grünen Zweig zu kommen, während die Parteien und ihre Mitglieder es schaffen, sich in den eigenen Reihen an die Gurgeln zu gehen und sich gegenseitig in die Pfannen zu hauen. Außerdem sind die behandelnden Ärzte in den Not-Unterkünften überraschend redselig, was Interna gegenüber Zivilisten (und noch besser: Kindern!) angeht, wo man vermuten würde, dass hier eine extrem hohe Geheimhaltungsstufe greifen müsste. Denkste. Der Doc setzt noch einen drauf, nachdem er alles Mögliche über den Virus und seine Folgen ausgeplaudert hat, und überlässt den hochansteckenden Noah in die Obhut seiner jugendlichen Freunde, da er bei ihnen wohl am besten(?) aufgehoben wäre. So einer schickt dich mit der Pest am Balch auch mit Paracetamol nach Hause…
Identifikationsfiguren mit starken Charakterzügen gingen mir in „Pandemie“ ebenfalls ab. Gefühlt jedem der Teenager rutscht im Verlauf des Auftaktbands der Satz „Du bist wie ein/e Bruder/Schwester für mich.“ über die Lippen, was einfach viel zu wenig ist, um glaubhafte Zusammengehörigkeit zu symbolisieren.
Neben Pest und Cholera…
…gibt es auch einen kleinen Lichtblick zu erspähen. Und zwar in Form der optischen Präsentation durch den französischen Comic-Zeichner David Tako. Dieser hat – wie sein Autoren-Kollege Hamon – bereits Erfahrung mit dem palumbischen Fabeltier „Marsupilami“ gesammelt und zeichnet sich nun munter durch ein dystopisches Endzeit-Szenario. Hier liefert er, trotz unaufgeregter und eher klassischer Panel-Aufteilung, dynamische Bilder und stylishes Charakter-Design, welches immer wieder an rasante Manga-Illustrationen erinnert, ohne sich jedoch komplett auf die gelegentlich eingestreute Zutat festzulegen. Die Kolorierung ist durchaus atmosphärisch und die erdigen Farbverläufe fließend, was durchaus stimmig und ansehnlich wirkt.
Das Splitter-Hardcover im Alben-Format ist gewohnt hochwertig und besticht mit einem extrem gelungenen Front-Artwork. Der Skizzen-Teil am Ende liefert hervorragende Charakter-Zeichnungen, die noch detaillierter und farblich besser abgestimmt sind, als innerhalb der Geschichte. Durchaus sehenswert!
Fazit:
Die Handlung ist leider Gottes sehr holprig, dünn und ausgelatscht. Innovationen sucht man vergeblich und ist mit ähnlich angesiedelten Genre-Titeln wahrscheinlich besser beraten. Storytechnisch zu erzwungen und gewollt, dass man quasi mitten ins Geschehen geworfen wird, ohne überhaupt die Charaktere zu kennen, was beim Lesen für ziemliche Gleichgültigkeit über deren Schicksal sorgt. Optisch allerdings schön anzusehen, wobei der raue Look gut zur Stimmung des Geschehens passt.
Jérôme Hamon, David Tako, Splitter
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