Gotham High - Alle für Keinen

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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonJan 2021

Story

Eine gelungene, abgeschlossene Was-wäre-wenn-/Coming-of-Age-Geschichte um Gothams größten Helden… und seine Widersacher. Früh übt sich…

Zeichnung

Der moderne Stil der Young Adult-Prä-Superhelden-Phase trifft wieder ins Schwarze… besser gesagt ins Knallig-Bunte. Grobe Charaktere, dafür viel Liebe fürs Detail.

Neue Wege mit alten Bekannten

Über Ziel hinausgeschossen

Das diese Überschrift tatsächlich zu Bruce Wayne passen soll, mag man sich anhand seines guten Rufs überhaupt nicht vorstellen. Doch Bruce war nicht immer der alle Knigge-Regeln befolgende Milliardärs-Saubermann (von seiner nächtlichen Nebentätigkeit einmal abgesehen), den wir aus Gothams High Society kennen. Der feine Bruce ist nämlich gerade erst achtkantig vom Elite-Internat geflogen, was den Teenager wieder nach Gotham City führt. Die Stadt, in der er geboren wurde. Geld mag vielleicht die Welt regieren, doch das US-Bildungssystem scheint von diesem ungeschriebenen Gesetz noch nichts gehört zu haben. So kommt es, dass Bruce die Schulbank der Gotham High drücken muss. Eine öffentliche Schule, wohlgemerkt… ganz ohne luxuriöse Vorzüge.

Kaum in der alten Heimat angekommen, trifft Bruce auf seine Kindheitsfreundin Selina, die schon damals unmittelbar in der Nachbarschaft wohnte. Auch seinen alten Freund Jack Napier trifft er wieder. Die beiden sind zwar so grundverschieden wie Feuer und Wasser, scheinen sich aber auf eine Art zu verstehen, die jenseits von Reichtum und Armut steht. Im Gegensatz zu Bruce hat Jack nämlich nie auf der Sonnenseite gelebt. Aufgewachsen in mehr als bescheidenen Verhältnissen, ist er mehr ein Straßenkind, das sich mit Glückspiel und kleinen Gaunereien über Wasser hält.

Bruce schließt sich den wiedergefundenen Freunden an und schon bald knistert es zwischen ihm und Selina Kyle. Die hat es jedoch faustdick hinter den Ohren und hat nichts dagegen, zweigleisig zu fahren. Da rennt sie bei Jack offene Türen ein, der seinerseits nämlich Hals über Kopf in die rassige Schönheit verknallt ist. Da sind Verwicklungen schon so gut wie vorprogrammiert, doch auch das Verbrechen schläft nicht in der Stadt, die noch keinen Dunklen Ritter zum Beschützer hat. Zwar ist das Trio Infernal noch ein ganzes Stück von dem entfernt, was die Zukunft für sie in petto hat, aber die Weichen für die zukünftigen Alter Egos werden bereits jetzt, im Teenager-Alter, unweigerlich gestellt…

Ein Potpourri der bunten Laune

Nachdem man den poppigen Farb-Overkill erstmal verdaut hat, gewöhnt man sich sehr schnell an den Neon-Rausch von Kolorist Miquel Muerto. Der in Barcelona lebende Künstler hat sich auf das Kolorieren spezialisiert und man sieht, dass er weiß, was er tut. Wie bereits andere Titel aus dem ink-Imprint, geht auch „Gotham High“ eigene farbliche Wege. Zwischen viel schwarzer Tusche, blitzen mutig grelle Pink-Töne, giftige Grün-Abstufungen, nächtliches Blau und gelegentlich ein sonniges Gelb hindurch. Muerto ist im Comic-Geschäft auch kein unbeschriebenes (beziehungsweise unkoloriertes) Blatt, denn neben DC gehören weitere namhafte Publisher zu seinen Auftraggebern. So sorgt er bei der gut gestarteten Reihe „Something is Killing the Children“ für BOOM! STUDIOS (der erste Hardcover-Sammelband ist übersetzt bei SPLITTER erschienen) für den passenden Anstrich, hat beim 2018 gestarteten Comic „Low Road West“ und dem Tie-In zur kurzlebigen NETFLIX-Serie „The Dark Crystal: Age of Resistance“ (beide ebenfalls bei BOOM!) seine bunten Finger im Spiel und ebenso bei „Bleed Them Dry“ für den US-Verlag VAULT. Hinzu kommen Cover-Arbeiten für die IMAGE-Reihen „The Wicked + The Divine“ und „Die“. Dabei tragen alle Arbeiten die markant-farbige Handschrift von Miquel Muerto.

Zu diesem modernen Anstrich passen auch die Zeichnungen des New Yorkers Thomas Pitilli. Diese bestechen durch einen meist kantigen, groben Stil. Dicke Outlines lassen so eher Zeichentrick-Flair durchschimmern, an Stelle auf Realismus zu setzen. Zwar sind die Charaktere öfter mal ungünstig getroffen, was sich jedoch meist nur auf deren Mimik bezieht. Hier scheint Pitilli, der für ARCHIE COMICS auch an der Serien-Adaption „Riverdale“ zeichnet, öfter unsicher gewesen zu sein, ob er auf realistische Gesichtszüge geht oder den ganzen Schritt zur Cartoon-Optik wagen soll. Das ganze Drumherum ist dafür durch die Bank weg stylish geraten.

United Colors of DC

Wo wir bei den optischen Aspekten schon die moderne Machart angesprochen haben, behalten wir dies auch bei den Anmerkungen zum inszenatorischen Teil bei. Da wären vordergründig die Protagonisten, an deren Herkunft kräftig geschraubt wurde. Bruce Wayne ist asiatischer Abstammung und lebt nach dem Tod seiner Eltern bei seinem Onkel. So hat Alfred Dean Pennyworth den Sprung vom treuen Butler zum sorgenden Familienmitglied geschafft. Außerdem ist Alfred verheiratet. Mit John. Richtig, Alfred lebt in einer homosexuellen Beziehung. Damit aber nicht genug der Neuerungen. Selina Kyle ist nun eine mit allen Wassern gewaschene Latina, während Jack Napier - von dem wir wohl alle wissen, wie seine weitere Karriere verlaufen wird - aus ärmlichen Verhältnissen stammt, was anhand des desaströsen Standes der Familie schon in den „White Trash“-Bereich fällt, in dem Drogen, Alkohol und mangelnde Nähe regieren. Die philippinisch-amerikanische Bestseller-Autorin Melissa de la Cruz, die mit ihren begleitenden Young Adult-Romanen zu TV-Formaten wie „The Descendants“ (auf Deutsch bei EGMONT Schneiderbuch) oder „Witches of East End“ und den Reihen „Die Au-Pairs“ (ULLSTEIN), „Blue Bloods“ und „The Immortals“ (RAVENSBURGER BUCHVERLAG) schon mehrfach auf sich aufmerksam machte, kann bei dem gebotenen DC-Character-Content schon ordentlich aus dem Vollen schöpfen. Scheinbar ließ man sie in vollem Umfang gewähren, was auch diese ink-Graphic Novel zu einer Wundertüte voller Überraschungen macht. Dies funktioniert bis zu einem gewissen Punkt hervorragend, bevor man bedenklich nahe an eine Grenze schrammt, an der der politisch-korrekte Bogen schon fast überspannt wird. Vielfalt und Abwechslung – ja, sehr gerne sogar! Aber bitte nicht mit dem Holzhammer und erzwungen.

Fazit:

Da weht erneut frischer Wind aus der ink-Ecke! PANINI, die bei uns die Young Adult-Stoffe aus den Häusern DC und MARVEL vertreiben, werfen mit „Gotham High - Alle für Keinen“ eine weitere lohnende Anschaffung für die Leserinnen und Leser in den Ring, die sich außerhalb der Superhelden-Kontinuität mit modernen und in sich abgeschlossenen Coming-of-Age-Graphic Novels vergnügen wollen und sich auch nicht davor scheuen, dass altbekannte Charaktere kräftig gegen den Strich gebürstet werden. Manchmal schien man es mit der politisch-korrekten Vielfalt allerdings für einen Band übertrieben zu haben, was hier und da etwas gewollt erscheint. Ansonsten kommen hier viele interessante Neuinterpretationen auf den Tisch.

Gotham High - Alle für Keinen

Melissa de la Cruz, Thomas Pitilli, Panini

Gotham High - Alle für Keinen

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