Die ganzen Niederlande sind von den Spaniern besetzt. Die ganzen Niederlande?
Er nimmt von den Reichen…
…und behält es für sich. Nicht gerade ein Robin Hood, nicht wahr? Gilles ist ein Wegelagerer, Tunichtgut, Räuber, oder eben einfach ein Gauner. Die Zeiten sind schwer, denn wir befinden uns mitten im Achtzigjährigen Krieg (1568 – 1648), in dem die Niederländer sich gegen die spanischen Besatzer zur Wehr setzen. Da muss man schon irgendwie schauen, dass man über die Runden kommt. Meist wartet der selbsternannte Experte für Eigentumsenteignung an Weggabelungen auf seine „Kundschaft“, um sie mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten dazu zu bewegen, ihm ihr mühsam erspartes Hab und Gut auszuhändigen. Man muss aber auch so ehrlich sein, dass unter Gilles pomadigem Haarschopf nicht der größte Denkapparat auf Standgas knattert. Er hält sich zwar für unwiderstehlich und äußerst clever, aber das tun Leute, die es auf unerklärliche Weise schaffen, sich einen TikTok-Account anzulegen, um anschließend Deo-Dosen auszunuckeln auch. Im Gegensatz zu den 8x4-Genießern, schafft Gilles es jedoch immer wieder, irgendwie auf den Füßen zu landen. Aus den Lektionen lernt er dafür herzlich wenig.
Einen großen Karrieresprung legt er erst hin, als er sich den Geusen (abgeleitet vom französischen Wort für Bettler = gueux) anschließt. Die Geusen waren während des Achtzigjährigen Krieges eine Gruppe von Widerständlern, die sich gegen die schiere Übermacht der Besatzer tapfer entgegenstellte. Die unorthodoxen Methoden der Geusen waren gefürchtet, was Gilles perfekt in die Karten spielt. Seine tollpatschige Art und Kollege Zufall, der ihn nicht selten vor Schlimmeren bewahrt, machen ihn zu einer Bereicherung für den Aufstand.
Schwieriger Vergleich
„Gilles der Gauner“ (im niederländischen Original treffender „Gilles de Geus“) erblickte das Licht der Welt im Comic-Magazin „Eppo“, welches in seiner Heimat erstmals 1975 im OBERON Verlag erschien. Dort wurden auch legendäre Comics wie „Asterix“, „Lucky Luke“, „January Jones“ oder „Storm“ als wöchentliche Fortsetzungsgeschichten abgedruckt. Erschaffen wurde „Gilles de Geus“ vom ehemaligen Underground-Zeichner Hanco Kolk und dem später hinzugestoßenen Comic-Künstler Peter de Wit. Ab 1983 hielt sich der niederländische Wegelagerer für zwanzig Jahre wacker im Sattel und wurde seitdem nicht selten in einem Atemzug mit seinem frankobelgischen Vorbild „Asterix“ genannt.
Vermessen? Etwas zu hoch gepokert? Hm… Zweiteres vielleicht, allerdings muss dazu gesagt werden, dass „Gilles der Gauner“ das Kunststück vollbracht hat, für deutsche Leserinnen und Leser Jahrzehnte unter dem Radar geflogen zu sein. Und das, obwohl seine Heimat doch quasi um die Ecke ist! In den Niederlanden ist der Geuse nämlich bekannt wie ein bunter Hund und überaus beliebt. Verständlich, spiegeln seine Abenteuer doch ein wichtiges Kapitel der niederländischen Geschichte wider. Die hohe Gagdichte mit schlagkräftigem Slapstick-Humor spielt natürlich ebenfalls eine Rolle. Von „Asterix“ und seiner weltweiten Popularität also noch etwas entfernt, darf man Gilles aber durchaus als den netten Typen aus der Nachbarschaft bezeichnen… was durchaus ein Kompliment ist, wenn man meine Nachbarn kennen würde.
Aller Anfang…
Der erste Band der dreiteiligen Hardcover-Gesamtausgabe von PANINI beinhaltet die ersten Auftritte von Gilles, der in seinen Anfangstagen noch der eitle Räuber mit rein privaten Besitzansprüchen war. So startet „Der Wahnsinn beginnt“, so der Untertitel des Bandes, mit den kurzen Geschichten aus dem niederländischen „Eppo“-Magazin. Knackig, auf den Punkt, jedoch noch nicht mit viel Tiefe gesegnet. Das ändert sich in den längeren Episoden, von denen der Auftaktband immerhin auch drei an der Zahl enthält. Darunter auch „Die Spanische Furie“, das 1985 erstveröffentlichte Debüt-Album von „Gilles de Geus“.
Nicht nur inhaltlich macht Gilles in den längeren Geschichten einen Sprung nach vorne, sondern auch was die Zeichnungen angeht. Ähnlich der kultigen „Walhalla“-Reihe (EDITION ROTER DRACHE), bemerkt man eine stetige Entwicklung. Die zeichnerische Qualität nimmt von Geschichte zu Geschichte zu, was sich in sichererer Strichführung, abwechslungsreicheren Settings und vielen kleinen Details zeigt. An diesem Punkt angekommen und die anfangs repetitive Handlung erstmal abgeschüttelt, geht der Spaß erst richtig los.
Fazit:
Ein Held wider Willen und jede Menge Zeitgeschichte. Aus dieser Mischung geht der charmante Haudrauf-Funny „Gilles der Gauner“ hervor. Sind die einseitigen Anfänge noch sehr reduziert, merkt man im späteren Verlauf des ersten Bandes jedoch schon, dass die Reihe durchaus Potential entwickelt. Für sein spätes Deutschland-Debüt bekommt Gilles von PANINI gleich eine dreibändige Gesamtausgabe spendiert. Längst überfällig… und für Liebhaber frankobelgischer Slapstick-Funnys durchaus einen Blick wert!
Peter de Wit, Hanco Kolk, Hanco Kolk, Panini
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