Die „Gilmore Girls“ wären stolz!
Männer sind vom Mars, Frauen von… von… von… ach, was weiß ich.
Nein, das ist nicht das neue Programm von Mario Barth, sondern bezieht sich auf den Geschlechter-Ratgeber von Cris Evatt, in dem die Autorin die zahlreichen Unterschiede zwischen Frau und Mann beleuchtet. Dass die Unterschiede aber gar nicht sooo groß sind, lässt sich im ersten Band von „Giant Days“ nachlesen. Hier handelt es sich allerdings nicht um einen Ratgeber, sondern um einen extrem unterhaltsamen Comic mit Fun-Faktor 100 und darüber hinaus. Herrlich unbeschwert und mit fantastischem Wortwitz lässt uns der Autor John Allison am Uni-Alltag seiner drei Powerfrauen teilhaben, die sich durch Lesungen, Liebes-Chaos, Mobbing-Attacken und Drogenrausch kämpfen.
Ja, ich gebe zu, dass sich die Worte „unbeschwert“, „Mobbing-Attacken“ und „Drogenrausch“ in EINEM Satz sehr zu beißen scheinen, doch Allison gelingt es, diese alltäglichen und äußerst realen Themen so zu verpacken, dass sie ohne die Moral-Keule auskommen und - trotz gelegentlicher künstlerischer Übertreibung – die Situationen behutsam und augenzwinkernd verpacken. Somit geht die empfohlene Leseempfehlung, ab 15 Jahren aufwärts, auch vollkommen in Ordnung.
Ach ja, Männer: Lasst Euch nicht abschrecken, weil hier drei junge Frauen die Hauptprotagonistinnen sind. Das war bei „Drei Engel für Charlie“ auch nicht anders und ihr habt es alle geguckt… ALLE!
Drei Chaotinnen auf dem Campus
Esther de Groot, Daisy Wooton und Susan Ptolemy. Das sind die Namen der drei Mädels, die Tür an Tür an der Universität im britischen Sheffield wohnen und die Euch bereits nach der ersten Seite ans Herz wachsen werden. Die Unterschiede zwischen ihnen könnten größer nicht sein: Die flippige Drama-Queen Esther, die mit ihrem Gothic-Look sofort ins Auge fällt, die wohlbehütete, etwas naive Daisy, die das Herz am rechten Fleck trägt und fast zu gut für die Welt ist und als Letzte im Bunde, die bodenständige, burschikose Susan, die mit ihren feministischen Ansichten nicht hinterm Berg hält, gerne mal aneckt und außerdem als Erzählerin fungiert. Getreu dem Motto „Gegensätze ziehen sich an“ meistert das ungleiche Trio den Universitäts-Alltag mit all seinen Tücken.
Egal, ob das Auftauchen eines neuen Kommilitonen, der auf Grund einer gemeinsamen Vergangenheit von Susan etwas unsanft begrüßt wird, einer grippalen Gruppen-Infektion, Daisys erstem Drogentrip und der Entdeckung ihrer Sexualität oder den Auswirkungen von Cyber-Mobbing, als Esther sich auf einer Website namens „Chicksurf“ wiederfindet… die drei Mädels meistern alle Hindernisse des Alltags… oder versuchen es zumindest.
Wortgewandtheit und Wortwitz
Der britische Autor und Zeichner John Allison konzipierte „Giant Days“ ursprünglich als Webcomic, bevor die Geschichten als fortlaufende Reihe - im Original durch Boom!Box, einem Imprint der Boom! Studios - als monatliche Heft-Serie publiziert wurden. Das Spin-Off seines vorherigen Comics „Scary Go Round“ war eigentlich nur als sechsteilige Mini-Serie geplant, wurde jedoch durch seinen verdienten Erfolg ausgebaut und erscheint weiterhin regelmäßig. Allisons sarkastischer und knochentrockener Humor traf genau den richtigen Nerv der Leser und so wurde „Giant Days“ 2016 gleich zweimal für den renommierten Comic-Oscar, den Eisner-Award, und in gleich vier Kategorien für den Harvey-Award nominiert.
Maßgeblich an dem überwältigen Erfolg von „Giant Days“ war Zeichnerin Lissa Treiman beteiligt. Für die Amerikanerin, die hauptberuflich bei Disney Feature Animation tätig ist, stellte dies ihr erstes Comic-Projekt dar. Sie arbeitete an Filmen wie „Rapunzel – Neu verföhnt“, „Ralph reichts“ und „Baymax“, was für ihre künstlerischen Qualitäten spricht und sich auch im Charakter-Design für „Giant Days“ positiv bemerkbar macht. Sie verpackt Allisons Dialoge in angemessene Bilder und gibt dem sympathisch-chaotischen Trio das passende Äußere. Brüllend komisch und herrlich überdreht wird die Situationskomik hier auf die Spitze getrieben und sorgt beim Lesen für laute Lacher und amüsiertes Schmunzeln. Nach der sechsten US-Ausgabe beendete Treiman auf eigenen Wunsch die Zusammenarbeit mit John Allison und Boom! Studios, da die Doppelbelastung sie zu sehr in Anspruch nahm. In acht Monaten stemmte sie, neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit, sechs US-Ausgaben und gab danach schweren Herzens das Zepter weiter an Max Sarin, einer ebenso talentierten und treffsicheren, finnischen Cartoonistin und Illustratorin.
Die Kolorierung von Whitney Cogar ist angemessen bunt, aber nicht spektakulär. Licht- und Schattenwürfe sind allerdings gut gesetzt und verleihen die angemessene Tiefe.
Preis/Leistungsverhältnis: sehr, sehr gut!
Der Popcom-Verlag bringt die Mädels-Clique auch in deutschsprachige Gefilde und hat mich mit „Giant Days“, nach „Offenbarungen“, „Fairy Quest“ und „I hate Fairyland“, bereits zum vierten Mal vom Stühlchen gehauen. Jeder der bisher erschienenen Hardcover-Bände enthält vier US-Hefte, die sowohl als abgeschlossene Geschichten lesbar sind, als auch einen roten Faden verfolgen. Band 1 „Auf sie mit Gebrüll!“ überzeugt durch hochwertige Verarbeitung und einen sehr kundenfreundlichen Preis. Die Gestaltung der bisher erhältlichen Bände unterscheidet sich durch unterschiedliche Farbgebung, die fließend von hell in dunkel (oder umgekehrt) übergeht und uns einen der Hauptcharaktere auf der Front präsentiert. Motiv und Schriftzug sind durch einen optisch ansprechenden Spotlack veredelt, der sich hervorragend vom matten Hintergrund abhebt. SO muss ein Comic-Buch aussehen.
Drei Sammelbände sind bereits erhältlich und der Vierte steht bereits in den Startlöchern (voraussichtlich Mitte März 2018).
Fazit:
„Giant Days“ hat mich vollkommen aus dem Nichts überrascht und ich konnte den ersten Band nicht mehr aus den Händen legen… zu sehr wuchsen mir die Charaktere mit ihren Wortgefechten und ihrer herrlich verdrehten Art ans Herz. Wunderbare Slice-of-Life-Geschichten, die fernab von Superhelden-Action, bewegenden Dramen und Science Fiction-Epen einfach auf die gute, alte, unbeschwerte Unterhaltung setzen. Ein absoluter Wohlfühl-Comic.
Ich bleibe bei Esther, Daisy und Susan definitiv am Ball und schreibe mich schon mal an der Uni von Sheffield ein…
PS: Verfilm DAS, Hollywood!
John Allison, Lissa Treiman, Popcom
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