Mahnende Beispiele!
Zwischen Kindheit und Erwachsenwerden…
…liegt nur eine überschaubare Anzahl von Jahren, und dennoch kommt uns diese Zeit wie eine Ewigkeit, wie ein ganzes Leben vor. Der Charakter formt sich, Erfahrungen werden gesammelt und im Idealfall Weichen für die Zukunft gestellt. In dieser Spanne lebt man meist ausschließlich im Hier und Jetzt. Macht mal Dummheiten, raucht heimlich, kotzt sich nach der ersten Vollrausch-Party zwei Tage die Seele aus dem Leib und lernt (hoffentlich) daraus, nutzt den Augenblick und hofft, dass der nächste Morgen nicht schon das bringt, was irgendwann unvermeidlich ist: Der Tag, an dem man Erwachsen ist. Wenn es darum geht, auf eigenen Beinen zu stehen. Verantwortung zu übernehmen. Sich mit den ernsten Themen unserer kaputten Welt auseinanderzusetzen. Dinge in die Hand zu nehmen und zu versuchen, diese zum Besseren zu verändern. Ein dreckiger Job, der oft in Sackgassen endet. Hier eine Hürde, dort ein weiterer Stolperstein. Bergauf mit 45° Steigung und Gegenwind… doch Du läufst weiter. Weichst zwischendurch noch im Zickzack kleinen Gerölllawinen aus, während am Ende der mühseligen Strecke ein kicherndes Männlein mit einem goldenen Löffel im Arsch steht. Lass es lachen… und geh weiter. Warum? Weil hinter der Steigung (und nachdem Du dem Männlein den Löffel dreimal rumgedreht hast) ein blühendes Tal warten kann. Den Ausblick und das Verweilen hat man sich hart verdient. Selbst erarbeitet. War es die Mühe wert? Im besten Fall war sie das. Und wenn nicht, lauf einfach weiter. So weit, bis es Dir irgendwo gefällt und Du dich am Ziel angelangt glaubst. Können weitere Steigungen auf dem Weg auftauchen? Natürlich können sie das. Sogar tiefe, schier unüberwindbare Abgründe können sich von jetzt auf gleich auftun, aber… es hat ja auch niemand behauptet, dass das Leben leicht sei.
So in etwa könnte das Szenario des Erwachsenwerdens ausschauen. Jeder mag da andere Anschauungen haben und es gibt sogar Leute, die „Instagram“ und „Tik Tok“ nicht für Apps, sondern für Berufe halten. Manche tingeln sich auch durch Reality-Formate und wirken mit Mitte 20 bereits durchgenudelter als… aber lassen wir das. Dass es auch anders geht, zeigen junge engagierte Menschen zuhauf, die trotz bedeutend weniger Ringe im Stamm deutlich mehr auf dem Kasten haben als regierendes Personal, welches außer „wir müssen…“ und „wir werden…“ nicht viel Konstruktives in jedes Mikro betet, das ihnen unter die überbezahlte Nase gehalten wird. MACHT einfach, verdammt! Spricht da etwas Frust mit? Gut erkannt. Und wenn ich mir dann zwei Arschlöcher (womit wir endlich beim Thema wären) wie Enid und Rebecca anschaue, möchte ich am liebsten wieder die Decke über den Kopf ziehen…
„Gute Erziehung besteht darin, dass man verbirgt, wieviel man von sich selber hält und wie wenig von den anderen.“
-Jean Cocteau (französischer Dichter, Maler und Regisseur; 1889 – 1963)
Mit dem letzten Satz des letzten Absatzes habe ich eigentlich schon vorweggenommen, was ich von den beiden Hauptcharakteren in Daniel Clowes‘ „Ghost World“ halte. Nicht viel. Jeder Teenager geht durch Findungsphasen, versucht seinen Platz in der Welt zu finden. Hat Phasen, in denen alles scheiße ist und jeder und alles gegen einen scheint. Normal. Hattet Ihr wahrscheinlich und ich ebenfalls. Enid Coleslaw und Rebecca Doppelmeyer halten sich aber konstant für den Nabel der Welt. Sind von sich eingenommen und schaufeln die Weisheit mit Hilfe von Kipplastern in sich rein. Sie verbringen ihre Zeit damit, über andere zu lästern, auf jedem herumzutrampeln, der nicht in ihre von Zynismus durchzogene Welt passt, und sind fest davon überzeugt, die „Einzigartigkeit“ gepachtet zu haben. Fehlt nur noch das Hipster-Bärtchen… Aber keine Angst, das kommt schon noch… früher oder später.
Fegt man den Staub aus Belanglosigkeiten und sarkastischen Lästereien mal mit einem GROOOSSEN Besen beiseite, ist darunter tatsächlich so etwas wie ein Kern in der Handlung zu finden. Im Vordergrund steht dabei die Freundschaft von Enid und Rebecca. Und dass sie sich langsam aber sicher von dem Gedanken verabschieden müssen, dass alles so bleibt wie es war… und noch ist. Ihre Wege werden sich unweigerlich trennen. So, wie es meistens im Leben ist. Abschnitte enden, Abschnitte beginnen. Den Wandel, den vor allem Rebecca nicht sehen will, läutet Enid ein. Diese kommt nämlich dem Wunsch ihres Vaters nach, einen Test fürs College abzulegen. Ein College in einer anderen Stadt. Eine einschneidende Veränderung, die die Freundschaft der Teenager auf eine harte Probe stellt.
Es soll Leute geben, die „bitter“ mögen…
„Ghost World“ von Daniel Clowes genießt den Ruf, ein Kult-Comic zu sein. Diesen zweifelhaften Ruf möchte ich ihm nicht absprechen und meine bescheidene Meinung wird daran auch mit Sicherheit nichts ändern, aber wenn DAS das Portrait einer ganzen Generation sein soll…, dann Gute Nacht, Herr Pfarrer! Meinen Tag, der eigentlich gar nicht so schlecht startete, haben die beiden Zynikerinnen ordentlich versaut. So viel kann die Sonne gar nicht scheinen, dass sie mir die Mundwinkel wieder nach oben hätte ziehen können. Daran ändern auch die Zeichnungen im Underground-Stil nicht viel. Clowes mag nicht der beste Zeichner sein, aber seine Bilder haben durchaus Wiedererkennungswert.
Wie alle seine Arbeiten, erschien „Ghost World“ im Original zuerst in Episoden-Form. Zwischen 1993 und 1997 wurden die einzelnen Kapitel in den Ausgaben #11 - 18 seiner Comic-Reihe „Eightball“ (FANTAGRAPHICS) veröffentlicht. Der REPRODUKT Verlag hat „Ghost World“ nun zum 30-jährigen Verlags-Jubiläum, zu dem wir herzlichst gratulieren, im Hardcover neu aufgelegt, nachdem eine Softcover-Ausgabe bereits 1999 erschien. Das blasse Blau/Grün, welches schon in der US-Gesamtausgabe die schwarz/weißen Bilder farblich ergänzte, wurde auch in der deutschsprachigen Veröffentlichung beibehalten.
2001 inszenierte der spätere „Bad Santa“-Regisseur Terry Zwigoff, der zuvor bereits eine Dokumentation über den amerikanischen Comic-Künstler Robert Crumb drehte, die gleichnamige Verfilmung des Coming-of-Age-Dramas. Das Drehbuch verfasste Zwigoff zusammen mit Daniel Clowes und im Folgejahr wurden beide für ihre Arbeit für einen Oscar nominiert, mussten sich jedoch „A Beautiful Mind“ geschlagen geben. Neben Thora Birch („American Beauty“, „The Hole“) als Enid und Scarlett Johansson („Der Pferdeflüsterer“, „Lost in Translation“, „Black Widow“) als Rebecca, spielte Steve Buscemi („Reservoir Dogs“, „Fargo“, „Con Air“, „Armageddon“) eine tragende Rolle, für die er 2002 für den Golden Globe nominiert wurde.
Fazit:
Manche Stoffe sind halt Kinder ihrer Zeit. Was damals funktionierte, muss heute nicht zwangsläufig noch als Maß aller Dinge betrachtet werden. Ich persönlich fühle mich durch „Ghost World“ nun nicht bereichert, bin dafür aber um eine Erfahrung reicher. Ein „Klassiker“, den man auch überspringen kann. Da hat mich beispielsweise Clowes‘ Mystery-Drama „Patience“ deutlich mehr angesprochen. Wer sich übrigens fragt, ob Daniel Clowes eigene Erfahrungen in dem Comic verarbeitet hat, sollte mal ein wenig mit den Buchstaben in „Enid Coleslaw“ rumbasteln. Überraschung!!!
Daniel Clowes, Daniel Clowes, Reprodukt
Deine Meinung zu »Ghost World«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!