I want to be a Hippy and I want to get stoned…
Haarige Angelegenheit
Wenn man die 60er live und bestmöglich dauerhaft in allen Regenbogenfarben miterlebt hat, Love, Peace and Happiness noch heute im Batik-Look von den Dächern pfeift, den Soundtrack von „Hair“ mitsingen kann und mindestens drei „Legalize it!“-Shirts im Kleiderschrank hat, sollte der vorliegende Band etwas für Euch sein. In „Freak Brothers - Gesamtausgabe 1“ schreit jedes Panel nach den dopin‘ Sixties. Anarchisch und politisch höchst unkorrekt, wird der Lebensstil der Hippie-Ära beleuchtet, was – wenn man es gebündelt vorliegen hat und dementsprechend versucht am Stück zu lesen – schnell Langeweile verursacht. Zumindest empfand ich es so, der weder in den 60ern geboren wurde noch irgendeine Affinität zu Drogen besitzt. Dass die konstante Verherrlichung des Drogenkonsums damals solch ein Renner gewesen sein soll, erschließt sich mir dementsprechend nur gering. Sehr gering.
So sind die drei Zottelköpfe, die gleichzeitig die titelgebenden „Fabulous Furry Freak Brothers“ bilden, durchaus als Kinder ihrer Zeit zu bezeichnen. Einer jüngeren Generation deren früher vielleicht revolutionären Geschichten näherzubringen, halte ich aus gleich mehreren Gründen für schwierig. Erstens, weil die obszönen, teils fraglichen Darstellungen heute längst keinen Tabubruch mehr darstellen. Was durch den sogenannten Comics Code - der Selbstkontrolle für Verlage, die einen Vorgaben-Katalog der Comics Magazine Association of America vorgelegt bekamen - ab 1954 noch in den Untergrund wanderte, um dennoch bei Kleinstverlagen publiziert zu werden, lockt heute keinen Sittenwächter mehr hinterm Ofen hervor. Der Zug ist längst abgefahren und was in damaligen Medien undenkbar schien, liegt heute offen zugänglich aus oder wird uns in gesendeter oder gestreamter Form sogar filmisch vor den Latz geknallt. Es ist nicht so, dass ich Zensur befürworte, weiß Gott nicht! Allerdings sollten derartige Freiheiten kein Freibrief für Filmemacher, Zeichner oder Kunstschaffende aller Art sein, mit möglichst anstoßenden Inhalten zu polarisieren. Da heutzutage jeder Tabubruch mediale Aufmerksamkeit nach sich zieht, wohl für viele Kreative geradezu eine Einladung. Anders kann ich mir beispielsweise auch nicht den fragwürdigen Erfolg eines inhaltlich abgedroschenen Formats wie „Squid Game“ erklären, was dann aber wiederum auf einem anderen Zettel steht, den ich hier nicht groß und breit auffalten möchte. Der zweite Punkt, warum die „Freak Brothers“ wohl nur die reifere Generation ansprechen dürften, ist eben genau das: das Alter. Sollten Kenner der ersten Stunde rein rechnerisch mindestens der Ü60-Generation angehören, wird es schwierig, neuen und damit jüngeren Lesern das Lebensgefühl der 60er-Jahre zu vermitteln. Und sollte dementsprechend tatsächlich Nachholpotential oder Interesse an dieser geschichtlichen Epoche vorhanden sein, wage ich zu bezweifeln, dass diese Comics dazu gut geeignet wären. Da gäbe es weitaus andere Underground-Werke, die nachhaltiger in die Materie eintauchen und den Begriff „Kult“ vielleicht eher verdient hätten. Ziemlich genau zwischen U30 und Ü60 hocke ich da fragend in der Mitte und bleibe dort mit meiner Meinung erstmal einsam stehen.
„I want to get high, I want to get high, I want to get high… but I never knew why“
Okay, streicht die letzte Überschrift, denn nach diesem dicken Brocken weiß ich die Antwort. Weil es ausschließlich um Drogen geht. Drogen hier, Drogen da, Drogen trallala. Die arbeitsscheuen Aussteiger Phineas, Free Wheelin' Franklin und Fat Freddy hausen gemeinsam in einer gammeligen WG, während es den lieben langen Tag darum geht, wie man schnellstens und bestmöglich an Gras und andere bewusstseinserweiternde Substanzen kommen kann. Möglichst ohne großen Aufwand, denn das würde ja bedeuten, dass man den breitgekifften Arsch von der schäbigen Couch hieven müsste. Und recht günstig bitte, da permanente Geldnot zum Alltag gehört. So dreht sich eigentlich jedes der vernebelten Kurzabenteuer um die Beschaffung und das Konsumieren von Drogen jeglicher Art. That’s it.
Natürlich spielen auch der generelle Zeitgeist sowie politische und gesellschaftliche Themen eine Rolle. Ebenso das ewige Gerangel mit der störenden Staatsgewalt. Selbst für Geschlechtskrankheiten bleibt noch Platz. Für ein wenig Abwechslung sorgen Trips ins Ausland, mehrseitige Storys in Farbe und surreale Abstecher in berauschte Sphären.
Willkommen im Untergrund
Geschaffen wurden die „Freak Brothers“ vom 1940 geborenen Texaner Gilbert Shelton. Dem Militärdienst entging der studierte Sozialwissenschaftler, da er angab, psychedelische Drogen zu konsumieren. Das passt, hat doch bereits seine erste Comic-Serie „Feds ‘n‘ Heads“ nicht von Ungefähr mit Konsumenten und deren staatlichen Verfolgern zu tun. Nachdem Shelton bereits für das Studenten-Magazin „The Texas Ranger“ schrieb und dort seine Superhelden-Parodie „Wonder Wart-Hog“ unterbrachte, nahm er sich die Werke des Underground-Godfathers Robert Crumb und die sarkastischen „MAD“-Comics aus dem EC-Verlag zum Vorbild.
Sheltons Hauptwerk, welches in den Staaten vom eigens gegründeten Verteiler RIP OFF PRESS (gegründet von Jack Jackson, Fred Todd, Dave Moriaty und eben Gilbert Shelton) veröffentlicht wurde, erblickte Ende der 60er-Jahre das Licht der Welt. 1969 kam noch die Spin-off-Serie „Fat Freddys Kater“ hinzu, dessen Kurz-Abenteuer zuvor bereits im kleinen Format unter des „Freak Brothers“-Strips zu finden waren. Im ersten Band der „Gesamtausgabe“ vom AVANT VERLAG findet sich die ganze Palette wieder. Angefangen von einem Vorwort vom deutschen Comic-Zeichner und Schriftsteller Gerhard Seyfried. Der weiß, wovon er redet, denn Seyfried war seit den späten 70ern gern gesehener Gast im RIP OFF-Hauptquartier in San Francisco. Dort entwickelte er eigene Ideen und unterstütze sogar die US-Kollegen. Er freundete sich mit Shelton und dem Zeichner Paul Mavrides an, der bis 1992 gemeinsam mit Gilbert Shelton an neuen Geschichten der „Freak Brothers“ arbeitete. Ferner half Seyfried Harry Rowohlt (1945 – 2015) bei der deutschen Übersetzung der Comics. Diese scheint man für die Gesamtausgabe allerdings überarbeitet und ihr einen „moderneren“ Anstrich verpasst zu haben… was sich irgendwie mit dem Sixties-Look beißt.
Wenn wir schon bei „Modern“ sind: Am 14. November wird eine neue Animationsserie auf dem werbefinanzierten Streaming-Dienst TUBI (aus dem Hause FOX) an den Start gehen. Darin verschlägt es die „Freak Brothers“ in unsere Gegenwart, was für einige Kulturschocks sorgen sollte. Zu den Original-Sprechern gehören hochkarätige Namen wie John Goodman, Woody Harrelson, Tiffany Haddish und Pete Davidson. Nachteil: Der Dienst ist in Europa nicht verfügbar. Auf einer bekannten Video-Plattform gibt es allerdings mehrere „Minisodes“, also kurze Episoden, zu sehen.
Fazit:
Das Positive zuerst: Die Fan-Gemeinde der „Freak Brothers“ wird sich freuen, dass der AVANT VERLAG alle Abenteuer der Zottel-Chaoten in zwei dicken Hardcover-Bänden vorlegt, da bisherige deutsche Veröffentlichungen unvollständig blieben. Dem gebührt Lob, und auch qualitativ hat man sich sichtlich Mühe gegeben. Inhaltlich schießt der angeschlagene Humor jedoch einige Meter an meinem Komik-Zentrum vorbei. Hm… muss man wohl dabei gewesen sein.
Gilbert Shelton, Gilbert Shelton, Avant
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