Vom Menschen erschaffen. Von Menschen zum Monster gemacht.
Wer kennt sie nicht, die Geschichte um Victor Frankenstein aus der Feder der englischen Schriftstellerin Mary Shelley? Mehrfach verfilmt, adaptiert und nacherzählt, ist die von Frankenstein erschaffene Kreatur eine Ikone der Phantastik. George Bess erweckt sie ein weiteres Mal zu neuem Leben. Und wie!
Fast wörtlich habe ich die obige Einleitung auch zu meiner Rezension zu „Dracula“ von George Bess verfasst, trifft sie doch aber auch auf sein weiteres Werk zu, dass sich erneut einem besonderen Klassiker widmet, der als Roman bereits 1818 erschien.
„Du hattest mir das Leben geschenkt und mich sogleich verstoßen! Anstatt mich mit offenen Armen aufzunehmen wie ein Vater seinen Sohn, wurde ich mit einem Schrei des Entsetzens empfangen… Du hast mich zu Einsamkeit und Finsternis verurteilt! Ich war verzweifelt, hilflos und allein…“
Aus Leichenteilen flickt der Wissenschaftler Victor Frankenstein ein menschliches Wesen zusammen. Während eines Gewitters soll es ein Blitzschlag zum Leben erwecken. Das Experiment gelingt, doch Frankenstein ist über den grausigen Anblick seiner nun lebendigen Kreatur derart geschockt, dass er flieht.
Doch ist es keineswegs so, dass Frankensteins unansehnliches Geschöpf nun mordend durch die Gegend zieht, im Gegenteil. Dessen Wesen und Charakterzüge stehen im Gegensatz zu seiner Erscheinung. Es zieht sich zurück und versucht irgendwie einen Weg ins Leben zu finden, unschuldig, neugierig wie ein Kind.
„Wie gern wäre er ein Freund der Menschen gewesen! In seinem Herzen war nichts als Liebe und Zärtlichkeit… Doch er musste erkennen, dass ihm diese verwehrt bleiben würde. Sein Leben würde nur aus Schmerz und Leid bestehen…“
Doch derart verunstaltet verfallen die Menschen in Panik, sehen nur das grausige Monster und versuchen es aus Angst und Panik zur Strecke zu bringen. Die Kreatur kann sich aus den Situationen befreien, verletzt, gepeinigt. Es lernt schließlich zu sprechen, bildet sich, rettet einmal sogar Leben, doch die Menschen blieben unbarmherzig. Und nach unendlich viel Hass und Erniedrigung stellt sich die Kreatur letztendlich doch gegen seinen Schöpfer und sinnt auf Rache…
„Die Grausamkeit der Welt hat mich zu einem schlechten Wesen gemacht!“
Auch diesmal erzeugt Bess mit seinen Tuschezeichnungen eine wunderbare dichte und nostalgisch anmutende Atmosphäre, die der ursprünglichen Geschichte Kraft und Ausdruck verleiht. Grandios die markante Fratze der Kreatur, die sich mit Narben und Furchen ebenso erschreckend wie verletzlich und Mitleid erregend zeigt. Beinahe poetisch muten die langen Streifzüge des Geschöpfes durch die Natur an. Großzügig präsentieren sich dann Landschaft und Tierwelt. Es gibt beinahe zarte Momente voller Zerbrechlichkeit, wenn feiner Strich auf viel Weißraum trifft. Aber Bess schafft auch wieder düstere Momente mit tiefen Schatten und sattem schwarz. Wenn ein Horde Menschen wild auf die Kreatur eindrischt, schwindet auch beim Lesen die Hoffnung auf ein gutes Ende.
Im direkten Vergleich zu „Dracula“, ist die Geschichte um Victor Frankenstein vielleicht ein Stück weniger spektakulärer in seinen dort teils ausschweifenden Bildkompositionen und vor allem auch weniger unheimlich, was die generelle Story anbelangt. Bei Frankenstein fesselt dafür der eindrücklich inszenierte lange Leidensweg des Monsters, der uns ebenso berührt und mitleiden lässt. Es ist das häufig reduzierte, einfache und lebensnahe Umfeld in dem die Kreatur auf der einen Seite unwirklich und doch so menschlich erscheint.
Fazit:
Wer „Dracula“ von George Bess liebt, wird ebenso von „Frankenstein“ begeistert sein. Auch diesen Klassiker in toller Aufmachung empfehle ich für jede gute Comic-Sammlung.
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