Beiß mich!!!
Wo die Liebe hinfällt…
Hach ja, die Liiiiieeebe… Der Moment, wenn der Blitz einschlägt. Wenn Blicke sich zum ersten Mal treffen. Ein wohliges Gefühl im Bauch, welches die oft zitierte Theorie bestätigt, dass bereits Sekundenbruchteile ausreichen, um zu entscheiden, wem wir unser Herz zu Füßen legen würden. Die aufkeimende Nervosität, die Hitze, die in den Kopf steigt, während wir den Blick mit dem unbekannten Gegenüber zu halten versuchen, ohne den magischen Moment, der in Zeitlupe abzulaufen scheint, zu unterbrechen. Ein Zwinkern. Ein zartes Lächeln. Ein unsichtbares Band, das zwei völlig fremde Personen näher aneinander zieht. Die weichen Knie entwickeln plötzlich ein Eigenleben. Sorgen dafür, dass sich ungewollt ein Fuß vor den anderen setzt. Mit trockenem Mund öffnen sich die Lippen, ohne dass das Hirn auch nur den Hauch einer Ahnung hat, welche Worte den Auftakt für eine womöglich wegweisende Konversation bilden könnten. Passieren kann es überall. Beim Bummeln in der Fußgängerzone, über gemeinsame Bekannte, beim Einkaufen, wenn die nette Kassiererin mit einem unbeschreiblichen Lächeln und tiefgrünen, leuchtenden Augen einen „Guten Morgen“ wünscht, oder - ganz klassisch - in einer Bar. Dort lernen sich auch Elsie und Jimmy kennen. Sie plaudern. Über banale, alltägliche Dinge. Smalltalk halt. Trinken etwas zusammen. Doch sofort liegt ein Knistern in der Luft, das Tote erwecken könnte. Vielleicht tut es das sogar, denn ich vergaß zu erwähnen, dass Elsie ein Vampir und Jimmy ein Werwolf ist. Wie konnte mir das nur entfallen…?
V + W
Und so wurden Elsie und Jimmy ein Paar. Ende.
Natürlich nicht, denn die nicht alltägliche Kombination von Vampir und Werwolf bietet, wie man sich denken kann, reichlich Nährboden für skurrile Alltagssituationen. Vielleicht sollte mal jemand einen Comic darüber machen. Jemand, der genau den richtigen Sinn für Humor hat, die ungewöhnliche Romanze perfekt einfangen kann und ein gutes Händchen für Pointen und deren Timing hat. Das könnte ein echter Hit werden! Und - große Überraschung - so jemanden gibt es. Die junge, charmante Cartoonistin Sarah Andersen bringt alles mit, was man sich als Leserin und Leser von so einem voyeuristischen Blick durchs Schlüsselloch einer monströsen Beziehung der anderen Art nur wünschen kann: Talent, Witz und jede Menge kreativer Ideen.
Die dreihundertjährige Elsie, gefangen im Goth-Körper einer taufrischen Sechsundzwanzigjährigen, und Jimmy, der lässige Lykanthrop im Grunge-Look, lassen uns hautnah an ihren alltäglichen Abenteuern teilhaben. Na gut, „Abenteuer“ ist jetzt vielleicht etwas zu dick aufgetragen, wenn man Händchenhalten, Spaziergänge im Park oder Couch-Abende vor der Glotze nicht gerade als reißerisch spannend empfindet. Aber genau DAS sind die Punkte, die die kurzen Episoden aus dem gemeinschaftlichen Leben zweier Fabelwesen aus der Horror-Ecke so liebens- und lesenswert machen. So dürfen wir nicht vergessen, dass Elsie eine angeborene Abneigung gegen Sonnenlicht hat, während Jimmy bei Vollmond mit Problemen der haarigen Art zu kämpfen hat. Daraus ergeben sich urkomische, teils morbide Situationen, die das Herz stets am rechten Fleck haben… oder nach einem Treffen mit den beiden eben nicht mehr.
Mit wenigen Strichen voll auf den Punkt
Sollte Euch der Name Sarah Anderson bekannt vorkommen, liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Ihr der Künstlerin in den sozialen Medien folgt. Überraschend wäre das nicht, denn mit ihren Cartoons unterhält die Illustratorin aus Brooklyn regelmäßig Millionen Follower. Mit den knuffigen Alltagsgeschichten in „Sarah’s Scribbles“ beweist Andersen immer wieder, dass man nie zu alt ist, um sich jung zu fühlen. Semi-autobiographisch, mit genauer Beobachtungsgabe im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis und mit kindlicher Freude schlägt sich ihr Comic-Alter Ego durch die Widrigkeiten des Lebens. Mit „Erwachsen werd ich (vielleicht) später“ (riva) erschien bereits ein erstes Best-of ihrer Cartoons in gedruckter Form.
Mit „Fangs - Voll verbissen“ hat der Splitter Verlag sich nun eine echte Perle geangelt, die zudem noch im hochwertigen, blutroten Hardcover mit Tiefenprägung aus dem Sarg steigt. Ebenso wie „Sarah’s Scribbles“ begann auch die schwarzhumorige Liebesgeschichte von Elsie und Jimmy im Netz. In Buchform aneinandergereiht, sieht man auch sehr schön den roten Faden der Geschichte. Darüber hinaus eignet sich „Fangs“ aber auch hervorragend für einen Gelegenheitsgriff aus dem Bücherregal. Für ein paar kurze Episoden ist immer Zeit… wobei ich mir fast sicher bin, dass es IMMER noch eine Seite sein wird. Und noch eine. Und noch eine. Und…
Anders als bei den knolligen „Sarah’s Scribbles“-Figuren, sind die Charaktere in „Fangs“ deutlich realistischer und anatomisch korrekter dargestellt. Das heißt aber nicht, dass sie nicht cartoonig aussehen. Das tun sie. Und obwohl die Zeichnungen nicht übermäßig anspruchsvoll ausfallen, wissen sie zu gefallen. Manchmal ist es nur eine Geste, dann wieder ein Blick, der dafür sorgt, dass eine Pointe im richtigen Moment zündet. Das funktioniert so gut wie auf jeder Seite, weswegen es nicht immer die große Kunst sein muss, um zu begeistern. Ich hab die beiden jedenfalls in mein saftiges Herz geschlossen… und Miss Andersen und ihre „Scribbles“ ebenfalls.
Fazit:
Elsie und Jimmy sind wohl das herzlichste Albtraum-Paar seit Morticia und Gomez, Lily und Herman, Christine und Arnie, Freddy und Jason und Chucky und seiner Braut… Ein bezauberndes Buch für alle Romantiker, die sich - trotz des phantastischen Untertons - bestimmt in mehreren Episoden wiederfinden werden. So, ich geh jetzt eine Runde den Mond anheulen und hoffe dabei meine ganz persönliche Elsie zu finden…
Sarah Andersen, Sarah Andersen, Splitter
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