Fahrenheit 451

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Marcel Scharrenbroich
7101

Comic-Couch Rezension vonAug 2024

Story

Vom Roman zum Film zum Comic… „Fahrenheit 451“ hat schon einen weiten Weg hinter sich. Nicht die beste Erzählung der Geschichte, aber eine gelungene.

Zeichnung

Eine äußerst moderne Inszenierung. Kantig, dystopisch und düster. Poppige Farben atmen den Geist der frühen Verfilmung.

Bürger an der kurzen Leine

Ausgebrannter Feuermann

Guy Montag, eigentlich ein Durchschnittstyp im mittleren Alter, verdient seine Brötchen als Feuermann… nicht zu verwechseln mit FeuerWEHRmann, denn die gibt es in der nahen Zukunft nicht mehr. Wozu auch, nachdem Häuser so gebaut werden, dass sie nicht mehr abfackeln können. Immerhin ein Problem weniger. Allerdings sieht die Welt alles andere als rosig aus, da die Bevölkerung unter der strengen Fuchtel des politischen Systems steht. Selbstbestimmtheit und eigenständiges Denken wurden nahezu abgeschafft. Übergroße Videowände sorgen mit interaktiven Programmen dafür, dass sich die braven Bürgerinnen und Bürger nicht langweilen… oder gar auf sonst irgendwelche dummen Gedanken kommen. Mit den passenden Pillen lassen sich solche ebenfalls im Nu vertreiben. Huh… klingt fast die die tägliche TikTok-Dröhnung und nach ein paar ordentlichen Zügen vom frisch gekurbelten (und legalen!) Joint. Und diktatorische Regime, die ihre Bevölkerung an der kurzen Leine halten, sind in unserer Zeit ebenfalls keine Dystopie mehr.

Während Montags Gattin high vorm XXL-TV versauert, arbeitet er treu im Namen der Regierung. Feuermänner werden nämlich immer dann gerufen, wenn ein Freigeist aus der Reihe tanzt. Wenn sich kritisch oder gar aufmüpfig geäußert wird, sind in den Augen der Obrigkeit schnell die Schuldigen ausgemacht: Bücher.

Lesen bildet“, das hat man uns oft mit auf den Weg gegeben, doch Bildung ist nicht erwünscht. Nur blinder Gehorsam. Wissen ist Macht, ja, aber Bürger mit Macht werden zur Gefahr. Eine Gefahr, die das Regime unter keinen Umständen duldet. Potentielle Bücherwürmer, die illegal Lesestoff horten und konsumieren, werden von mechanischen Suchhunden aufgespürt. Dann gehen die Feuermänner ans Werk und fackeln alles ab. Die in ihren Augen Schuldigen werden entweder weggesperrt oder verschwinden von der Bildfläche. Ohne Ausnahme.

Als Musterbürger Montag vor dem Haus die neue Nachbarin Clarisse McClellan kennenlernt, lässt er sich ungewollt in ein Gespräch mit ihr verwickeln. Ihre Neugier und Unbeschwertheit wirken erst eher befremdlich auf den Feuermann, doch die Sechzehnjährige drückt auf wundersame Weise Knöpfe bei ihm, von denen er nicht mal wusste, dass er sie hat. Besonders die vordergründig harmlose Frage, ob er denn glücklich mit seinem Leben sei, spukt Montag noch länger im Kopf herum. Glücklich… hm, glücklich. Eigentlich… schon? Ein Vorfall auf der Arbeit erweist sich dann als letzter Ausschlaggeber, dass Guy Montag nicht nur sein Leben, sondern auch das totalitäre System und seine Rolle in diesem endgültig in Frage stellt.

Wilde Zeiten

Ein Hoch auf die freie Meinungsäußerung! Ja, sofern nicht hetzerisch oder jemanden verletzend, darf man in einer Demokratie ziemlich viel sagen. Auch öffentlich, falls man - gerade in sozialen Medien - mit dem schnell erfolgenden Echo klarkommt. Meist braucht es nicht viel, bis es in der vermeintlichen Anonymität eskaliert. Meist dargestellt im geschriebenen Beweis, dass Lesen eben doch bilden kann. Sprache entwickelt sich weiter, schon klar, aber wenn man sich anschaut, WIE heutzutage kommuniziert wird, kann einem Angst und Bange werden. Dichter und Denker? Ha…, davon hatten wir mal eine ganze Menge. Heute haben wir selbsternannte Sittenwächter und Moralapostel, die sich über den einfachen Weg über alles echauffieren, was nicht in ein heiles Weltbild passt. Oft hart an der Realität vorbei. Auch hier ein gutes Beispiel: Bücher. Problematische Passagen, welche nach aktuellen Maßstäben entweder nicht mehr zeitgemäß oder für bestimmte Personengruppen als verletzend angesehen werden könnten, werden geändert. Von Bücherverbrennungen wie 1933, in der dunkelsten Epoche unserer Geschichte, sind wir erfreulicherweise noch einige Sprünge entfernt, jedoch denke ich nicht - und das ist nur meine persönliche Meinung -, dass eine aufgeklärte und weitestgehend tolerante Gesellschaft, zeitgeschichtliche bzw. historisch veraltete Begriffe nicht einzuschätzen weiß. In die Köpfe der Menschen kommt man nicht, indem man Worte überschreibt, zensiert oder umbenennt, sondern indem man sie mit diesen konfrontiert. Das kann entlarvend, für andere aber sehr erhellend sein.

Ray Bradbury, der Autor des 1953 (in Deutschland 1955) erstveröffentlichten Romans „Fahrenheit 451“, war ebenfalls von Zensuren betroffen. Eine Neuauflage des Buches im Jahr 1979 musste gleich dutzende Veränderungen gegenüber der Erstauflage über sich ergehen lassen. Gefragt wurde der Autor diesbezüglich nicht. Dennoch ist der Roman bis heute ein wegweisendes Werk der dystopischen Literatur. In zahlreichen Medien wurde die Thematik dann wieder aufgegriffen. Vom Computerspiel bis zum Theaterstück. Vom Hörspiel bis zum TV-Film. Die vielleicht bekannteste Adaption ist wohl der gleichnamige Film des französischen Regisseurs François Truffaut („Sie küßten und sie schlugen ihn“, „Die amerikanische Nacht“, „Die letzte Metro“) aus dem Jahr 1966. Ich bin kein Fan der künstlerischen Inszenierung von Truffaut, da ich diese - selbst nach heutigen Sehgewohnheiten - als anstrengend empfinde. Trotz einiger Änderungen bleibt die Verfilmung Bradburys Kern aber treu. Viel weiter lehnte man sich 2002 mit „Equilibrium“ aus dem Fenster. Kurt Wimmer setzte seine dystopische Action-Oper weitaus graphischer um. Sogar ein eigener Kampfstil wurde für den Film mit Christian Bale, Emily Watson, Taye Diggs und Sean Bean erfunden. Durchaus gelungen… und in Hochgeschwindigkeits-Zeiten von „Matrix“ & Co. sehr zeitgemäß, ohne die Botschaft zu sehr zu verwässern.

Die Neuinterpretation

Der Eisner- und Harvey-Award-Nominierte Víctor Santos hat sich nun den Roman vorgeknöpft und in seinem ganz eigenen Stil umgesetzt. Und es war sein spanischer Verlag, der mit der Anfrage, den Bradbury-Klassiker in eindringliche Bilder einzufangen, auf ihn zukam. Santos, von dem in Deutschland zuvor lediglich der actionreiche Thriller „Polar“ (POPCOM) veröffentlicht wurde, welchen NETFLIX 2019 wiederum so lala mit Mads Mikkelsen, Vanessa Hudgens und Katheryn Winnick verfilmte, erinnert stilistisch sehr an den viel zu früh verstorbenen Darwyn Cooke. Dessen Werke, wie zum Beispiel „Batman: Ego“, „Selinas großer Coup“, „DC New Frontier - Schöne, neue Welt“ und „Parker“, zeichneten sich besonders durch den Trickfilm-Look aus, den er seiner Zeit als Storyboard-Artist in der Animationsabteilung von WARNER BROS. zu verdanken hat. Kantig modern, trotzdem schwungvoll und höchst stylish. Víctor Santos geht in „Fahrenheit 451“ ähnlich vor. Ziemlich minimalistisch, aber recht souverän. Der leichtgängige Strich fehlt ihm aber an manchen Stellen. Die Kolorierung ist dafür durchgängig stimmig und erinnert mit ihren poppigen Farben immer wieder an Truffauts Verfilmung von 1966.

Fazit:

451° Fahrenheit… das sind 232,8° Celsius… die Temperatur, bei der Buchseiten in Flammen aufgehen. Wo Ray Bradburys Roman ein Klassiker der Science-Fiction ist und bleibt, wird die Comic-Adaption von Víctor Santos diesen Titel nicht erreichen. Dennoch eine schöne Möglichkeit, diese wichtige Geschichte in einem frischen, modernen Gewand zu entdecken.

Fahrenheit 451

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