Text:   Zeichner: Sascha Dörp

Drinnen

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Marcel Scharrenbroich
9101

Comic-Couch Rezension vonAug 2023

Story

Durch die verschiedenen Blickwinkel der Protagonistin wird die Spannungsschraube stetig weiter angezogen. Das Finale ist einen Tick drüber, lässt sich dafür aber unmöglich vorhersehen.

Zeichnung

Dörp nutzt das Plattenbau-Setting nahezu perfekt aus und liefert mit sicheren Linien einen tollen Genre-Beitrag ab.

Albträume im Plattenbau

Freunde suchen…

…kann ein schweres Unterfangen sein. Besonders dann, wenn man einen klaren Schnitt zieht, das alte Leben hinter sich lässt und in einer fremden Umgebung noch mal neu anfängt. Den klaren Schnitt hat Olivers Mutter gezogen, indem sie mit ihm aus einer eher ländlichen Umgebung in die graue Großstadt gezogen ist. Nach dem Tod ihres Mannes konnte sich Frau Jansen das alte Haus nicht mehr leisten. Also ging es in den Plattenbau. Und Oli ist derjenige, der nun Anschluss an Gleichaltrige finden will. Der erste Schultag fällt allerdings schon mal ins Wasser. Wortwörtlich, denn am noch stockfinsteren Morgen gießt es in Strömen. Scheinbar sind städtische Schulen nicht auf Regen eingestellt, denn die Feuerwehr pumpt fleißig den Keller leer. Auch gut, muss die Bekanntschaft mit der neuen Klasse halt noch einen Tag warten. Bliebe also reichlich Zeit, die neue Umgebung einmal genauer zu erkunden…

Arschlöcher finden

Auf rund achtzehn Etagen werden sich doch ein paar Jungs und Mädels im gleichen Alter finden lassen. Oli erkundet die endlos langen Flure und stößt schon bald auf Gesellschaft. Nicht die angenehmste, denn ein paar Teenager scheinen sich die Langeweile damit vertreiben zu wollen, eine umherstreunende Katze abzumurksen. Angeführt von Jörg, dem Sohn des Hausmeisters, finden er und seine „Amoks“ in Oli schnell einen neuen Spielgefährten, denn der mischt sich mutig ein, um das hilflose Kätzchen zu retten. Bei der anschließenden Jagd durch die Gänge wird Oli aber selbst zum Geretteten. Das Mädchen Marillo sucht in den Schächten hinter den Wänden nach ihrem Bruder, der sich dort gerne versteckt. Ein solches Versteck bewahrt Oli nun vor der ersten Tracht Prügel in seinem neuen Heim. Von Marillo erfährt er anschließend auch, wo sich Gleichaltrige finden lassen. In der Wohnung von Dominik Schneider, oben im achtzehnten Stock.

„Schlaflied“

Dank des Passwortes von Marillo bekommt Oli Zugang zum exklusiven Hauptquartier der „Schwarzen Krake“. Dominik, Biggi, Dennis, Marcel, Marillo und ihr geistig beeinträchtigter Bruder Tobi hängen dort regelmäßig ab. Oli wird umgehend in die Gemeinschaft aufgenommen, macht er doch sogleich die unverhoffte Bekanntschaft seiner zukünftigen Klassenkameraden. Cool, das ging ja schnell! Beim Flaschendrehen, TV-Schauen und Abfeiern des brandneuen „Ärzte“-Albums ist es fast so, als wäre Oli schon lange ein Teil dieses Freundeskreises. Als es in einem Songtext heißt „Denn gleich öffnet sich die Tür, und ein Monster kommt zu dir. Mit seinen elf Augen schaut es dich an…“, zuckt Tobi plötzlich zusammen. Erschrocken behauptet er, das Monster gesehen zu haben… hier im Haus! Wird die Angst des Jungen zuerst noch als Spinnerei abgetan, wendet sich das Blatt, als es plötzlich heftig an der Tür klopft. Lauter… lauter… IMMER LAUTER! Mutig öffnet Oli die Haustür… und steht kurz darauf blutüberströmt vor seinen neuen Freunden.

Immer wieder gerne!

Kids in tragenden Rollen kennen wir bereits aus Stephen Kings „ES“ oder „Stand by Me“. Auch Filme wie „Die Goonies“, „Monster Squad“ oder „Summer of ‘84“ nutzten die Konstellation, welche nicht zuletzt durch den Streaming-Hit „Stranger Things“, in der sich eine Gruppe gleichaltriger Kinder einer übernatürlichen Macht entgegenstellt, geradezu perfektioniert wurde. Sascha Dörp nimmt den Hype dankend auf und schart eine durch und durch sympathische Truppe um den Neuankömmling Oli. Gepaart mit der klaustrophobischen Enge eines „Shining“ oder „Poltergeist 3“ haben wir mit der typisch deutschen Plattenbau-Siedlung auch gleich das ideale Setting für eine Horrorgeschichte. Diese setzt Dörp dann auch ziemlich genial um. Sein gewählter Stil erinnert durchgängig an die Arbeiten eines Jeff Lemire, auch wenn Dörp konturlastiger zeichnet. Die vorzugsweise rostige Kolorierung hat gleichzeitig etwas Warmes als auch Dreckiges an sich und hebt das 80er-Setting immer wieder in den Vordergrund.

Sascha Dörp ist ausgewiesener Liebhaber dieses Jahrzehnts, was schon seine überdrehte Heft-Serie „Matt Eagle“ (PLEM PLEM PRODUCTIONS) mit reichlich filmbezogener Buddy-Action zeigt. Auch in „Drinnen“ hat er zahlreiche 80er-Verweise eingebaut. Angefangen vom „KISS“-Band-Shirt, über das jahrzehntelang indizierte erste Studioalbum der „Ärzte“ mit dem Titel „Debil“, bis hin zur wohl berühmtesten Schwingtür der TV-Geschichte, durch die Heather Thomas als wahrgewordener Traum jedes Pubertierenden im Vorspann von „Ein Colt für alle Fälle“ schritt. Es gibt also sehr viel zu entdecken, und dennoch lenken die Nostalgie-Einschübe nicht von der packenden Story ab. Ich konnte „Drinnen“ nicht weglegen und las es in einem Rutsch, ein echter Pageturner.

Wendungsreich aufgebaut, wird die Handlung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Aufschlussreich für die Leserinnen und Leser, zusätzlich ein Pluspunkt für den Spannungsaufbau. Das Ende lässt sich dann auch nahezu unmöglich vorhersehen. Zum Finale folgt wirklich ein Twist auf den anderen. Vielleicht schlägt Dörp da einen Haken zu viel und hat zwecks dramaturgischer Spannung auch die eine oder andere Logiklücke in Kauf genommen, aber das ist Meckern auf hohem Niveau.

Netz-Ursprung

Gestartet am 1. Januar 2021, veröffentliche Sascha Dörp seine Geschichte zuerst als einen 365 Panel-Comic. Dazu postete er jeden Tag ein neues Häppchen auf seinem Instagram-Kanal. 2023 wurde „Drinnen“ dann in der Kategorie Bester Independent Comic (Selbstveröffentlichung) mit dem ICOM INDEPENDENT COMIC PREIS ausgezeichnet. Ein gleich doppelter Erfolg für Sascha Dörp, denn als Zeichner gehörte er auch zum Line-up der von Michael Mikolajczak geschriebenen Story-Sammlung „Tick Tock - Kultgeschichten 1“, die den Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation abräumte. „Drinnen“ ist dank des Verlags KULT COMICS nun auch in physischer Form erhältlich. Neben dem regulären Hardcover gibt es noch eine Vorzugsausgabe mit Variant-Motiv. Diese Version ist auf 50 Exemplare limitiert und kommt mit einem signierten Exlibris von Sascha Dörp.

Fazit:

Mutige Kids, übernatürlicher Horror, klaustrophobisches Setting und jede Menge 80‘s-Flair. Bei diesen Zutaten kann ein Genre-Fan nur schwer Nein sagen… und sollte es auch nicht! „Drinnen“ spielt in der Mystery-Liga ganz oben mit und bräuchte den Vergleich mit internationalen Vertretern nicht scheuen.

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