Episoden-Comic mit rotem Faden
Unter österreichischen Dächern
Astrids Schwester sollte den Haustürschlüssel eigentlich im Briefkasten deponieren, doch da ist er nicht. Nicht die schlimmste Nachricht des verregneten Tages, denn in der Wohnung von Astrid wurde eingebrochen. Das Diebesgut ist überschaubar, doch der Verlust des Laptops trifft die Studentin am meisten. Darauf befand sich ihre Diplomarbeit, die kurz vor der Fertigstellung stand. Mehr als nur ärgerlich. Die Polizei ist ihr dabei keine große Hilfe, tut den Einbruch als Lappalie ab. Freund und Helfer, von wegen… Trotz aller Wut, weicht diese und macht Platz für eine gehörige Portion Unbehagen. Immerhin hat sich jemand Fremdes Zutritt zu Astrids persönlichem Raum verschafft. Was, wenn dieser Jemand wiederkommt? Dass der große Altbau mittlerweile fast komplett leer steht, nachdem der neue Vermieter die meisten Bewohner hinausgeekelt hat, macht die Sache nicht besser. Also sucht Astrid kurzerhand Unterschlupf bei ihrem Ex-Freund Yussif. Zur Ruhe kommt sie dennoch nicht, denn dank Beobachtungen ihrer Schwester Rosi, rückt plötzlich der Briefträger in den überschaubaren Kreis der Verdächtigen. Indem Astrid die über achtzigjährigen Schwestern befragt, die noch in ihrem Haus leben, dringt sie nicht nur in deren Leben ein, sondern stellt auch heimlich dem obskur erscheinenden Briefträger nach. Sie öffnet Türen, die nicht ihre sind, und wird mit Antworten konfrontiert, nach denen sie niemals gefragt hätte…
Das Leben der Anderen
Der in Linz geborene und in Wien beheimatete Comic-Künstler Franz Suess setzte 2011 mit „1160, Ottakring“, seiner ersten längeren Comic-Arbeit, dem Gemeindebezirk in seiner langjährigen Wahlheimat ein schwarz-weißes Denkmal. Schon damals hat der Gestalter von Postkarten-Comics und Illustrator von Kinderbüchern ein feines Gespür für seine Umwelt bewiesen. Nah am Puls der Zeit, noch näher sogar an seinen Mitmenschen und deren Seelenleben, nutzt er diese Beobachtungsgabe auch für „Diebe und Laien“, seiner ersten im AVANT-VERLAG veröffentlichten Arbeit. Textlich reduziert auf ein Minimum, lässt Suess lieber die Taten seiner illustren Schar an Protagonistinnen und Protagonisten sprechen. Daraus ergeben sich auf rund 380 Seiten intime Einblicke, die oft mehr offenbaren, als man eigentlich wissen wollte. Von zwanghafter Neugier, über falsche Verdächtigungen, bis hin zu schambehafteter Sehnsucht nach Nähe und Alltagsrassismus finden sich alle Facetten von menschlichen Eigenschaften. Mal nachvollziehbar, oft bohrend und entlarvend ehrlich. Wer weiß schon, wie es im Innenleben eines vermeintlich Fremden aussieht, der doch gleich nebenan wohnt? Vier Kapitel, vier Leben. Allesamt unterschiedlich, und doch unmittelbar miteinander verwoben.
BitterSuess
An Farbe fehlt es den expressionistischen Bildern von Franz Suess nicht, trotzdem ist die Grundstimmung finster. Beklemmend würde es fast noch besser treffen. Trostlos, was sich auch in den Gesichtern der Charaktere wiederspiegelt. So nah wie wir Suess‘ gemalten Figuren in den meisten Panels in die trüben Augen blicken, so nah ist seine episodenhafte Graphic Novel auch am wahren Leben. Menschen, die sich nicht ins rechte Licht rücken lassen, deshalb mit ihren Wünschen und Sehnsüchten mehr im Schatten stehen. Unsicher, unbemerkt, unschein- und fast unsichtbar. Meist tragisch, selten komisch. Mein künstlerischer Geschmack wurde zwar nicht zur vollen Zufriedenheit getroffen, aber das soll auch nicht das Problem von Franz Suess sein. Damit muss ich mich auseinandersetzten. Fast schon tragikomisch.
Fazit:
Ein unaufgeregter Blick in fremde Zimmer. In fremde Leben. So verschroben und befremdlich karikiert die handelnden Personen auch sein mögen, sind sie doch verdammt nah an der Realität. Den Rand der Gesellschaft in den Fokus gerückt, hat Franz Suess vielleicht nicht die schönste Graphic Novel geschaffen, dafür aber eine, die die unterschiedlichsten Charakteristiken von (Mit)menschen wertungsfrei offenbart.
Franz Suess, Franz Suess, Avant
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