Abgesang im Wild Wild West
Sommer 1874, Wyoming: In den Black Hills, Grenzgebiet zum Dakota-Territorium, stößt das 7. Kavallerie-Regiment, geführt von „Boy General“ Lieutenant Colonel George Armstrong Custer, auf Gold. Das käme der jungen, von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelten Nation gerade recht. Zu dumm nur, dass es sich bei dem Gebiet um heiliges Land der Sioux handelt, welches diesen 1868 in Fort Laramie durch die Regierung der Vereinigten Staaten vertraglich dauerhaft zugesichert worden war. Aber das ist ja nichts, was ein bisschen gewaltsame Enteignung nicht beheben könnte. Um sich zu profilieren beschließt Präsident Grant nach gescheiterten Verhandlungen und einem Ultimatum, welches den Dorn im Auge in Reservate zwingen soll, daher, trotzdem ein Vorrücken der US-Truppen unter Custer, Terry und Benteen in die Great Plains zu befehligen. Doch diese haben ihre Rechnung ohne die Sioux gemacht: Ein Bündnis mit Cheyenne und Arapaho bislang ungekannten Ausmaßes, ins Leben gerufen von Häuptling Sitting Bull, stellt sich den Bataillonen entgegen. Und so kommt es am 25. und 26. Juni 1976 zur Schlacht am Big Horn River, einem blutigen Höhepunkt der „Indianerkriege“, welche das popkulturelle Bild vom Wilden Westen bis heute prägt …
„Die Wasichus kommen!“
Unendlich weites, ungezähmtes Land, wackere Helden und Pioniere, wilde Horden an Rothäuten: Der Genozid an den Amerikanischen Ureinwohnern ist durch den Western im Laufe der Jahrzehnte verwässert und verklärt worden, wozu die Kunstform Comic sicherlich entscheidend beigetragen hat. Und auch wenn dieses Genre, zumindest zeitweise eines der lukrativsten und populärsten, auch von dem harten, rauen Leben der frühen Siedler, von Korruption und von Verkommenheit berichtet und sich gerade heute zunehmend ausdifferenziert, sind ehrliche und ungeschönte Darstellungen dieser bewegten Epoche amerikanischer Geschichte nach wie vor rar gesät. Diese Lücke möchte die Reihe „Die wahre Geschichte des Wilden Westens“, welcher in Graphic-Novel-Form im Splitter Verlag erscheint, nunmehr schließen und legt mit Little Big Horn die Aufbereitung eines der entscheidendsten Konflikte mit den Ureinwohnern (kurz vor deren endgültiger Beendigung nach dem Massaker von Wounded Knee) vor.
„Heute ist ein guter Tag zum Sterben!“
Leider ist der tatsächliche Inhalt der dünnen Graphic Novel doch sehr überschaubar und schafft es nur am Ende, ein verständnisvolles und dreidimensionales Bild der Sioux zu liefern. Zwar werden die US-Soldaten auch nicht gerade zu Helden stilisiert, doch huschen die Ereignisse so schnell an einem vorbei, dass man sich am Ende kaum schlauer fühlt als zuvor. So hat es sich bei Colonel Custer wohl um einen opportunistischen Selbstdarsteller mit einem dennoch bemerkenswerten und interessanten Lebenslauf gehandelt, der in späteren fiktiven Darstellungen zunehmend als Märtyrer romantisiert wurde – all diese Informationen erfährt man jedoch nur aus dem ausführlichen Anhang, welcher zudem eine Karte des Schlachtgebietes, eine Fülle an historischem Kontext und eine übersichtliche Timeline liefert. Es wäre schön gewesen, diese nuancierte, erhellende Erklärung der Geschehnisse durch Bild und Text der Graphic Novel selber geliefert zu bekommen, anstatt durch ergänzendes Begleitmaterial.
Sehr zu loben ist dafür die künstlerische Umsetzung an sich. Die historischen Persönlichkeiten sind ihren realen Vorbildern nachempfunden, klar voneinander zu unterscheiden und durch deutliche Konturierung und Linienführung charakterisiert. Die Panels vermitteln das Schlachtgeschehen dank filmgleicher Dynamik. Die Ästhetik bedient sich dabei dem ein oder anderen aus klassischen Western-Präsentationen in Kino, Malerei, Literatur und Comic entlehnten Klischee, verbindet diese aber mit einem knallharten Realismus, der vor Farben sprüht und mit verschiedenen Stimmungen das Gewicht der Ereignisse zu vermitteln vermag. Zumindest durch die reinen Schauwerte kann die Graphic Novel also punkten.
Fazit:
Dem Anspruch, mit Little Big Horn einen Ausschnitt der „wahren Geschichte des Wilden Westens“ zu erzählen, werden die Macher leider nur mit Einschränkung gerecht. Die eigentlichen Bilder jedoch können künstlerisch überzeugen.
Luca Blengino, David Goy, Antoine Giner-Belmonte, Splitter
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