Ein düsteres Märchen
Der siebenjährige Jack streift durch die Landschaft und trifft unter einer Brücke auf einen großen, grünen Troll. Dieser will das Leben des Jungen Fressen. Doch Jack kann den Troll überzeugen noch abzuwarten, bis er älter ist und deutlich mehr Leben in ihm steckt. Als Jugendlicher kann er diese Vereinbarung wiederholen. Und so steht Jack eines Tages als Erwachsener unter der Brücke, nun ein letztes Mal…
Vom Hunger nach Leben und verlassener Lebensfreude
„Die Trollbrücke“ ist eine Kurzgeschichte des britischen Fantasy-Autors Neil Gaiman aus dem Jahr 1998. Die nun bei Splitter veröffentlichte illustrierte Fassung erschien im englischen Original bereits 2016. Es ist eine tragische Coming-of-Age-Erzählung, die im Wesentlichen drei Lebensabschnitte der Hauptfigur Jack aufgreift - als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener.
Um es gleich vorwegzunehmen, Neil Gaiman lässt uns betrübt und nachdenklich zurück, ein strahlendes Happy-End gibt es hier nicht. Aber umso eindringlicher gerät das Werk, das so märchenhaft und blühend fantasievoll beginnt. In wunderbar großen Bildern und Collagen fängt Colleen Doran die Träumereien von Jack ein. Er glaubt als Kind an Geister und Gespenster, doch stellt er seinen Ängsten seine Unbeschwertheit und eine große Neugierde auf das Leben und die Natur entgegen. So versprüht sein Streifzug durch die englische Landschaft Leichtigkeit und Lebensfreude.
Doch Jack verändert sich mit zunehmendem Alter. Die Bilder werden farbloser und bedrückender, wenn wir ihn als jungen Mann in einer veränderten Welt erleben. Die erste Liebe, die er dann sogar statt seiner dem Troll opfern will, einengender Beruf und gescheiterte Familie. Aus dem offenherzigen Kind wird ein verschlossener, nachdenklicher und betrübter Mann. Die Stimmung der Geschichte wird hoffnungsloser und deprimierender. Während Colleen Doran in den Gesichtszügen ihrer Hauptfigur immer deutlicher Niedergeschlagenheit und nachlassenden Lebensmut erkennen lässt, verschwindet das Umfeld in grauem Dunst und Nebel.
Der unheimliche Troll - ebenfalls wunderbar eindrücklich gezeichnet - ist das verbindende Element, darauf wartend, dass er endlich seinen Hunger nach Leben stillen kann. Anfangs mutig und entschlossen stellt sich Jack noch gegen den Unhold. Doch bei seiner letzten Begegnung wird er nicht nochmal verhandeln…
Fazit:
„Die Trollbrücke“ ist ein düsteres Märchen, von dessen anfänglichem Charme man sich nicht täuschen lassen oder möglicherweise auf eine fantasievolle Gruselgeschichte für Kinder schließen sollte. Neil Gaiman erzählt über das Heranwachsen und Veränderungen, die uns auf unserem Weg beeinflussen. Wir erkennen vergessene Träume, Sehnsüchte und verpasste Gelegenheiten. So ist es auch ein Weckruf, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und sich dabei stets etwas von der kindlichen Neugierde zu bewahren.
Neil Gaiman, Colleen Doran, Splitter
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