Besser ein Spatz in der Hand als einen Taubenschiss auf dem Kopf
Kein Märchen
Mit diesem Untertitel zeigt „Die Schöne und die Biester“ gleich, dass hier nicht hinter irgendeiner Ecke die Gebrüder Grimm lauern, um Altbewährtes mit Hilfe von einem Autor/Zeichner-Gespann durch den Modernisierungs-Mixer zu kloppen. Vom „klassischen“ Märchen will man sich also entfernen, was ich allerdings nur bedingt glauben mag, da generell alle Zutaten vorhanden sind. Eher ist es anzunehmen, dass der Untertitel genau so augenzwinkernd zu verstehen ist, wie das gesamte Märchen… oh, Verzeihung, wie die gesamte GESCHICHTE.
Sieben Ecken ein Elfer
Nachwuchs wäre schön. Das denkt sich auch König Siegbart und wünscht sich nichts sehnlicher als einen strammen Burschen, der einmal sein prachtvolles Königreich erben und nach ihm auf den Thron steigen soll. Der potente König fackelt nicht lange und (Pi mal Daumen) neun Monate später ist der potentielle Thronfolger auch schon aus der Mache. Aber… huch, wie konnte DAS denn passieren? Seine Gemahlin gebar ein Mädchen! Was will der König denn mit einem Mädchen??? Ne ne, nix da! Also wird die (Ex-)Frau kurzerhand mit Sack, Pack und Mädchen in die Wüste geschickt. Dafür lässt der feine König sogar ratzfatz die Gesetze ändern. Oh ja, da kennt der nichts! Also: Neues Spiel, neues Glück… Doch auch die nächste Auserwählte bringt „nur“ weiblichen Nachwuchs zur Welt… worauf dann wieder die Nummer mit der Wüste folgt. So geht das Spiel munter weiter, aber König Siggi gibt nicht auf… irgendwann MUSS doch mal ein Knabe rausspringen! *EEEEH* Falsch! Die Versuche drei, vier, fünf, sechs und sieben gehen ebenfalls (aus Königssicht) in die Hose. Nummer sieben sogar doppelt, da Zwillingsmädchen das Licht der Welt erblicken. Doch da… gerade als man über die Gründung einer Damen-Fußballmannschaft hätte nachdenken können, da geschah es: Frau Nummer acht schenkte ihm einen Jungen.
HEUREKA!!!
Da war er, der zukünftige Erbe von Siegbarts stolzem Reich! Mit der Geburt von Prinz Castelljan starteten die größten Feierlichkeiten, die das Land je gesehen hatte. Stolze acht Tage dauert das rauschende Fest zu Ehren des Königssohns… ENDE.
Ja…, wenn es ein „klassisches“ Märchen WÄRE! Ist es aber, wie schon gesagt, nicht. Hier wird es nämlich erst richtig interessant: Am letzten Abend der Festlichkeiten schwirrt eine hübsche Fee in den Palast. Ausgelassen tanz sie mit dem feiernden Partyvolk zu Hofe… und gibt sich nebenbei ordentlich die Kante. Im Suff lallt sie sich eine Prophezeiung aus der Backe, die dem König die Kinnlade auf die royale Kniescheibe knallen lässt. Sie sagt, dass der neugeborene Prinz seinen Vater an dem Tag vom Thron stürzen wird, an dem ihm eine Taube dreimal auf den Kopf kackt. Klingt komisch, is aber so… denn, wie sagt man, kleine Kinder und besoffene Feen sagen IMMER die Wahrheit. Anschließend purzelt sie lattenstramm aus dem Fenster und flattert mit ordentlich Schräglage von dannen…
Ab diesem Zeitpunkt ist im eigentlich frohen Königreich nichts mehr, wie es einmal war: Kopfgelder auf Tauben werden ausgesetzt, die demonstrativ in einem nie erlöschenden Feuer geröstet werden. Mmmmh… hat noch jemand Hunger? Zusätzlich werden im unterkellerten Königreich unzählige Käfige aufgestellt, in denen gefangene Tauben eingesperrt werden. Diese finanzieren sich freilich nicht von selbst… und mit dem Kopfgeld, mit welchem der paranoide König um sich wirft, als gäbe es kein Morgen, ist auch bald Ebbe in der Kasse. Hm, woher nun nehmen, wenn nicht stehlen? Ganz einfach: So wie bei uns! Steuern erhöhen, um die leeren Staatskassen aufzufüllen! Nun, lange dauert es natürlich nicht, bis die ersten Gegenstimmen laut werden. Eine Gruppe von Untergrund-Rebellen bildet sich, die alles daransetzt, ein paar Täubchen über des Prinzen Hirse kreisen zu lassen…
In der gleichen Nacht, in der das Taubenschiss-bedrohte Prinzchen das Licht der Königswelt erblickt, wird im bürgerlichen Teil des Reiches ein kleines Mädchen geboren. Hänfling soll sie heißen, die Tochter des örtlichen Bäckermeisters. Sie und Prinz Castelljan wachsen im Laufe der Jahre unabhängig voneinander heran. Das hübsche Mädchen, dass sich vor Verehrern und Anträgen gleichermaßen nicht retten kann, reagiert jedoch ziemlich allergisch, wenn man sie nur auf ihr Äußeres reduziert. Schließlich will sie nur Brötchen verkaufen und ihre liebenden Eltern unterstützen. Warum ich Euch von Hänfling erzähle? Tja, sie wird noch eine ganz besondere Rolle in dem Märchen spielen, das keines sein will…
Darf’s ein wenig mehr sein?
Pastell, Pastell und noch ein wenig… Pastell. Ja, Farbenvielfalt sucht man in „Die Schöne und die Biester“ vergebens, was aber kein Grund ist, den Kopf in cremefarbenen Sand zu stecken. Die vornehme Blässe von Frauke Bergers Bildern wird konsequent durchgezogen, hinterlässt einen durchweg guten Eindruck und besitzt dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Schon ihr zweibändiges Debüt „Grün“ setzte auf helle Darstellung und erdige Farbtöne. „Die Schöne und die Biester“ ist stilistisch hingegen weicher und auch flüssiger geraten, was durchaus für ihre künstlerische Bandbreite spricht. Weg vom Moebius-Stil und auf zu neuen Ufern. Man darf gespannt sein, in welchem Genre sich Frauke Berger demnächst zeichnerisch austobt.
Die Geschichte hingegen stammt vom deutschen Verleger und Autor Boris Koch, der sowohl Jugendliteratur als auch Beiträge im Genre der Phantastik verfasst hat. Diese Erfahrung bleibt beim Lesen von „Die Schöne und die Biester“ nicht lange verborgen, da Koch hier ideenreich auffährt. Ein oder zwei Haken sind dann allerdings doch zu wild geschlagen. Für eine optimale Wirkung der gebotenen Ideen, wäre mindestens eine Trilogie notwendig gewesen. So wirkt die Story leider etwas gehetzt und fast schon überfüllt.
Einen ganz besonderen Nachschlag gibt es noch am Ende des Bandes: In „Die Wahrheit über Die Schöne und die Biester – Ein Nachwort von Hofdichter Hanns Klamm“ räumt ebendieser mit Falschaussagen des Autors auf und bringt gnadenlos (sowie humorvoll und augenzwinkernd) die WAHRHEIT auf den Tisch. Im gleichen Atemzug gibt es Charakterstudien und Skizzen von Frauke Berger zu bewundern. Definitiv mal eine andere Art von Nachwort!
Fazit:
„Die Schöne und die Biester“ ist vor allem eines: Unvorhersehbar. Autor Boris Koch hat viele frische Ideen untergebracht, die hier und da aber ein wenig zu viel des Guten sind. Allerdings geht dem abgeschlossenen Band so nie das Tempo aus. Die zeichnerische Umsetzung durch Frauke Berger ist durchaus geglückt und es gibt eine Menge in ihren Bildern zu entdecken.
Boris Koch, Frauke Berger, Splitter
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